Zeugnisse für Kindermärchen.

[21] Strabo I, 2. §. 3. ed. 1620. p. 19.

»Wir erzählen den Kindern, um sie zu ermuntern, angenehme Geschichten, und um sie abzuhalten, schreckliche Märchen, wie die von der Lamia, der Gorgone, von Ephialtes und Mormolyk.«

Lamia, eine Frau, welche Kinder fraß. Gorgone, eine Frau mit Schlangenhaaren, ehernen Händen und Zähnen, so groß wie Eberhauer, ihr Anblick tödtete und versteinerte. Ephialtes, ein himmelstürmender Riese, der den Ossa auf den Olymp, den Pelion auf den Ossa setzte. Die Mormolyken sind Geister und Gespenster.

Luther hat gesagt:

»Ich mögt' mich der wundersamen Historien, so ich aus za ter Kindheit herüber genommen, oder auch, wie sie mir vorkommen sind in meinem Leben, nicht entschlagen, um kein Gold.«


Doctor Luther hat seine Mühe an den alten und verunreinigten Esopum legen und seinen Deutschen ein verneuertes und geschwertes Märleinbuch zurichten wollen, daran der Zeit viel guter Leut ein sonderes Gefallen trugen, – aber, weil sich der theure Mann an der Biblia neben viel Predigen und Schreiben abgearbeitet, verblieb dies angefangene Werk, welches Anfang gleichwohl Magister Georg Rörer hernachmals in den neunten Theil der[22] deutschen Bücher Lutheri hat bringen lassen. – Im schönen Hofpsalm – – gedenkt der Doctor des Affen, so Holzspalten wollte und des Keils vergaß, und da er die Art auszog darüber zu Schanden kam. Er gedenkt auch des Frosches, so auf dem Heller saß und sich rühmet, Geld brächte Ehre.

Ueber Tisch hab ich etliche gute Fabeln von ihm gehört, als von der Krähe, so die Affen strafte, die aus einem Johanneswürmchen Feuer blasen wollten, und darüber ihren Kopf verlor. (Eine nicht unbekannte Fabel, die z.B. in Walchs decas fab. steht.)

Schuppii Schriften. Fabul-Hans. S. 530.

Johannes Müller.

»Man sollte die Weisheit der Völker, bei denen man lebt, in ihrer mannichfaltigen Gestalt, selbst in Liedern,


quas ad ignem aniculae

narrant puellis,


aufspüren und in Umlauf bringen.«

(Histor. Critik I. 245.)

W. Scott. In den Anmerkungen zu seinem Gedicht Lady of the lake. Edinb. 1810. p. 392.

»A work of great interest might be compiled upon the origine of popular fiction and the transmission of similar tales from age to age and from country to country. The mythology of one period would then appear to pass into the romance of the next century, and that into the nursery-tale of the subsequent ages. Such an[23] investigation, while it went greatly to diminish our ideas of the richness of human invention would also shew, that these fictions, however wild and childish, possess such charms for the populace, as enable them to penetrate into countries unconnected by manners and language and having no apparent intercourse tho afford the means of transmission. It would carry me far beyond my bounds, to produce instances of this community of fable, among nations, who never borrowed from each other any thing intrinsically worth learning. Indeed the wide diffusion of popular fictions may be compared to the facility, with wich straws and feathers are dispersed abroad by the wind, while valuable metals cannot be transported without trouble and labour. There lives, I believe, only one gentleman, whose unlimited acquaintance with this subiect might enable him to do it justice; I mean my friend, Mr. Francis Douce, of the british museum, whose usual Kindness will I hope pardon my mentioning his name, while on a subject so closely connected with his extensive and curious researches.«

Eloi Johanneau. Mem. de l'acad. celtique. I. 162.

»On connait aussi les contes de fées, du chat botté et du petit Poucet avec ses bottes de 7. lieues, contes populaires de la plus haute antiquité, qui ne sont point de l'invention de Perrault.«[24]

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. 2 Bände, Band 1, Berlin 1812/15.
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