525. Heinrich mit dem goldenen Pfluge

[497] Eticho der Welf liebte die Freiheit dergestalt, daß er Heinrich, seinem Sohne, heftig abriet, er möchte kein Land vom Kaiser zu Lehen tragen. Heinrich aber, durch Zutun seiner Schwester Judith, die Ludwig dem Frommen die Hand gegeben hatte, tat sich in des Kaisers Schutz und Dienst und erwarb von ihm die Zusage, daß ihm so viel Landes geschenkt sein solle, als er mit seinem Pfluge zur Mittagszeit umgehen könne. Heinrich ließ darauf einen goldenen Pflug schmieden, den er unter seinem[497] Kleide barg; und zur Mittagszeit, da der Kaiser Schlaf hielt, fing er an, das Land zu umziehen. Er hatte auch an verschiedenen Orten Pferde bereit stehen, wenn sie ermüdeten, gleich umzuwechseln. Endlich, wie er eben einen Berg überreiten wollte, kam er an ein böses Mutterpferd, das gar nicht zu bezwingen war, so daß er es nicht besteigen konnte. Daher der Berg davon Mährenberg heißt bis auf den heutigen Tag; und die Ravensburger Herren das Recht behaupten, daß sie nicht genötigt werden können, Stuten zu besteigen. Mittlerweile war der Kaiser aufgewacht, und Heinrich mußte einhalten. Er ging mit seinem Pfluge an den Hof und erinnerte Ludwig an das gegebene Wort. Dieser hielt es auch; wiewohl es ihm leid tat, daß er so belistet und um ein großes Land gebracht worden. Seitdem führte Heinrich den Namen eines Herrn von Ravensburg; denn Ravensburg lag mit im umgepflügten Gebiet, da seine Vorfahren bloß Herren von Altorf geheißen hatten.

Als aber Eticho hörte, daß sich sein Sohn hatte belehnen lassen, machte er sich traurig auf aus Bayern, zog mit zwölfen seiner treusten Diener auf das Gebirg, ließ alle Zugänge sperren und blieb da bis in sein Lebensende. Späterhin hieß einer seiner Nachfahren, um Gewißheit dieser Sage zu erlangen, die Gräber auf dem Gebirg suchen und die Totenbeine ausgraben. Da er nun die Wahrheit völlig daran erkannt hatte, ließ er an dem Ort eine Kapelle bauen und sie da zusammen bestatten.

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 497-498.
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