Das III. Kapitel.

Ein lächerlicher Poß, der einem Zechbruder widerfahren.

[123] Ich mußte mich verwundern und freute mich, daß ich derjenigen unversehenen Zusammenkunft beiwohnen sollte, von welchen ich in Simplicissimi Lebensbeschreibung so viel seltsams Dings gelesen und von denen ich aus Anstalt der Courasche selbst dergleichen geschrieben. Als sich ihre Wortwechslung geendigt und Simplicius ein Glas voll Wein herausgehoben, das er dem Springinsfeld zum Willkomm zugetrunken hatte, da kam noch ein Gast herein, welchen ich der Kleidung und Jugend nach vor meinesgleichen, das ist vor einem Schreiberknecht hielte! Er stellete sich an eben den Ort zum Stubenofen, wo ich zuvor und nach mir auch Springinsfeld gestanden, gleichsam als wann alle ankommende Gäste zuvor dorthin hätten stehen müssen, ehe sie sich hätten niedersetzen dörfen; und gleich hernach folgte ein überrheinischer Bauer, der ohn Zweifel ein Rebmann war. Dieser ruckte vor jenem die Kappe und sagte: »Herr Schaffner, ich bitte, Ihr wollet mir einen Reichstaler geben, damit ich meinen Kärst aus der Schmidten lösen möge, allwo ich sie hab gerben lassen.« – »Ach! was zum Schinder ist das?« antwortet jener; »was machst du mit der Gerst in der Schmidten? Ich hab vermeinet, man gerbe sie in der Mühlen.« – »Meine Kärst! meine Kärst!« sagte der Bauer. – »Ich hörs wohl!« antwortet der Schaffner; »vermeinest du dann, ich sei taub? Mich wundert nur, was du damit in der Schmidten machst, sintemal man die Gersten in der Mühl zu gerben oder zu röllen pflegt!« – »Ei Herr Schaffner,« sagte der Bauer, »ich sage Euch von keiner Gersten, sonder von meinem Kärsten, damit ich hacke.« – »Ja so!« antwortet der Schaffner, »das wäre ein anders«, und zählet damit dem Bäuerlein einen Taler hin, den er auch gleich in seine Schreibtafel aufnotierte. Ich aber gedachte: »Sollest du ein Schaffner über Rebleut sein und weißt noch nichts von den Kärsten?« Dann er befahl dem Bauren, daß er solche zu ihm bringen sollte, um zu sehen, was es vor Kreaturen wären und was der Schmied daran gemacht hätte. Simplicius aber, der diesem Gespräch auch zugehöret, fieng an zu lachen, daß er hotzelte, welches auch das erste und letzte Gelächter war, das ich von ihm gehöret und gesehen; dann er verhielte sich sonst gar ernsthaftig und redet, obzwar mit einer groben und männlichen Stimme, viel lieblicher und freundlicher, als er aussahe, wiewohl er auch mit den Worten gar gesparsam umgieng. Springinsfeld hingegen verlangte die Ursach solches Lachens zu hören,[124] ließe auch nicht ab, am Simplicio zu bitten, bis er entlich sagte, die vom Schaffner letztverstandene Wort des Bauren hätten ihn an einen Possen erinnert, den er auch wegen eines mißverstandenen Worts in seiner unschuldigen Jugend zwar wider seinen Willen angestellet, wessentwegen er gleichwohl ziemliche Stöße eingenommen. »Ach, was war das?« fragte Springinsfeld. »Es ist unnötig,« antwortet Simplicius, »daß ich euch zu einer eitelen Torheit reize, darvor ich das übermäßige Gelächter halte, ohne welches ihr aber die Histori nit anhören könnet, dann ich würde mich auf solchen Fall mit fremder Sünde beladen.« Ich warf meine Karten mit unter und sagte: »Hat doch mein hochgeehrter Herr selbsten in seiner Lebensbeschreibung so manchen lächerlichen Schwang eingebracht, warumb wollte er dann jetzt seinen alten Kameraden zu Gefallen ein einzige lächerliche Geschicht nicht erzählen?« – »Jenes tät ich,« antwortet Simplicius, »weil fast niemand mehr die Wahrheit gern bloß beschauet oder hören will, ihr ein Kleid anzuziehen, dardurch sie bei den Menschen angenehm verbliebe, und dasjenig gutwillig gehöret und angenommen würde, was ich hin und wider an der Menschen Sitten zu korrigieren bedacht war. Und gewißlich, mein Freund, Er sei versichert, daß ich mir oft ein Gewissen drum mache, wann ich besorge, ich seie in ebenderselben Beschreibung an etlichen Orten allzu freigangen.« Ich repliziert hinwieder und sagte: »Das Lachen ist den Menschen angeborn und hat solches nit allein vor allen andern Tiern zum Eigentum, sonder es ist uns auch nutzlich, wie wir dann lesen, daß der lachende Democritus in guter Gesundheit 109 Jahr alt worden, dahingegen der weinende Heraclitus in frühem Alter eines elenden Tods und zwar in einer Kühhaut, darin er sich wickeln lassen, seine Glieder zu heilen, gestorben. Dahero dann auch Seneca in libro de tranquillitate vitae, allwo er dieser beiden Philosophen gedenkt, vermahnet, daß man mehr dem Democrito als dem Heraclite nachfolgen soll«. Simplicius antwortet: »Das Weinen gehöret dem Menschen sowohl als das Lachen eigentlich zu; aber gleichwohl allzeit zu lachen oder allzeit zu weinen, wie diese beide Männer getan, wäre ein Torheit, dann alles hat seine Zeit. Gleichwohl aber ist das Weinen dem Menschen mehr als das Lachen angeboren, dann nicht allein alle Menschen, wann sie auf die Welt kommen, weinen (man hat nur das einige Exempel des Königs Zoroastris, der, wie er geborn, alsbald gelacht, so zwar von Nerone auch gesagt wird), sonder es hat der Herr Christus unser Seligmacher selbst etlichmal geweinet; aber daß er jemals gelacht,[125] wird in Hl. Schrift nirgends gefunden, sondern hat vielmehr gesagt: ›Selig seind, die weinen und Leid tragen, dann sie werden getröst werden!‹ Seneca als ein Heid mag das Lachen dem Weinen wohl vorziehen; wir Christen aber haben mehr Ursach, über die Bosheit der Menschen zu weinen, als über ihr Torheit zu lachen, weil wir wissen, daß auf die Sünde der Lachenden ein ewiges Heulen und Wehklagen folgen wird.« – »Bei mein Eid,« sagte hierauf Springinsfeld, »wann ich nit glaube, du seiest ein Pfaff worden!« – »Du grober gEsell,« antwortet ihm Simplicius, »wie darfst du das Herz haben, so leichtfertig vor ein Ding zu schwören, wann du mit deinen eignen Augen das Widerspiel siehest? Weißt du auch wohl, was ein Eid ist?« Springinsfeld mußte sich ein wenig schämen und bat um Verzeihung; dann Simplici Mienen waren so ernsthaft und bedrohenlich, daß er einen jeden damit erschröcken konnte. Ich aber sagte zu demselbigen: »Weil meines hochgeehrten Herrn Reden und Schriften voller Sittenlehren stecken, so muß ohne Zweifel diejenige Geschichte, deren er sich mit einem so herzlichen Gelächter erinnert, beides, lustig zu hören und etwas Nützlichs daraus zu lernen, sein«; mit Bitte, er wollte sie doch ohnbeschwert erzählen. – »Nichts anders«, antwortet Simplicius, »lernet sie, als daß einer, so jemand etwas Nötiges fragt, solche Sprach und Wort gebrauchen soll, daß sie der, so gefragt wird, geschwind verstehe und in der Eil seinen richtigen Bescheid darüber geben könne; sodann, daß einer, der gefragt worden, die Frag aber nicht eigentlich und gewiß verstanden, nit alsobald antworten, sonder von dem Fragenden, vornehmlich wann er von höherer Qualität ist, noch einmal seine Frag zu vernehmen gebührend begehren soll. Die lächerliche Histori ist diese: Als ich noch Page beim Gouverneur in Hanau war, da hatte er einmals ansehnliche Offizier zu Gaste, darunter sich auch etliche Weimarische befanden, denen er mit dem Trunk trefflich zusprechen ließe. Die fremde und heimische waren gleichsam in zwo Parteien underschieden, einander wie in einer Battalia mit Saufen zu überwünden. Das Frauenzimmer stund auf und verfügte sich in sein Gemach, gleich nachdem man das Konfekt aufgestellt, weil ihnen mitzugehen die Gewohnheit verbotte; die Kavalier aber sprachen einander so scharf zu, sich stehend vollends aufzufüllen, daß sich auch etliche mit dem Rucken an die Stubtür lehneten, damit ja keiner aus dieser Schlacht entrunne (welches mich an diejenige Marter ermahnet, damit Tiberius, der römische Kaiser, viel Leut getötet, dann wann er solche umbbringen lassen wollte,[126] ließe er sie zuvor zu vielem Trinken nötigen, ihnen hernach die s. h. Harngäng dermaßen vernußbicklen, daß sie den Urin nicht lassen könnten, sondern endlich mit unaussprechlichen Schmerzen sterben mußten). Endlich entwischte einer, der damal kein größer Anliegen und Begierde hatte, als das Wasser zu lassen, und weil es ihn ohn Zweifel gewaltig dränget, liefe er wie ein Hund aus der Kuchen, der mit heißem Wasser gebrühet worden, in welcher Eil er mir zu seinem und meinem Unglück begegnete, fragende: ›Kleiner, wo ist das Sekret?‹ Ich wußte damal weniger als der Teutsche Michel, was ein Sekret war, sondern vermeinte, er fragte nach unserer Beschließerin, welche wir Gret nannten, die sonst aber Margreta hieße und sich eben damals beim Frauenzimmer befand, dahin sie die Jungfer rueffen lassen. Ich zeigte ihm hinten am Gang das Gemach und sagte: ›Dort drinnen!‹ Darauf rennete er darauf los wie einer, der mit eingelegter Lanzen in einem Turnier seinem Mann begegnet. Er war so fertig, daß das Türaufmachen, das Hineintretten und der Anbruch des strengen Wasserflusses in einem Augenblick miteinander geschahe in Ansehung und Gegenwart des ganzen Frauenzimmers. Was nun beide Teil gedacht und wie sie allerseits erschrocken, mag jeder bei sich selbst erachten. Ich kriegte Stöße, weil ich die Ohren nit besser aufgetan, der Offizier aber hatte Spott darvon, daß er nicht anders mit mir geredet.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 123-127.
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