Das 11. Kapitel

[526] Simplici seltsamer Diskurs mit einem Schermesser


Mein Gastherr hatte ein halbes Tümmelchen da er mich heimbrachte, dahero wollte er desto genauer von mir wissen, woher, wohin, was Profession und dergleichen; und da er hörete, daß ich ihm von so vielen unterschiedlichen Ländern die ich mein Tage durchstrichen, zu sagen wußte, welche sonst nicht bald einem jeden zu sehen werden, als von der Moskau, Tartarei, Persien, China, Türkei, und unsern Antipodibus, verwundert' er sich trefflich und traktierte mich mit lauter Veltliner und Etsch-Wein; er hatte selbst Rom, Venedig, Ragusa, Konstantinopel und Alexandriam gesehen; als derowegen ich ihm viel Wahrzeichen und Gebräuch von solchen Örtern zu sagen wußte, glaubte er mir auch was ich ihm von ferneren Ländern und Städten aufschnitt, denn ich regulierte mich nach Samuels von Golau Reimen, wenn er spricht:


»Wer lügen will der leug von ferne!

Wer zeugt dahin, erfährets gerne?«


Und da ich sah daß es mir so wohl gelang, kam ich mit meiner Erzählung fast in der ganzen Welt herum; da war ich selbst in des Plinii dickem Wald gewesen, welchen man bisweilen bei den Aquis Cutiliis antreffe, denselben aber hernach, wenn man ihn mit höchstem Fleiß suche, gleichwohl weder bei Tag noch Nacht mehr finden könne; ich hatte selbst von dem lieblichen Wundergewächs Borametz in der Tartarei gessen, und wiewohl ich dasselbe mein Tage nicht gesehen, so konnte ich jedoch meinem Wirt von dessen anmutigem Geschmack dermaßen diskurieren, daß ihm das Maul wässerig davon wurde; ich sagte, es hat ein Fleischlein wie ein Krebs, das hat ein Farb wie ein Rubin oder roter Pfirsich, und einen Geruch der sich beides den Melonen und Pomeranzen vergleicht; benebens erzählte ich ihm auch in was Schlachten, Scharmützeln und Belagerungen ich mein Tage gewesen wär, log aber auch etwas mehrers dazu, weil[527] ich sah daß ers so haben wollte; maßen er sich mit solchem und dergleichen Geschwätz wie die Kinder mit den Märlein aufziehen ließ, bis er darüber entschlief, und ich in eine wohl akkomodierte Kammer zu Bett geführt wurde, da ich dann in einem sanften Bett ohneingewiegt einschlief, welches mir lange nicht widerfahren war.

Ich erwachte viel früher als die Hausgenossen selbst, konnte aber drum nicht aus der Kammer kommen, eine Last abzulegen, die zwar nicht groß, aber doch sehr beschwerlich war, sie über die bestimmte Zeit zu tragen; fand mich aber hinter einer Tapezerei mit einem hierzu bestimmten Ort, welchen etliche eine Kanzlei zu nennen pflegen, viel besser versehen, als ich in solcher Not hätt hoffen dürfen; daselbst hinsetzte ich mich eilends zu Gericht, und bedachte wie weit meine edle Wildnis dieser wohlgezierten Kammer vorzuziehen wäre, als in welcher beides Fremd und Heimisch an jeden Orten und Enden ohne Erduldung einer solchen Angst und Drangsal, die ich dazumal überstanden hatte, stracks niederhocken könnte; nach Erörterung der Sach, als ich eben an des Baldanders Lehr und Kunst gedachte, langte ich aus einem neben mir hangenden Garvier ein Oktav von einem Bogen Papier, an demselbigen zu exequieren wozu es, neben andern mehr seiner Kameraden, kondemniert und daselbst gefangen war. »Ach!« sagte dasselbige, »so muß ich denn nun auch für meine treu geleisten Dienste und lange Zeit überstandenen vielfältigen Peinigungen, zugenötigten Gefahren, Arbeiten, Ängste, Elend und Jammer, nun erst den allgemeinen Dank der ungetreuen Welt erfahren und einnehmen? ach warum hat mich nit gleich in meiner Jugend ein Fink oder Goll aufgefressen, und alsobald Dreck aus mir gemacht, so hätte ich doch meiner Mutter der Erden gleich wiederum dienen, und durch meine angeborne Feistigkeit ihro ein liebliches Waldblümlein oder Kräutlein hervorbringen helfen können, ehe daß ich einem solchen Landfahrer den Hintern hätt wischen, und meinen endlichen Untergang im Scheißhaus nehmen müssen; oder warum werde ich nicht in eines Königs von Frankreich Sekret gebraucht, dem der von Navarra den[528] Arsch wischt? wovon ich denn viel größer Ehr gehabt hätte, als einem entlaufenen Monacho zu Dienst zu stehen?« Ich antwortet: »Ich höre an deinen Reden wohl, daß du ein nichtswertiger Gesell, und keines andern Begräbnis' würdig seist als eben desjenigen, darin ich dich jetzunder senden werde; und wird gleich gelten, ob du durch einen König oder Bettler an ein solchen stinkend Ort begraben wirst, davon du so grob und unhöflich sprechen darfst, dessen aber ich mich hingegen herzlich gefreuet; hast du aber etwas deiner Unschuld und dem menschlichen Geschlecht treugeleisteter Dienste wegen vorzubringen, so magst du es tun, ich will dir gern, weil noch jedermann im Hause schläft, Audienz geben, und dich nach befindenden Dingen von deinem gegenwärtigen Untergang und Verderben konservieren.«

Hierauf antwortet' das Schermesser: »Meine Voreltern sind erstlich nach Plinii Zeugnis lib. 20 cap. 97 in einem Wald, da sie auf ihrem eignen Erdreich in erster Freiheit wohnten und ihr Geschlecht ausbreiteten, gefunden, in menschliche Dienste als ein wildes Gewächs gezwungen und namentlich Hanf genannt wor den; von denselbigen bin ich zu Zeiten Wenceslai in dem Dorf Goldscheur als ein Samen entsprossen und erzielt, von welchem Ort man sagt, daß der beste Hanfsamen in der Welt wachse; daselbst nahm mich mein Erzieler von den Stengeln meiner Eltern, und verkaufte mich gegen den Frühling einem Krämer, der mich unter andern fremden Hanfsamen mischte und mit uns schacherte; derselbe Krämer gab mich folgends einem Bauren in der Nachbarschaft zu kaufen, und gewann an jedem Sester einen halben Goldgulden, weil wir unversehens aufschlugen und teuer wurden; war also gemeldter Krämer der zweite so an mir gewann, weil mein Erzieler der mich anfänglich verkaufte, den ersten Gewinn schon hinweghatte; der Bauer aber so mich vom Krämer erhandelt, warf mich in einen wohlgebauten fruchtbaren Acker, allwo ich im Gestank des Roß- Schwein- Kühe- und andern Mists vermodern und ersterben mußte; doch brachte ich aus mir selbsten einen hohen stolzen Hanfstengel hervor, in welchen[529] ich mich nach und nach veränderte, und stracks zu mir selbst in meiner Jugend sagte: ›Nun wirst du gleich deinen Urahnen ein fruchtbarer Vermehrer deines Geschlechts werden, und mehr Körnlein Samen hervorbringen, als jemals einer aus ihnen nicht getan.‹ Aber kaum hatte sich meine Frechheit mit solcher eingebildeten Hoffnung ein wenig gekitzelt, da mußte ich von vielen Vorübergehenden hören: ›Schauet, was für ein großer Acker voll Galgenkraut!‹ welches ich und meine Brüder alsobalden für kein gut Omen für uns hielten, doch trösteten uns hinwiederum etlicher ehrbaren alten Bauren Reden, wenn sie sagten: ›Sehet! was für ein schöner trefflicher Hanf ist das!‹ Aber leider! wir wurden bald hernach gewahr, daß wir von den Menschen beides wegen ihres Geizes und ihrer armseligen Bedürftigkeit nit da gelassen würden, unser Geschlecht ferners zu propagieren; allermaßen als wir bald Samen zu bringen vermeinten, wir von unterschiedlichen starken Gesellen ganz unbarmherzigerweis aus dem Erdreich gezogen, und als gefangene Übeltäter in große Gebund zusammengekuppelt worden, für welche Arbeit sie denn ihren Lohn, und also den dritten Gewinn empfingen, so die Menschen von uns einzuziehen pflegen.

Damit wars aber noch lang nit genug, sondern unser Leiden und der Menschen Tyrannei fing erst an; aus uns, einem namhaften Gewächs! ein pures Menschengedicht (wie etliche das liebe Bier nennen) zu verkünsteln; denn man schleppte uns in eine tiefe Gruben, packte uns übereinander und beschwerte uns dermaßen mit Steinen, gleichsam als wenn wir in einer Preß gesteckt wären; und hiervon kam der vierte Gewinn denjenigen zu, die solche Arbeit verrichteten; folgends ließ man die Gruben voll Wasser laufen, also daß wir überall überschwemmt würden, gleichsam als ob man uns erst hätte ertränken wollen, unangesehen allbereit schwache Kräfte mehr bei uns waren; in solcher Presse ließ man uns sitzen bis die Zierde unserer ohnedas bereits verwelkten Blätter folgends verfaulte, und wir selbst beinahe erstickten und verdarben. Alsdann ließ man erst das Wasser wieder ablaufen, trug uns aus, und setzte uns[530] auf einen grünen Wasen, allwo uns bald Sonn, bald Regen, bald Wind zusetzte, also daß sich die liebliche Luft selbsten ob unserem Elend und Jammer entsetzte, veränderte, und alles um uns herum verstänkerte, daß schier niemand bei uns vorüberging, der nit die Nasen zuhielt, oder doch wenigst sagte: ›Pfui Teufel!‹ Aber gleichwohl bekamen diejenigen so mit uns umgingen den fünften Gewinn zu Lohn; In solchem Stand mußten wir verharren, bis beides Sonn und Wind uns unserer letzteren Feuchtigkeit beraubt, und uns mitsamt dem Regen wohl gebleicht hatten; darauf wurden wir von unserem Bauren einem Hänfer oder Hanfbereiter um den sechsten Gewinn verkauft. Also bekamen wir den vierten Herrn, seit ich nur ein Samkörnlein gewesen war; derselbe legte uns unter einen Schopf in eine kurze Ruhe, nämlich so lang bis er anderer Geschäfte halber der Weil hatte und Taglöhner haben konnte, uns ferners zu quälen; da denn der Herbst und alle anderen Feldarbeiten vorbei waren, nahm er uns nach einander hervor, stellte uns zweidutzendweis in ein kleines Stübel hinter dem Ofen, und heizte dermaßen ein, als wenn wir die Franzosen hätten ausschwitzen sollen, in welcher höllischen Not und Gefahr ich oft gedachte, wir würden dermaleins samt dem Haus in Flammen gen Himmel fahren, wie denn auch oft geschiehet; wenn wir dann durch solche Hitz viel feuerfähiger wurden als die besten Schwefelhölzlein, überantwortet' er uns noch einem strengen Henker, welcher uns handvollweis unter die Brech nahm, und alle unsere innerlichen Gliedmaßen hunderttausendmal kleiner zerstieß, als man dem ärgsten Erzmörder mit dem Rad zu tun pflegt; uns hernach aus allen Kräften um einen Stock herum schlagend, damit unsere zerbrochenen Gliedmaßen sauber herausfallen sollten, also daß es ein Ansehen hatte, als wenn er unsinnig worden wäre, und ihm der Schweiß, und zuzeiten auch ein Ding so sich darauf reimet, darüber ausging; hierdurch wurde dieses der siebente, so unsertwegen einen Gewinn hintrug.

Wir gedachten, nunmehr könnte nichts mehr ersonnen werden, uns ärger zu peinigen, vornehmlich weil wir dergestalt voneinander separiert, und hingegen doch miteinander[531] also konjungiert und verwirret waren, daß jeder sich selbst und das Seinig nicht mehr kannte; sondern jedweder Haar oder Bast gestehen mußte, wir wären gebrechter Hanf; aber man brachte uns erst auf eine Blauel, allda wir solchermaßen gestampft, gestoßen, zerquetscht, geschwungen, und mit einem Wort zu sagen zerrieben und abgeblauelt worden, als wenn man lauter Amianthum, Asbeston, Bissinum, Seiden, oder wenigst einen zarten Flachs aus uns hätte machen wollen; und von solcher Arbeit genoß der Blauler den achten Gewinn, den die Menschen von mir und meinsgleichen schöpfen. Noch selbigen Tag wurde ich als ein wohlgeblauelter und geschwungner Hanf erst etlichen alten Weibern und jungen Lehrdirnen übergeben, die mir erst die allergrößte Marter antaten, als ich noch nie erfahren, denn sie anatomierten mich auf ihren unterschiedlichen Hecheln dermaßen, daß es nicht auszusprechen ist; da hechelt' man erstlich den groben Kuder, folgends den Spinnhanf und zuletzt den schlechten Hanf von mir hinweg, bis ich endlich als ein zarter Hanf und feines Kaufmannsgut gelobt, und zum Verkauf zierlich gestrichen, eingepackt und in einen feuchten Keller gelegt wurde, damit ich im Angriff desto linder, und am Gewicht desto schwerer sein sollte; solchergestalt erlangte ich abermal eine kurze Ruhe, und freute mich, daß ich dermaleins durch Überstehung so vielen Leids und Leidens zu einer Materi worden, die euch Menschen so nötig und nützlich wäre. Indessen hatten besagte Weibsbilder den neunten Lohn von mir dahin, welches mir einen sonderbaren Trost und Hoffnung gab, wir würden nunmehr (weil wir die neunte als eine englische und allerwunderbarlichste Zahl erlangt und erstritten hätten) aller Marter überhoben sein.«

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 526-532.
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