289. Die Alpschlacht

[281] Die Obwaldner und Entlebucher Hirten stritten sich um einige Weiden, aber die Obwaldner waren im Besitz und trieben ihr Vieh darauf. Weil sie etwa von ihren mutigen Gegnern einen Überfall besorgten, stellten sie Wächter zu ihrer Herde. Die geschwinden und feinen Entlebucher dachten auf einen Streich; nachdem sie sich eine Zeitlang still und ruhig verhalten hatten und die treuherzigen Obwaldner wenig Böses ahnten, sondern statt Wache zu haben, sich die Langeweile mit Spielen verkürzten, schlichen kühne Entlebucher Hirten auf die schlecht bewahrte Trift, banden dem Vieh ganz leise die klingenden Schellen ab und führten den Raub eilig zur Seite. Einer aus ihnen mußte zurückbleiben und so lange mit den Kühglocken läuten, bis die Räuber vor aller Gefahr sicher wären. Er tat's, warf dann all den Klumpen von Schellen auf den Boden und sprang unter lautem Hohngelächter mit überflügelnden Schritten fort. Die Obwaldner horchten auf und sahen das Unglück. Sie wollten sich rächen, sammelten bald einen Haufen Volks und überfielen jählings die Entlebucher, welche sich aber darauf vorbereitet hatten. Die Obwaldner wetzten ihren Schimpf nicht[281] aus, sondern wurden noch dazu geschlagen; das ihnen damals abgewonnene Fähnlein bewahren die Entlebucher noch heutigestags in ihrer Heimlichkeit (einem alten Turm im Dorfe Schüpfen), und der Ort, wo das kleine Gefecht sich ereignete, wird auch diesen Augenblick noch immer die Alpschlacht genannt.

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 281-282.
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