496. Kaiser Maximilian und Maria von Burgund

[466] Der hochlöbliche Kaiser Maximilian I. hatte zum Gemahl Maria von Burgund, die ihm herzlich lieb war und deren Tod ihn heftig bekümmerte. Dies wußte der Abt zu Spanheim, Johannes Trithem, wohl und erbot sich dem Kaiser, so es ihm gefalle, die Verstorbene wieder vor Augen zu bringen, damit er sich an ihrem Angesicht ergötze. Der Kaiser ließ sich überreden und willigte in den gefährlichen Vorwitz. Sie gingen miteinander in ein besonderes Gemach und nahmen noch einen zu sich, damit ihrer drei waren. Der Zauberer verbot ihnen, daß ihrer keiner beileibe ein Wort rede, solange das Gespenst gegenwärtig sei. Maria kam hereingetreten, ging säuberlich vor ihnen vorüber, der lebendigen, wahren Maria so ähnlich, daß gar kein Unterschied war und nicht das geringste mangelte. Ja, in Bemerkung und Verwunderung der Gleichheit ward der Kaiser eingedenk, daß sie am Halse hinten ein kleines schwarzes Flecklein gehabt, hatte acht darauf und befand es also, daß sie zum andernmal vorüberging. Da ist dem Kaiser ein Grauen ankommen, hat dem Abt gewinkt, er solle das Gespenst wegtun, und darnach mit Zittern und Zorn zu ihm gesprochen: »Mönch, mache mir der Possen keine mehr«, und hat bekannt, wie schwerlich und kaum er sich habe enthalten, daß er nicht zu ihr geredet.[466]

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 466-467.
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