Das V. Kapitel.

Wo Courasche dem Autor ihre Lebensbeschreibung diktiert.

[131] »Nun diese tolle Zigeunerin, welche von den andern eine Gnädige Frau genannt, von mir aber vor ein Ebenbild der Dame von Babylon gehalten wurde, wann sie nur auf einem siebenköpfigen Drachen gesessen und ein wenig schöner gewesen wäre, sagte zu mir: ›Ach mein schöner weißer junger Gesell, was machst du hier so gar allein und so weit von den Leuten?‹ Ich antwortet: ›Mein großmächtige, hochgeehrte Frau, ich komm von Haus aus dem Schweizerlande und bin willens, an den Rheinstrom in eine Stadt zu reisen, entweder daselbst ein mehrers zu studieren oder einen Dienst zu bekommen: dann ich bin ein armer Schuler.‹ – ›Daß dich Gott behüte, mein Kind!‹ fragte sie, ›wolltest du mir nicht ein Tag oder vierzehn mit deiner Feder dienen und etwas schreiba? Ich wollte dir alle Tag ein Reichstaler geben.‹ Ich gedachte: ›Alle Tag ein Taler wäre nicht zu verachten; wer weiß aber, was du schreiben sollst? So großes Anerbieten ist vor suspekt zu halten.‹ Und wann sie nicht selbst gesagt hätte, daß mich Gott behüten sollte, so hätte ich vermeinet, es wäre ein Teufelsgespenst gewesen, das mich durch solches Geld verblenden und in die leidige Kongregation der Hexenzunft hätt einverleiben wollen. Mein Antwort war: ›Wann es mir nichts schadet, so will ich der Frauen schreiben, was sie begehrt.‹ – ›Ei wohl nai, mein Kind!‹ sagt sie hierauf, ›es wird dir gar nichts schaden, behüt Gott! Komm nur mit uns; ich will dir darneben auch Essen und Trinken geben, so gut ichs hab, bis du fertig sein wirst.‹

Weil dann mein Magen ebenso leer von Speisen als der Beutel öd von Gelt, zumalen ich bei diesem Diebsgeschmeiß wie ein Gefangner war, siehe, so schlendert ich mit dahin, und[131] zwar in einem dicken Wald, da wir die erste Nacht logierten, allwo sich allbereit etliche Kerl befanden, die einen schönen Hirsch zerlegten. Da gieng es nun an ein Feuermachen, Siedens und Bratens; und soviel ich sahe, auch hernach vollkommen versichert wurde, so hat die Frau Libuschka, dann also nennete sich meine Zigeunerin, alles zu kommendiern. Dieser wurde ein Zelt von weißem Barchet aufgeschlagen, welches sie auf ihrem Maulesel underm Sattel führet. Sie aber führte mich etwas beiseits, setzte sich under einen Baum, hieße mich zu ihr sitzen und zog des Simplicissimi Lebensbeschreibung hervor. ›Seht da, mein Freund,‹ sagte sie, ›dieser Kerl, von dem dies Buch handelt, hat mir ehmalen den größten Schabernack angetan, der mir die Tage meines Lebens jemal widerfahren, welches mich dergestalt schmirzt, daß mir unmüglich fällt, ihme seine Buberei ungerochen hingehen zu lassen. Dann nachdem er meiner gutwilligen Freundlichkeit genug genossen, hat sich der undankbare Vogel (mein hochgeehrter Herr verzeihe mir, daß ich ihr eigne Wort brauche) nicht gescheut, nicht allein mich zu verlassen und durch einen zuvor nie erhörten schlimmen Possen abzuschaffen; sonder er hat sich auch nicht geschämet, alle solche Handlungen, die zwischen mir und ihm vorgangen, beides, mir und ihm zu ewiger Schand, der ganzen Welt durch den offentlichen Druck zu offenbaren. Zwar hab ich ihm seine erste an mir begangene Leichtfertigkeit bereits stattlich eingetränkt; dann als ich vernommen, daß sich der schlimme Gast verheuratet, hab ich ein Jungferkindchen, welches meine Kammermagd eben damals aufgelesen, als er im Sauerbrunnen mit mir zuhielte, auf ihn taufen und ihm vor die Tür legen lassen, mit Bericht, daß ich solche Frucht von ihm empfangen und geboren hätte, so er auch glauben, das Kind zu seinem großen Spott annehmen und erziehen und sich noch darzu von der Obrigkeit tapfer strafen lassen müssen, vor welchen Betrug, daß er mir so rechtschaffen angangen, ich nicht 1000 Reichstaler nähme, vornehmlich weil ich erst neulich mit Freuden vernommen, daß dieser Bankert des betrogenen Betriegers einiger Erb sein werde.‹«

Simplicius, so mir bisher andächtig zugehöret, fiele mir hier in die Red und sagte: »Wann ich noch wie hiebevor in dergleichen Torheiten meine Freude suchte, so würde mirs keine geringe Ergetzung sein, daß ihr diese Närrin einbildet, sie habe mich hiemit hinders Liecht geführt, da sie mir doch dardurch den allergrößten Dienst getan und sich noch mit ihrem eitlen Kützlen bis auf diese Stund selbst betreugt! Dann damals, als ich sie karessierte, lag ich mehr bei ihrer Kammermagd als bei[132] ihr selbsten; und wird mir viel lieber sein, wann mein Simplicius (dessen ich nicht verleugnen kann, weil er mir sowohl im Gemüt nachartet, als im Angesicht und an Leibsproportion gleichet) von derselben Kammermagd als einer losen Zigeunerin geboren sein wird. Aber hierbei hat man ein Exempel, daß oft diejenige, so andere zu betriegen vermeinen, sich selbst betriegen, und daß Gott die große Sünden (wo kein Besserung folgt) mit noch größern Sünden zu strafen pflege, davon endlich die Verdammnüs desto größer wird. Aber ich bitte, Er fahre in seiner Erzählung fort! Was sagte sie ferners?«

Ich gehorchte und redet weiters folgendermaßen: »Sie befahle mir, ich sollte mich, ein wenig in meines hochgeehrten Herrn Lebensbeschreibung informiern, um mich darnach zu richten, dann sie wäre willens, ihren Lebenslauf auf ebendiese Gattung durch mich beschreiben zu lassen, um solche gleichfalls der ganzen weiten Welt zu kommunizieren, und das zwar dem Simplicissimo zu Trutz, damit jedermann seine begangene Torheit belache. Ich sollte mir, sagte sie, alle andere Gedanken und Sorgen, die ich etwan vor diesmal haben möchte, aus dem Sinn schlagen, damit ich diesem Werk desto besser obliegen möchte; sie wollte indessen Schreibzeug und Papier zur Hand bringen und mich nach vollendter Arbeit derstalt belohnen, daß ich zufrieden mit ihr sein müßte.

Also hatte ich die zween erste Täge anderst nichts zu tun als zu lesen, zu fressen und zu schlafen, in welcher Zeit ich auch meines hochgeehrten Herrn Lebensbeschreibung ganz expedierte. Da es aber den dritten Tag an ein Schreibens gehen sollte, wurde es unversehens Alarm; nit daß uns jemand angegriffen oder verfolgt hätte; sonder als ein einzige Zigeinerin in Gestalt eines armen Bettelweibs ankam, die eine reiche Beut von Silbergeschirr, Ringen, Schaupfennigen, Göttelgeld und allerhand Sachen, so man den Kindern zur Zierde um die Hälse zu hängen pflegt, erschnappt hatte; da war ein seltsam Gewelsch zu hören und ein geschwinder Aufbruch zu sehen. Die Courasche (dann also nennet sich diese allervornehmste Zigeinerin selbst in ihrem Trutz Simplex) stellte die Ordre und teilet das Lumpengesinde in underschiedliche Troppen aus, mit Befelch, welche Wege diese oder jene brauchen, auch wie, wo und wann sie wieder an einem gewissen Ort, den sie ihnen bestimmte, zusammenkommen sollten. Als nun die ganze Kompagnie sich in einen Augenblick wie Quecksilber zerteilet und verschwunden, gieng Courasche selbst mit den fertigsten und zwar eitel wohlbewehrten Zigeinern und Zigeinerinnen den Schwarzwald[133] hinunder in solcher unsäglichen schneller Eil, als wann sie die Sach selbst gestohlen und ihro deswegen ein ganzes Heer nachgejagt hätte. Sie höret auch nicht auf zu fliehen, und zwar als auf der obersten Höhe des Schwarzwalds, bis wir das Schutter-, Kinzger-, Peters-, Oppenauers-, Kappler-, Saßbacher- und Bielertal passiert und die hohe und große Waldungen über der Murg erlangt hatten. Daselbst wurde abermal unser Lager aufgeschlagen. Mir ward auf derselben geschwinden Reise ein Pferd undergegeben, darauf mirs nach dem gemeinen Sprichwort ergieng: ›Wer selten reit etc.‹

Ich merkte wohl, daß diese Suite der Courasche, die mit mir in 13 Pferden und eitel Männern und Weibern, aber in keinen Kindern bestunde, alles Vermögen der übrigen Zigeiner, soviel sie an Gold, Silber und Kleinodien zusammengestohlen, mit sich führte und verwahrte; über nichts verwundert ich mich mehr, als daß diese Leute alle Rick, Weg und Steg an diesen wilden, unbewohnten Orten so wohl wußten, und daß bei diesem sonst unordentlichen Gesindel alles so wohl bestellt war, ja ordentlicher zugieng als in mancher Haushaltung. Noch dieselbe Nacht, als wir kaum ein wenig gessen und geruhet hatten, wurden zwei Weiber in die Landstracht verkleidet und gegen Horb geschickt, Brod zu holen, underm Vorwand, als wann sie solches vor einen Dorfwirt einkauften, wie dann ebenfalls ein Kerl gegen Gernsbach ritte, der uns gleich den andern Tag ein paar Lägel Wein brachte, die er seinem Vorgeben nach von einem Rebmann gekauft hatte.

An diesem Ort, mein hochgeehrter Herr Simplice, hat die gottlose Courasche angefangen, mir ihren Trutz Simplex, wie sie es intituliert, oder vielmehr ihres leichtfertigen Lebens Beschreibung in die Feder zu diktieren. Sie redete gar nicht zigeinerisch, sonder brauchte eine solche Manier, die ihren klugen Verstand und dann auch dieses genungsam zu verstehen gab, daß sie auch bei Leuten gewesen und sich mit wunderbarer Verwandelung der Glücksfäll weit und breit in der Welt umgesehen und viel darin erfahren und gelernet hätte. Ich fande sie überaus rachgierig, so daß ich glaube, sie sei zu dem Anacharse selbst in die Schul gangen, aus welcher gottlosen Neigung sie dann auch besagtes Traktätel, um den Herrn zu verehren, zu ihrer eignen Hand hat schreiben lassen, von welchem ich weiters nichts melden, sonder mich auf dasselbige, weil sie es ohn Zweifel bald drucken lassen wird, bezogen haben will.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 131-134.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der seltzame Springinsfeld
Der seltzame Springinsfeld

Buchempfehlung

Aristophanes

Lysistrate. (Lysistrata)

Lysistrate. (Lysistrata)

Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon