545. Der gute Gerhard Schwan

[545] Eines Tages stand König Karl am Fenster einer Burg und sah hinaus auf den Rhein. Da sah er einen Schwan auf dem Wasser schwimmen kommen, der hatte einen Seidenstrang um den Hals, und daran hing ein Boot; in dem Boot saß ein Ritter ganz gewaffnet, an seinem Hals hatte er eine Schrift. Und wie der Ritter ans Land kam, fuhr der Schwan mit dem Schiffe fort und wurde nimmermehr gesehen. Navilon (Nibelung), einer von des Königs Männern, ging dem Fremden entgegen, gab ihm die Hand und führte ihn vor den König. Da fragte Karl nach seinem Namen; aber der Ritter konnte nicht reden, sondern zeigte ihm die Schrift; und die Schrift besagte, daß Gerhard Schwan gekommen sei, ihm um ein Land und eine Frau zu dienen. Navilon nahm ihm darauf die Waffen ab und hob sie auf; aber Karl gab ihm einen guten Mantel, und sie gingen dann zu Tisch. Als aber Rolland den Neukömmling sah, frug er, was[545] er für ein Mann wäre. Karl antwortete: »Diesen Ritter hat mir Gott gesandt«, und Rolland sprach: »Er scheinet heldenmütig.« Der König befahl, ihn wohl zu bedienen. Gerhard war ein weiser Mann, diente dem König wohl und gefiel jedermann; schnell lernte er die Sprache. Der König wurde ihm sehr hold, vermählte ihm seine Schwester Adalis (im Dänischen: Elisa) und setzte ihn zu einem Herzog über Ardennenland.

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 545-546.
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