Das IV. Kapitel.

Der Autor gerät unter einen Haufen Zigeiner und erzählet den Aufzug der Courasche.

[127] Ich sagte zum Simplicio, es wäre schad, daß er diese Historia nicht auch in seine Lebensbeschreibung eingebracht hätte; er aber antwortet mir, wann er alle seine so beschaffne Begegnussen hineinbringen hätte sollen, so wäre sein Buch größer worden als des Stumpfen Schweizerchronik; überdas reue ihn, daß er so viel lächerlich Ding hineingesetzt, weil er sehe, daß es mehr gebraucht werde, anstatt des Eulenspiegels die Zeit dardurch zu verderben, als etwas Guts daraus zu lernen. Darauf fragte er mich, was ich selbst von seinem Buche hielte, und ob ich dardurch geärgert oder gebessert worden wäre. Ich antwortet, mein Judicium wäre viel zu gering, entweder dasselbige zu schelden oder zu loben, und ob ich gleich nit wider das Buch, sonder ihn, Simplicissimum, selbsten schreiben müssen, dabei[127] auch des Springinsfelds nicht zum rühmlichsten gedacht worden, so hätte ich doch das Buch weder gelobt noch getadelt, sonder damals gelernet, daß derjenig, so übermannet sei, sich nach derjenigen Willen und Anmutung schicken müßte, in deren Gewalt er sich befände. Als ich dieses gesagt und meiner Mutter Sprach nach ziemlich Schweizerisch geredet, welche Mundart andere Teutsche vor grob, ja zum Teil gar vor hoffärtig und unhöflich zu halten pflegen, Springinsfeld aber solches mit angehöret, als welcher die Ohren wie ein alter Wolf spitzte, da ich ihn nennete, sagte er: »Potz grütz, du Gölschnabel, hätt ich di dussa, ich wottar da garint rüra!« Aber Simplicius antwortet ihm: »Ich hätte schier gesagt, du alter Geck! es ist nit mehr um die Zeit, die wir zu Soest belebten und unserm Mutwillen nach gleichsam über das ganze Land herrschten. Du mußt jetzt mit deiner Stelzen nach einer andern Pfeifen tanzen oder gewärtig sein, wann du es zu grob machst, daß man dir einen steinernen oder wohl gar einen spanischen Mantel anlegt. In dieser freien Stadt stehet jedem zwar auch frei zu reden, was er will; wer aber über die Schnur hauet, der muß es auch verantworten oder büßen!« Mich hingegen fragte Simplicius, wer oder was mich dann gemüßiget hätte, wider seine Person zu schreiben, und sonderlich verwundere ihn, daß auch neben ihm des Springinsfelds gedacht werden müssen, neben welchem er doch die Tage seines Lebens über dreiviertel Jahr nicht zugebracht. Ich antwortet: »Wann ihm mein hochgeehrter Herr (wie ich mich dann keines andern versehe) die Wahrheit gefallen lassen und mir, was ich getan, verzeihen, zumalen auch vor diesem importunen Springinsfeld, dessen Humor und ohngewichtiger Sinn mir vorlängst andiktiert worden, versichern will, so will ich ihnen beeden so wunderliche Geschichten von ihnen selbsten erzählen, daß sie sich auch beide darüber selbst verwundern sollen; mit Versicherung, wann ich meinen hochgeehrten Herren von solchen löbl. Qualitäten beschaffen zu sein gewußt hätte, als ich jetzunder vor Augen sehe, daß ich seinetwegen keine Feder angesetzt haben wollte, und sollten mir gleich die Zigeiner den Hals zerbrochen haben.«

Ob nun gleich Simplicius ein groß Verlangen hatte, zu hören, was ich vorbringen würde, so sagte er doch zuvor: »Mein Freund, es wäre ein dumme Unbesonnenheit, ja wider alle Gerechtigkeit und die Darstellung eines tyrannischen Sinns, wann wir an andern strafen wollten um Sachen, die wir selbst begangen. Hat Er in seinem Schreiben meine Laster gerüttelt, so übertrage ichs billig mit Gedult; dann ich habe andern die[128] ihrige (doch daß es ihnen an ihren Ehren nicht nachteilig sein kann) unter fremden Namen auch rechtschaffen durchgehechelt. Verdreußt es diejenige, so ich getroffen, warum haben sie dann nicht tugendlicher gelebt? oder warum haben sie mir Ursach gegeben, solche Laster und Torheiten zu tadeln, die mir, ehe ich sie gesehen, in meiner Unschuld ganz unbekannt gewesen? Er erzähle nur her; ich versprich und versichere alles, was Er von mir begehrt und gebetten.« Ich antwortet, ich möchte gleich reden oder schweigen, so würde doch bald weltkündig werden, was ich zu schreiben mich zwingen lassen müssen.

Darauf wandt ich mich gegen dem Springinsfeld und fragte ihn, ob er in Italia nit eine Matresse gehabt, die Courasche genannt worden. Er antwortet: »Ach die Bluthex! Schlag sie der Donner! lebt das Teufelsviehe noch? Es ist kein leichtfertigere Bestia seit Erschaffung der Welt von der lieben Sonnen niemal beschienen worden!« – »Ei, ei!« sagte Simplicius zu ihm, »was seind das abermal vor leichtfertige unbesonnene Wort?« Zu mir aber sprach er: »Ich bitte, Er fahre doch nur fort, oder Er fahe doch vielmehr an zu erzählen, was ich so herzlich zu hören verlange.« Ich antwortet: »Mein hochgeehrter Herr wird sich bald müd gehört haben, dann dieses ist eben diejenige, deren er im sechsten Kapitul des fünften Buchs seiner Lebensbeschreibung selbst gedacht hat.« – »Es gilt gleich!« antwortet Simplicius, »Er sage nur, was Er von ihr weiß, und schone meiner auch nit.« Auf solches erzählete ich folgendergestalt, was Simplicius wissen wollte.

»Gleich auf nächst verstrichenen Herbst, da es, wie bekannt, einen ausbündigen Nachsommer setzte, war ich auf dem Weg begriffen, mich aus meinem Vatterland gegen den Rheinstrom, und zwar auf hieher zu begeben, entweder als ein armer Schüler präzeptorsweis, wie es hier gebräuchlich, meine Studien fortzusetzen, oder auf Rekommendation meiner Verwandten, von denen ich zu solchem Ende Schreiben bei mir hatte, einen Schreibersdienst zu bekommen. Da ich nun auf der Höhe des Schwarzwaldes von Krummenschiltach hieherwarts wanderte, sahe ich von weitem einen großen Haufen Lumpengesindel gegen mir avancieren, welches ich im ersten Anblick vor Zigeiner erkennete, mich auch nicht betrogen fande; und weil ich ihnen nit trauete, verbarg ich mich in eine Hecke, da sie zum allerdicksten war. Aber weil diese Bursch viel Hunde, sowohl Stauber als Winde, bei sich hatten, spürten mich dieselbigen gleich, umbstellten mich und schlugen an, als wann ein Stuck Wildbret verhanden gewest wäre. Das höreten ihre Herren alsobalden und eileten[129] mit ihren Büchsen oder langen Schnapphahnenröhren auf mich zu; einer stellte sich hieher, der andere dorthin, wie auf einem Gejaid, da man dem bestäten und aufgetriebenen Wild aufpasset. Als ich nun solche meine Gefahr vor Augen sahe, zumalen die Hunde auch allbereit an mir zu zwacken anfiengen, da fieng ich auch an zu schreien, als wann man mir allbereit das Weidmesser an die Gurgel gesetzt hätte. Hierauf liefen beides, Männer, Weiber, Knaben und Mägdlein herzu und stellten sich so werklich, daß ich nicht schließen konnte, ob mich das garstige Volk umbringen oder von den Hunden erretten wollte. Ja, ich bildete mir vor Forcht ein, sie ermordeten die Leute, die sie dergestalt wie mich an einsamen Orten betretten, und zehrten sie hernach selbst auf, damit ihre Todschläge verborgen blieben. Es gab mich auch, wie noch, Wunder, und ich verfluchte das Zusehen derjenigen, denen das Wild und die jagtbare Gerechtigkeiten zuständig, daß sie ihre Länder mit bei sich habenden Kunden und Gewehr von diesem beschreiten Diebsgesindel also durchstreichen lassen.

Da ich mich nun solchermaßen zwischen ihnen befande wie ein armer Sünder, den man jetzt aufknüpfen will, so daß er selbst nicht weiß, ob er noch lebendig oder bereits halb tot seie, siehe, da kam ein prächtige Zigeinerin auf einem Maulesel dahergeritten, dergleichen ich mein Tage nicht gesehen, noch von einer solchen gehöret hatte, wessenwegen ich sie dann, wo nicht gar vor die Königin, doch wenigst vor eine vornehme Fürstin aller anderer Zigeunerinnen halten mußte. Sie schiene eine Person von ungefähr sechzig Jahren zu sein, aber wie ich seithero nachgerechnet, so ist sie ein Jahr oder sechs älter. Sie hatte nicht so gar wie die andere ein pechschwarzes Haar, sonder etwas falb und dasselbe mit einer Schnur von Gold und Edelgesteinen wie mit einer Kron zusammengefaßt, an dessen Statt andere Zigeunerin nur einen schlechten Bändel oder, wanns wohl abgehet, einen Flor oder Schleier oder auch wohl gar nur eine Weide zu brauchen pflegen. In ihrem annoch frischem Angesicht sahe man, daß sie in ihrer Jugend nicht häßlich gewesen. In den Ohren trug sie ein Paar Gehenk von Gold und geschmelzter Arbeit, mit Diamanten besetzt, und um den Hals eine Schnur voll Zahlperlen, deren sich keine Fürstin hätte schämen dörfen. Ihre Serge war von keinem groben Teppich, sonder von Scharlach und durchaus mit grünem Plischsammet gefüttert, nebenher aber wie ihr Rock, der von kostbarem, grünem, englischen Tuch war, mit silbernen Posamenten verbrämt. Sie hatte weder Brust noch Wams an, aber wohl ein Paar lustiger polnischer Stiefel; ihr Hemt war schneeweiß, von reinem Auracher Leinwat, überall[130] um die Nähte mit schwarzer Seiden auf die böhmische Manier ausgenähet, woraus sie hervorschiene wie eine Heidelbeer in einer Milch. So trug sie auch ihr langes Zigeunermesser nicht verborgen underm Rock, sondern offentlich, weil sichs seiner Schöne wegen wohl damit prangen ließe. Und wann ich die Wahrheit bekennen soll, so bedunkt mich noch, der alten Schachtel seie dieser Habit sonderlich zu Esel (hätte schier zu Pferd gesagt) überaus wohl angestanden, wie ich sie dann auch noch bis auf diese Stund in meiner Einbildung sehen kann, wann ich will.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 127-131.
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