Zum Machandelboom. [29] No. 47.

Machandel ist Wachholder (nicht Mandel), Marleenken Marianchen, Marie Annchen. Dieses wunderschöne Märchen ist uns von Runge mitgetheilt worden. Die Geschichte wird auch in hiesigen Gegenden häufig, selten aber so vollständig erzählt, so daß sich etwa nur noch hinzusetzen ließe, daß das Schwesterchen die Knochen an einem rothseidenen Faden zusammenreiht. Der Vers lautet:


meine Mutter kocht mich,

mein Vater aß mich,

Schwesterchen unterm Tische saß,

die Knöchlein all all auflas,

warf sie übern Birnbaum hinaus,

da ward ein Vögelein draus,

das singet Tag und Nacht.


In einer Stelle von Göthes Faust S. 225, wozu unser Märchen den Commentar liefert, und die der Dichter unstreitig aus altem Hörensagen aufnahm, lautet es so:


meine Mutter die Hur,

die mich umgebracht hat,

mein Vater der Schelm,

der mich gessen hat,

mein Schwesterlein klein

hub auf die Bein,

an einem kühlen Ort,

da ward ich ein schönes Waldvögelein,

fliege fort, fliege fort!


Die böse Stiefmutter, wovon ein altes Sprichwort (Stiefmutter, Teufels Unterfutter) verweist[29] an gar viel andere Mährchen, der Eingang vom in Fingerschneiden an Sneewittchen, und an eine merkwürdige Stelle im altdeutschen Gedicht Parcifal, worüber mit Zuziehung vieler anderer Parallelsagen nächstens ein umständlicher Commentar gegeben werden soll. – Das Sammeln der zerstreuten Knochen ist in den Mythen von Osiris, Orpheus, und der Legende von Adalbert. Das Wiederbeleben in vielen andern, z.B. der Negersage von Nanni, den seine Mutter lehrt, das Fleisch eines jungen Huhns zu essen und die Federn und Beine wieder zusammen zu setzen. So sammelt Thor die Knochen der gegessenen Ziegen und belebt sie rüttelnd. (s. auch von Arnliot in der Heimskringla und manche andere Sage, die hier anzuführen zu umständlich wäre).

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. 2 Bände, Band 1, Berlin 1812/15, S. XXIX29-XXX30.
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