[9] 5. Dat Erdmänneken.

(Aus dem Paderbörn.) Eine andere Recension aus der Gegend von Cöln am Rhein weicht in einigem ab. Ein mächtiger König hat drei schöne Töchter; einmal, bei einem herrlichen Fest, gehen sie in den Garten spazieren und kommen Abends nicht wieder; und als sie am andern Tag auch noch ausbleiben, läßt sie der König durchs ganze Reich suchen, aber niemand kann sie finden: da macht er bekannt, wer sie wiederbrächte, sollte eine zur Gemahlin haben, und Reichthümer dazu für sein Lebelang. Viele ziehen aus, aber umsonst, zuletzt machten sich drei Ritter auf den Weg und wollen nicht ruhen, als bis es ihnen geglückt. Sie gerathen in einen großen Wald, wo sie den ganzen Tag hungrig und durstig fortreiten, endlich sehen sie in der Nacht ein Lichtlein, das sie zu einem prächtigen Schloß leitet, worin aber kein Mensch zu sehen ist. Weil sie so hungrig sind, suchen sie nach Speise, einer findet ein Stück[9] Fleisch, es ist aber noch roh. Da spricht der jüngste: »geht ihr beyde und schafft einen Trank, ich will derweil das Fleisch braten.« Also steckte er den Braten an einen Spieß, und wie er brutzelt, steht auf einmal ein Erdmännchen neben ihm mit einem langen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an Händen und Füßen. »Laß mich beim Feuer meine Glieder wärmen, so will ich dafür den Braten wenden und mit Butter begießen!« Der Ritter erlaubt ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber so oft der Ritter wegsieht, steckt es seine Finger in die Bratpfanne und leckt die warme Brühe auf. Der Ritter ertappt es ein paarmal und sagt, es sollts bleiben lassen, aber das kleine Ding kann nicht und ist immer wieder mit dem Finger in der Pfanne. Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmännchen beim Bart und zaust es, daß es ein Zetergeschrei erhebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß mit Wein, den sie im Keller gefunden und nun essen und trinken sie zusammen. Am andern Morgen suchen sie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, sangen sie, müssen die Königstöchter verborgen seyn, und losen, wer sich soll hinunterlassen, die beiden andern wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den, welcher mit dem Erdmännchen zu thun gehabt. Es dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten ists stockfinster, da geht eine Thüre auf und das Erdmännchen, das er am Bart gezogen, kommt und spricht: »ich sollt dir vergelten, was du mir Böses gethan, aber du erbarmst mich, ich bin der König der Erdmännlein, ich will dich aus der Höhle bringen, denn wenn du noch einen Augenblick länger bleibst, so ists um dich geschehen.« Der Ritter antwortet: »sollt ich gleich Todes sterben, so geh ich nicht weg, bis ich weiß, ob die Königstöchter hier versteckt sind.« Da spricht es: »sie sind in diesem unterirdischen Stein von drei Drachen bewacht. In der ersten Höhle sitzt die älteste und ein dreiköpfiger Drache neben ihr, jeden Mittag legt er seine Köpfe in ihren Schooß, da muß sie ihn laufen, bis er eingeschlafen ist. Vor der Thüre hängt ein Korb, darin liegt eine Flöte, eine Ruthe und ein Schwert und die drei Kronen der Königstöchter liegen auch darin,[10] den Korb mußt du dir erst wegtragen und in Sicherheit bringen, dann fasse das Schwert, geh hinein und hau dem Drachen die Köpfe ab, aber alle drei auf einmal, verfehlst du einen, so wachsen also bald die andern wieder und es kann dich nichts mehr retten.« Dann gibt er ihm auch eine Glocke, wenn er daran ziehe, wolle er ihm zu Hülfe eilen. Nach der ältesten erlöst er auch die zweite, die ein siebenköpfiger, und die dritte, die ein neunköpfiger Drache bewacht. Dann führt er sie zu dem Eimer, worin er herabgelassen war und ruft seinen Gesellen zu, sie sollten wieder hinaufwinden. Also ziehen sie die drei Königstöchter nach einander in die Höhe; wie sie oben sind, werfen die zwei Treulosen das Seil hinunter und wollen den unten verderben. Er zieht aber das Glöckchen, da kommt das Erdmännchen und heißt ihn auf der Flöte pfeifen und wie er das thut, kommen aus allen Ecken viel tausend Erdmännchen herbeigelaufen. Da heißt sie ihr König eine Treppe für den Ritter machen und sagt ihm, oben sollt er nur mit der Ruthe aus dem Korbe auf die Erde schlagen. Also legen sich die kleinen Männer zusammen und bilden eine Treppe, worüber der Ritter hinaufgeht, oben schlägt er mit der Ruthe, da sind sie alsbald wieder verschwunden. –

Es ist hier ein Zusammenhang mit der Erlösung der Chrimhild vom Drachenstein; wie dort, verschwindet sie nach der Cöln. Rec. bei einem Fest, ohne Zweifel als Raub des Drachen, die beiden andern Schwestern sind Ausdehnungen der einen mythischen Gestalt; aber so ist unter den Dreien, die sie zu befreien ausziehen, der jüngste der eigentliche und einzige. Das Erdmännchen ist Euglin und Alberich, den sich der Held gleichfalls durch Gewalt erst geneigt macht (nach der Cöln. Rec. zieht er ihn am Bart, wie in den Nibel. 2003.) und dann auch entdeckt es erst den Aufenthalt der Drachenbewachten Königstochter (Lied von Siegfr. 57. 58.), der unter der Erde ist (Lied 99.). Es folgt die Erlösung, wie dort, indem die Drachen, welche auf dem Schoose der Jungfrau ruhen (Lied 21.) getödtet werden. Die Hülfe des Königs der Erdmänner entspricht der des Euglin[11] (Lied 151. und vorher beim Kampf 89.) die dieser dem Siegfried nach dem Streit mit dem Riesen leistet; auch indem er ihm Essen bringt (Lied 119.) Sie sind ihm überhaupt wie dort unterthänig.

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. 2 Bände, Band 2, Berlin 1812/15, S. IX9-XII12.
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