Das XVI. Kapitel.

Wo Springinsfeld nach der Nördlinger Schlacht herumvagiert und wie er von etlichen Wölfen belägert wird.

[175] »Gleichwie nun nach Erhaltung dieser gewaltigen und namhaften Schlacht das große sieghafte kaiserliche Kriegsheer in unterschiedliche Länder geschickt wurde, also empfiengen auch alle Provinzen, dahin diese gelangten, die Würkung des gedachten blutigen Treffens, und zwar nicht allein was das Schwerd, sondern auch was der Hunger und was die Pest jedes absonderlich zu tun vermöchte, ja wie grausam die zusammengestimmte erschröckliche Harmonia dieser gesammten dreien Hauptstrafen die Menschen zum Grab tanzen machen könne. Den Anteil meines Unglücks, damit die damalige armselige Zeit gleichsam ganz Europam heimsuchte, überstunde ich an den allerunglückseligsten Örtern, nämlich am Rheinstrom, der vor allen andern teutschen Flüssen mit Triebsal überschwemmt wurde, sintemal[175] er erstlich das Schwerd, darauf den Hunger, drittens die Pest und endlich alle drei Plagen zu einer Zeit und auf einmal tragen mußte, in welcher unruhigen Zeit, die zwar viel zur ewigen Ruhe oder Unruhe beförderte, ich dem Kaiser wiederum Speyr, Worms, Mainz und andere Ort mehr einnehmen halfe; und demnach der weimarische Herzog Bernhardus damals durch die Kräfte der französischen Flügel am Rhein herumschwebte und durch sein stetigs Agiern (indem er an besagtem Fluß wie auf einer Fickmühl zu spielen wußte) nit nur zu der anstoßenden Länder Ruin Ursach gabe, sondern auch zum Teil die seinige selbsten, vornehmlich aber unsere Armee, die damals Graf Philipps von Mansfeld kommandierte, äußerist und zwar ohne sonderliche Schwerdstreich ruinierte, siehe, da büßte ich mit ein nit nur mein Pferd, das mir vor Nördlingen zugestanden (deren es, wo wir nur hin marschierten, aller Orten voll lag, den Untergang unserer Armee bezeugen zu helfen), sondern auch mein gutes Geld, das ich daselbsten bekommen. Dann wann mir ein Pferd verreckte, so erhandelte ich ein anders und gab darvor meine spanische Real und Jakobiner, Umgicker etc. vor guldene spanische und englische Kopfstücker aus, deren ein zwei oder drei silberne in meinem Sinn golte und wert war, welche auch jedermann in solchem Preis gern von mir annahm, solang ich deren auszugeben hatte.

Als ich nun solchergestalt mit meinem Reichtum gleichwie das ganze Land mit dem seinigen in Bälde fertig worden, gieng der kleine Rest unsers vor diesem unvergleichlichen Regiments in Westfalen, allwo wir unter dem Grafen von Götz die Städte Dortmund, Paderborn, Hamm, Unne, Kammen, Werl, Soest und andere Ort mehr einnehmen helfen. Und damals kam ich in Soest in Garnison zu liegen, allwo ich, mein Simplice, Kund- und Kameradschaft mit dir bekommen; und weil du selber zuvor weißt, wie ich daselbst gelebt, ist unnötig, etwas darvon zu erzählen.

Du bist aber nicht über dreiviertel Jahr zuvor vom Feind gefangen, und der Graf von Götz ist kaum ein viertel Jahr aus Westfalen hinwegmarschiert gewesen, als der Obriste S. Andreas, Kommandant in der Lippstadt, durch einen Anschlag Soest einnahm. Damals verlore ich alles, was ich in langer Zeit zusammengeraspelt und vorm Maul erspart hatte. Solches und mich selbst bekamen zween Kerl von der Garnison in Coesfeld, allwo ich mich auch vor einen Musketierer gebrauchen lassen und mich so lange hinter der Maur patientiern mußte, bis beides, die Hessen und Französische, Weimarische, über[176] Rhein in das Erzstift Köln giengen, allwo es ein Leben setzte, dergleichen ich lang nach geseufzet.

Dann wir fanden gleichsam ein volles Land und unter dem Lampoy ein solche Armatur, die wir leicht übermeisterten, und von der Kemper Landwehr ja gar aus dem Feld hinwegschlugen. Diesem Sieg folgten Neuß, Kempen und andere Örter mehr ohne die gute Quartier, die wir genossen, und ohne die gute Beuten, die hin und wieder gemacht wurden. Doch wurde ich armer Tropf gleichwohl anfangs nicht reich darbei, weil ich unter meiner Muskete gemeiniglich bei der Kompagnie verbleiben mußte. Demnach wir aber Gülch plünderten und mit den Leuten auf dem Land, sowohl im Erzstift Köln als Herzogtum Gülch, unsers Gefallens prozediern dörften, erschunde ich so viel Gelds zusammen, daß ich mich wieder von der Muskete loszukaufen und mich zu Pferd zu mondiern getraute.

Solches setzte ich ins Werk, da es beinahe selbiger Orten schon ausgemauset war, da wir nämlich Lechnich vergeblich zu Übergab ängstigten und uns nicht nur die Kurbayerische, die bei Zons lagen, sondern auch die Spanische ans Leder wollten. Dannenhero schlupfte Guebrian den Kopf aus der Schlinge, quittierte den Rheinstrom und führte uns durch den Thüringer Wald in Franken, allwo wir wiederum zu rauben, zu plündern, zu stehlen und gleichwohl nichts zu fechten gefunden, bis wir in das Würtenbergische kommen, da uns zwar Joan de Werdt nächtlicherzeit ohnweit Schorndorf in die Haar geraten und einen Biß versetzt, aber gleichwohl das Fell nicht grob zerrissen. Aber wer kein Glück hat, der fällt die Nas ab, wann er gleich auf den Rucken zu liegen kommt; dann ich wurde kurz hernach von dem Obristleutenant von Kürnried, welchen die gemeine Pursch den Kirbereuter zu nennen pflegten, auf einer Partei gefangen und zu Hechingen, wo damals das bayerische Hauptquartier war, wiederum demjenigen Regiment Dragoner zugestellt, darunter ich anfänglich gedienet.

Also wurde ich wieder ein Dragoner, aber nur zu Fuß, weil ich noch kein Pferd vermochte. Wir lagen damals zu Balingen, und widerführe mir ein Poß um selbige Zeit, welcher zwar von keiner Importanz, gleichwohl aber so seltsam, verwunderlich und mir so eine schlechte Kurzweil gewesen, daß ich ihn erzählen muß, ohnangesehen ihrer viel, denen der damalige elende Stand des ruinierten Teutschlandes unbekannt, mir solches nicht glauben werden.

Demnach unser Kommandant in Balingen Kundschaft bekommen,[177] daß die Weimarische unter Reinholden von Rose, 1200 Pferd stark, ausgangen, uns aufzuheben, gedachte er, solches an Ort und End zu notifiziern, von dannen sukkurriert werden könnte. Weil ich dann wie obgemeldet, noch ohnberitten, zumalen mir Weg und Steg wohlbekannt, auch meine Person so beschaffen war, daß man mir kecklich zutrauen konnte, ich würde die Sach wohl ausrichten, als wurde ich in Baurenkleidern mit einem Schreiben nach Villingen geschickt, von dieser obhandenen Rosischen Cavalcata Nachricht dorthin zu bringen; und golte gleich, ob ich vom Gegenteil unterwegs gefangen würde oder nicht, dann wann solches geschehen wäre, so hätte der Feind erfahren, daß sein Anschlag entdeckt gewesen, und derowegen solchen wieder eingestellt. Aber ich kam glücklich durch und ließe mich auch gegen Abend wieder abfertigen, um die Nacht über wieder auf Balingen zu kommen. Als ich nun durch ein Dorf passierte, darinnen keine Mäus, geschweige Katzen, Hund und ander Vieh, viel weniger Menschen sich befunden, sahe ich gegen mir einen großen Wolf avancieren, welcher recta mit aufgesperrtem Rachen auf mich zugieng. Ich erschrak, wie leicht zu gedenken, weil ich kein ander Gewehr als einen Stecken bei mir hatte, retirierte mich derowegen in das nächste Haus und hätte die Tür hinder mir gern zugeschlagen, wann es nur eine gehabt; aber es mangelte deren so wohl als der Fenster und des Stubenofens. Ich gedachte wohl nicht, daß mir der Wolf in das Haus nachfolgen würde, aber er war so unverschämt, daß er den Ort nicht respektierte, der zur menschlichen Wohnung gewidmet worden, sondern zottelte in einem reputierlichen Wolfgang fein allgemach hernach, dannenhero ich notwendig mein Refugium die erste und andere Stiege hinauf nehmen mußte; und weil mich der Wolf sehen ließe, daß er auch Stiegen steigen konnte so wohl als ich, wurde ich gezwungen, mich in aller Eil, welches zwar kümmerlich und mit großer Not geschahe, durch ein Dachloch hinauf auf das Dach zu begeben. Da mußte ich eilends die Ziegel rucken und zerbrechen, um mich auf den Latten zu behelfen, auf welchen ich je länger je höher hinaufkletterte. Und als ich mich hoch genug daroben und also vor dem Wolf in Sicherheit zu sein befande, öffnete ich im Dach ein größere Luken, um dardurch zu sehen, wann der Wolf die Stiege wieder hinabspazieren oder was er sonsten tun wollte.

Da ich nun hinunter schauete, siehe, da hatte er noch mehr Kameraten bei sich, welche mich ansahen und sich mit Gebärden stelleten, als ob sie einen Anschlag zu erstimmen[178] begriffen, wie sie mir beikommen möchten. Ich hingegen chargierte mit halben und ganzen Ziegeln auf sie hinunter, konnte aber durch die Latten weder gewisse noch satte oder starke Würf tun; und wann ich gleich den einen oder andern auf den Pelz traf, so bekümmerten sie sich doch nichts darum, sondern behielten mich also belägert oder blokiert. Indessen ruckte die stockfinstere Nacht herbei, welche mich, solang sie unsern Horizont bedeckte, mit scharpfen durchschneidenden Winden und untermischten Schneeflocken gar unfreundlich traktierte, dann es war im Anfang des Novembri und dannenhero ziemlich kalt Wetter, so daß ich mich kümmerlich dieselbe winterlange Nacht auf dem Dach behelfen konnte; überdas fiengen die Wölfe nach Mitternacht eine solche erschreckliche Musik an, daß ich vermeinte, ich müßte von ihrem grausamen Geheul übers Dach herunterfallen. In Summa, es ist unmüglich zu glauben, was vor eine elende Nacht ich damals überstanden; und eben um solcher äußersten Not willen, darinnen ich stak, fienge ich an zu bedenken, in was vor einem jämmerlichen Zustand die trostlose Verdammte in der Höllen sich befinden müßten, bei denen ihr Leiden ewig währet, welche nicht nur bei etlichen Wölfen, sondern bei den schröcklichen Teufeln selbsten, nicht nur auf einem Dach, sondern gar in der Höllen, nicht nur in gemeiner Kälte, sondern in ewig brennendem Feur, nicht nur eine Nacht in Hoffnung, erlöst zu werden, sondern ewig, ewig gequält würden. Diese Nacht war mir länger als sonst vier, so gar, daß ich auch sorgte, es würde nimmermehr wieder Tag werden, dann ich hörete weder Hahnen krähen, noch die Uhr schlagen, und saße so unsanft und erfroren dorten im rauhen Luft, daß ich gegen Tag all Augenblick vermeinte, ich müßte herunderfallen.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 175-179.
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