Das VII. Kapitel.

Simplicissimi Gaukeltasch und erhaltene treffliche Losung.

[139] »Da saße ich nun, als wann mir Gott nit mehr hätte gnädig sein wollen, dem ich gleichwohl zu danken Ursach hatte, daß mich dies lose Gesindel nit gar ermordet und mich im Schlaf visitiert und mir mein wenig Geld, so ich noch zu der Zehrung bei mir trug, genommen. Und Ihr, Springinsfeld, was habt Ihr jetzt mehr vor Ursachen, über mich zu kollern, der ich doch so freiwillig erzähle, daß mich diese arge Bettel sowohl als Euch betrogen, als dern List und Bosheit gleichsamb kein Mensch, an den sie sich machen will, entgehen kann, wie dann gegenwärtigem ehrlichen Herrn Simplicissimo beinahe selbst widerfahren wäre.« Springinsfeld antwortet mir: »Nichts, nichts, gar nichts, guter Freund! Sei nur zufrieden, und hol der Teufel die Hex!« – »Mein!« antwortet ihm Simplicius, »wünsche doch der armen Tröpfin nichts Böses mehr! Hörest du nicht, daß sie allbereits ohne das der Verdamnus nahe, bis über die Ohren im Sündenschlamm, ja allerdings schon gar der Höllen im Rachen steckt? Bette darvor ein paar andächtiger Vatterunser vor sie, daß die Güte Gottes ihr Herz erleuchten und sie zu wahrer Buße bringen wolle.« – »Was?« sagte Springinsfeld, »ich wollte lieber, daß sie der Donner erschlüg!« – »Ach daß Gott walt,« antwortet Simplicius, »ich versichere dich, wann du nicht anders tust als so, daß ich umb die Wahl, die sich zwischen deiner und ihrer Seligkeit findet, keine Stiege hinunder fallen wollte.« Springinsfeld sagte darauf: »Was geheits mich?« Aber der gute Simplicius schüttelt den Kopf mit einem tiefen Seufzen.

Es war damals schier umb 2 Uhr nachmittag, und wir hatten alle drei überflüssig genug gefüttert, als Springinsfeld Simplicium fragte, womit er sich doch ernähre, und was sein Stand, Handel und Wandel wäre. Er antwortet ihm: »Das will ich dich sehen lassen, ehe ein halbe Stund vergehet.« Und als er kaum das Maul zugetan hatte, kam sein Knan und Meuder sambt einem starken Bauernknecht daher, welche zwei Paar ausgemäste Ochsen vor sich trieben und in Stall stelleten. Er verschaffte, daß besagte seine beide Alte alsobalden aus der Kälten in die warme Stub gehen mußten, welche in der Wahrheit aussahen wie ihre Bilder auf Simplicii Ewigem Kalender darstellen; und als der Knecht auch hineinkam, befahl er dem Wirt, daß er ihnen Essen und Trinken geben sollte; er selbst aber nahm den Sack, den sein Knecht getragen, und sagte dem[140] Springinsfeld: »Jetzt komm mit mir, damit du sehest, womit ich mich ernähre.« Mir aber sagte er, wann ich wollte, so könnte ich wohl auch mitgehen. Also zottelten wir alle drei auf einen volkreichen Platz, wohin Simplicius einen Tisch, eine Maß neuen Wein und ein halb Dutzend leere Gläser bringen ließe: das hatte ein Ansehen, als wann wir dorten auf offenem Markt in der größten Kälte hätten miteinander zechen wollen. Wir kriegten bald viel Zuseher, behielten aber keinen beständigen Umbstand, dieweil die grimmige Kälte einen jeden wieder fortzugehen drang. Das sahe Springinsfeld, sagte derohalben zum Simplicio: »Bruder, wilt du, daß ich dir diese Leute hier stillstehend mache?« Simplicius antwortet: »Die Kunst kann ich wohl selber, aber wann du wilt, so lasse sehen, was du kannst.« Hierauf wischte Springinsfeld mit seiner Geige herfür und fing an zu agieren und zugleich darunder zu geigen; er machte ein Maul von 3, 4, 5, 6, ja 7 Ecken, und indem er giege, musizierte er auch mit dem Maul darunter, wie er zuvor im Wirtshause getan hatte. Da aber die Geige, als welche in der Wärme gestimmt worden, kein gut in der Kälte mehr tun wollte, übte er allerhand Tierer Geschrei von dem lieblichen Waldgesang der Nachtigallen an bis auf das fürchterlich Geheul der Wölfe, beides inklusive, warvon wir dann ehender als in einer halben viertel Stund einen Umstand bekamen von mehr als 600 Menschen, die vor Verwunderung Maul und Augen aufsperrten und der Kälte vergaßen.

Simplicius befahl dem Springinsfeld zu schweigen, damit auch er dem Volk sein Meinung vorbringen könnte; als dies geschahe, sagte Simplicius zum Umstand: »Ihr Herren, ich bin kein Schreier, kein Storger, kein Quacksalber, kein Arzt, sonder ein Künstler! Ich kann zwar nit hexen, aber meine Künste seind so wunderbarlich, daß sie von vielen vor Zauberei gehalten werden; daß aber solches nit wahr sei, sonder alles natürlicherweis zugehe, ist aus gegenwärtigem Buche zu ersehen, als worinnen sich genugsame glaubwürdige Urkunden und Zeugnussen dessentwegen befinden werden.« Mit dem zog er ein Buch aus dem Sack und blättert darin herum, dem Umstand seine glaubwürdige Schein zu weisen; aber siehe, da erschienen eitel weiße Blätter. »So!« sagt er darüber, »so sehe ich wohl, ich stehe da wie Butter an der Sonnen! Ach,« sagte er zum Umstand, »ist kein Gelehrter unter euch, der mir einige Buchstaben hineinblasen könnte?« Und demnach zween Stutzer zunächst bei ihm stunden, batt er den einen, er sollte ihm nur ein wenig ins Buch blasen, mit Versicherung, daß es ihm weder an seinen Ehren noch an seiner[141] Seligkeit nichts schaden würde. Da derselbe solches getan, blättert Simplicius im Buch herum; da erschiene nichts anders als lauter Wehr und Waffen. »Ha!« sagte er, »diesem Kavalier gefallen Degen und Pistolen besser als Bücher und Buchstaben, er wird ehender ein braven Soldaten, als ein Doktor abgeben. Aber was soll mir das Gewehr in meinem Buch? es muß wieder hinaus!« Und mit dem bliese Simplicius selbst an das Buch, gleichsam als wann er dardurch geblasen, und wiese darauf dem Umstand wiederum im Umblättern nur weiße Blätter, worüber sich jedermann verwunderte. Der ander Stutzer, der neben erstgedachtem stunde, begehrte von sich selbst, auch in das Buch zu blasen; als selbiges geschehen, blättert Simplicius im Buche herum und wiese dem Stutzer und Umstand eitel Cavalliers und Dames. »Sehet,« saget er, »dieser Kavalier löffelt gern, dann er hat mir lauter junge Gesellen und Jungfern in mein Buch geblasen; was soll mir aber so viel müßige Bursch? Es seind fressende Pfänder, die mir nichts taugen; sie müssen wieder fort!« Und alsdann bliese er wieder durch das Buch und zeigte allem Umstand im Umblättern eidel Weißes. Diesem nach ließe Simplicius einen ansehenlichen Burger hineinblasen, aus dessen Ansehen ein großes Vermögen zu vermuten war; hernach umblättert er das Buch und wiese ihm und dem Umstand lauter Taler und Dukaten, sagende: »Dieser Herr hat entweder viel Geld oder wird bald viel bekommen oder wünscht doch aufs wenigst, ein ziemliche Summa zu haben; das, was er hereingeblasen, wird mein sein!« Und damit hieße er mich seinen Sack aufhalten, in welchem er wohl 300 zünnene Büchsen hatte. Dahinein bliese er durchs Buch und sagte: »So muß man diese Kerl aufheben!« wiese hernach dem Umstand abermal in seinem Buch nur weiß Papier, ließe darauf einen andern mittelmäßigen Stands hineinblasen, blättert im Buch herumer, und als eitel Würfel und Karten erschienen, sagte er: »Dieser spielt gern, hingegen ich nit; darum müssen mir die Karten wieder weg!« Und als er selbst wieder durch das Buch geblasen, zeigte er abermal dem Umstand nur weiße Blätter. Ein Fatzvogel unterm Umstand sagte, er könnte lesen und schreiben, er sollte ihn hineinblasen lassen, er wüßte, daß alsdann schöne Testimonia erscheinen würden. »O ja,« antwortet Simplicius, »diese Ehr kann Euch gleich widerfahren!« hielte ihm demnach das Buch vor, ließe ihn blasen, solang er wollte, und als es geschehen, zeigte er ihm und dem Umstand lauter Hasen-, Esels- und Narrenköpf im Umblättern und sagte: »Wann Ihr sonst nichts als meine und Eure Brüder habt hereinblasen wollen, so hättet[142] Ihrs auch wohl unterweg können lassen!« Das gab ein solches Gelächter, daß mans über das neunte Haus hörete; Simplicius aber sagte, er müsse dies Ungeziefer wieder abschaffen, könnt deren Stell wohl selbst vertretten; und mit dem bliese er wieder durch das Buch und zeigte dem Umstand wiederum wie zuvor nur weiße Blätter. »Ach!« sagt er, »wie bin ich doch so herzlich froh, daß ich dieser Narren wieder los bin worden!« Es stund einer dort, der allbereit mit Kupfer anfieng zu handlen; zu selbigem sagte Simplicius: »Mein! blaset doch auch herein, zu sehen, was Ihr könnet.« Er folgte, und als es geschehen war, wiese er ihm und andern sonst nichts als Trinkgeschirr. »Ha!« sagte Simplicius, »dies ist meinesgleichen, der trinkt gern, und ich mache gern Gesegne Gott.« Und damit klopfte er auf die Kandel und sagte ferner zu ihm: »Secht, mein Freund, in dieser Kandel steckt ein Ehrentrunk vor Euch, der Euch auch bald zuteil werden soll.« Zu mir aber sprach er, ich sollte die Gläser nacheinander einschenken, welches ich auch verrichtete. Indessen bliese er wieder durch das Buch, zeigte dem Umstand abermal weiße Blätter und sagte, so viel Trinkgeschirr könnte er vor diesmal nit füllen, er hätte selber Gläser genug zu gegenwärtiger seiner einzigen Maß Wein. Endlich ließe er einen jungen Studenten in das Buch blasen, blättert darauf um und zeigte dem Umstand lauter Schriften. »Haha!« sagte er, »bist du einmal da? Recht, ihr Herren, dies sein meine glaubwürdige Zeugnusse, davon ich euch zuvor gesagt; diese will ich in dem Buch lassen, gegenwärtigen jungen Herrn aber vor einen Gelehrten halten und ihm auch eins bringen, um daß er mir wieder zu meinen trefflichen Urkunden geholfen hat!« Und damit steckte er das Buch in Sack und machte seiner Gaukelei ein Ende.

Hingegen ließe er aus dem Umstand eine Büchse aus dem Sack langen und sagte: »Ihr Herren, habt verstanden, daß ich mich vor keinen Arzt, sonder vor einen Künstler ausgebe; das sag ich noch, aber gleichwohl kann man mich gar wohl vor einen Weinarzt halten; dann die Wein haben auch ihre Krankheiten und Mängel, die ich alle kuriern kann. Ist ein Wein weich und so zähe, daß man ihn aufhasteln könnte, so hilf ich ihm, ehe man zwanzig zählen kann, daß er im Einschenken rauschet und seine Geisterlein über das Glas hinausspringen. Ist er rahn und so rot wie ein Fuchs, so bring ich ihm seine natürliche Farb in dreien Tagen wieder. Schmeckt er nach einem schimmlichten Faß, so bring ich ihm in wenig Tagen einen solchen Geschmack zuwegen, daß man ihn vor Muskateller trinken[143] wird; ist er so sauer, als wann er in Bayern oder in Hessen gewachsen wäre, und darneben wegen seiner Jugend oder anderer Ursachen halber so trüb, daß er die Würmlöcher stopfen und beides, vor Speis und Trank, wie an teils Orten das nahrhaftig Bier gebrauchet werden könnte, sehet, ihr Herrn, so mache ich ihn alsobalden, daß ihr ihn entweder vor Malvasier oder vor spanischen oder sonst vor den allerbesten oder doch aufs wenigst vor einen guten alten Wein trinken sollet. Und diese Kunst, als die allerunglaublichste, will ich hie gegenwärtig probieren und euch deren Gewißheit vor Augen stellen.«

Demnach tät er einer Erbsen groß aus der Büchsen in ein Glas voll Wein und rühret alles untereinander; davon gosse er in das eine Glas einen Tropfen, in das ander 2, ins dritte 3 und ins 4te vier, davon sich der Wein in den Gläsern alsobalden in unterschiedliche Farben veränderte, je nachdem er wenig oder viel Tropfen in ein jedes gegossen hatte. Das fünfte Glas Wein aber, darin er nichts gegossen, verblieb, wie es war, nämlich ein neuer trüber roher Wein, wie er allererst dasselbe Jahr gewachsen. Alsdann ließe er die vornehmste aus dem Umstand diese Wein versuchen, welche sich alle über diese geschwinde Veränderung und underschiedliche Geschmack und Arten der Wein verwunderten. »Ja, ihr Herren,« fuhr er weiters fort, »nachdem ihr nun die Gewißheit dieser Kunst gesehen, so müßt ihr auch wissen, daß einer Erbsen groß dieses Elixiers in eine Maß und ein solche Büchse voll in einen Ohmen zuviel sei, den Wein aufs allerhöchste zu verbessern und ihn dem spanischen Wein oder Malvasier gleichzumachen, derjenige neue Wein, den man verändern will, seie dann gar zu sauer. Wer nun Lust hat, lieber einen delikaten als sauren Wein zu trinken, der mag mir heut von diesem Elixier abkaufen, dann morgen findet er ein Büchsel wohl nit mehr feil um 6 Batzen wie heut, sintemal was mir übrigbleibt, morgen einen halben Gulden gelten muß, zwar nit eben darum, daß ich so gar nötig Geld brauche, sondern weil ichs mit diesem Elixier mache wie die Sibylla mit ihren Büchern.« Wir hatten damals bei 1000 Personen zum Umstand, mehrenteils erwachsene Mannsbilder, und da es an ein Kaufens gieng, hatte Simplicius beinahe nicht Hände genung, Geld einzunemmen und Büchsen hinzugeben, ich aber verspendierte den vorhabenden Wein vollends, den er mir jeweils mit seiner Mixtur nachtemperierte. Und ehe ein halb Stund herum war, hatte er allbereit seine Büchsen versilbert und sein gut bar Geld darvor eingenommen, also daß er die halben Teil Leut, so deren noch begehrten, mußte leer hingehen lassen.[144]

Nach diesem Verlauf schaffte er Tischgläser und Kannen wieder an sein Ort, und als er dem Verleiher seinen Willen darvor gemacht, giengen wir wieder miteinander in unser Herberg, allwo Simplici Knan die 4 Ochsen allbereit um hundertunddreißig Reichstaler verkauft hatte und fertig war, Simplicio das Geld darzuzählen. »Siehest du nun,« sagte Simplicius zum Springinsfeld, »womit ich mich ernähre?« – »Freilich siehe ichs,« antwortet Springinsfeld; »ich hab vermeinet, ich sei ein Rabbi, Geld zu machen, aber jetzt sehe ich wohl, daß du mich weit übertriffst; ja ich glaube, der Teufel selbst sei nur vor ein spitzigs Lederlein gegen dir zu rechnen.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 139-145.
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