Das 19. Kapitel

[566] Simplicius und der Zimmermann kommen mit dem Leben davon, und werden nach dem erlittenen Schiffbruch mit einem eignen Land versehen


Meine Landsleut sprachen mir zu, daß ich mich anders kleiden ließe, und weil ich nichts zu tun hatte, machte ich Kundschaft zu allen Europäern, die mich beides aus christlicher Liebe und meines wunderbarlichen Bezeugnis halber gern um sich hatten und oft zu Gast luden; und demnach sich schlechte Hoffnung erzeigte, daß der damaszenische Krieg in Syria und Judaea bald ein Loch gewinnen würde, damit ich meine Reis nach Jerusalem wiederum vornehmen und vollenden möchte, wurde ich andern Sinns, und entschloß mich, mit einer großen portugiesischen Kracke (so wegfertig stand mit Kaufmannschaft nach Haus zu fahren) nach Portugal zu begeben, und anstatt der Wallfahrt nach Jerusalem St. Jakob zu Compostel zu besuchen, nachgehends aber mich irgends in Ruhe zu setzen, und dasjenige so mir Gott beschert zu verzehren; und damit solches ohne meinen sonderen Kosten (denn sobald ich soviel Geld kriegte, fing ich an zu kargen) beschehen könnte, überkam ich mit dem portugiesischen Oberkaufmann auf dem Schiff, daß er alles mein Geld annehmen, selbigs in seinen Nutzen verwenden, mir aber solches in Portugal wieder zustellen, und interim anstatt Interesse mich auf das Schiff an seine Tafel nehmen, und mit sich nach Haus führen sollte; dahingegen sollte ich mich zu allen Diensten zu Wasser und Land wie es die Gelegenheit und des Schiffs Notdurft erfordern würde, unverdrossen gebrauchen lassen; also machte ich die Zech ohne den Wirt, weil ich nicht wußte, was der liebe Gott mit mir zu verschaffen vorhatte; und nahm ich diese weite und gefährliche Reis um soviel desto begieriger vor, weil die verwichne auf dem Mittelländischen Meer so glücklich abgangen.

Als wir nun zu Schiff gangen, vom Sinu Arabico oder Roten Meer auf den Oceanum kommen und erwünschten[567] Wind hatten, nahmen wir unsern Lauf das Caput bonae speranzae zu passiern, segelten auch etliche Wochen so glücklich dahin, daß wir uns kein ander Wetter hätten wünschen können; da wir aber vermeinten, nunmehr bald gegenüber der Insel Madagaskar zu sein, erhob sich jähling ein solches Ungestüm daß wir kaum Zeit hatten die Segel einzunehmen; solches vermehrte sich je länger je mehr, also daß wir auch die Mast' abhauen und das Schiff dem Willen und Gewalt der Wellen lassen mußten; dieselben führten uns in die Höhe gleichsam an die Wolken, und im Augenblick senkten sie uns wiederum bis auf den Abgrund hinunter, welches bei einer halben Stund währete und uns trefflich andächtig beten lernet'; endlich warfen sie uns auf eine verborgene Steinklippe mit solcher Stärke, daß das Schiff mit grausamen Krachen zu Stücken zerbrach, wovon sich ein jämmerlichs und elendes Geschrei erhob; da wurde dieselbe Gegend gleichsam in einem Augenblick mit Kisten, Ballen und Trümmern vom Schiff überstreut; da sah und hörete man hie und dort oben auf den Wellen und unten in der Tiefe die unglückseligen Leut an denjenigen Sachen hangen, die ihnen in solcher Not am allerersten in die Hände geraten waren, welche mit elendem Geheul ihren Untergang bejammerten, und ihre Seelen Gott befahlen. Ich und ein Zimmermann lagen auf einem großen Stück vom Schiff, welches etliche Zwerchhölzer behalten hatte, daran wir uns festhielten und einander zusprachen; mithin legten sich die grausamen Wind allgemach, davon die wütenden Wellen des zornigen Meers sich nach und nach besänftigten und geringer wurden; hingegen aber folgte die stickfinstere Nacht mit einem schrecklichen Platzregen, daß es das Ansehen hatte, als hätten wir mitten im Meer von oben herab ersäuft werden sollen; das währete bis um Mitternacht, in welcher Zeit wir große Not erlitten hatten; darauf wurde der Himmel wieder klar, also daß wir das Gestirn sehen konnten, an welchem wir vermerkten, daß uns der Wind je länger je mehr von der Seiten Africae in das weite Meer gegen Terram Australem incognitam hineintrieb, welches uns beide sehr bestürzt machte; gegen Tag wurde es abermal[568] so dunkel, daß wir einander nicht sehen konnten wiewohl wir nahe beieinander lagen; in dieser Finsternis und erbärmlichem Zustand trieben wir immer fort, bis wir unversehens inne wurden, daß wir auf dem Grund sitzen blieben und stillhielten. Der Zimmermann hatte ein Axt in seinem Gürtel stecken, damit visitiert' er die Tiefe des Wassers und fand auf der einen Seiten nicht wohl schuhtief Wassers, welches uns herzlich erfreute und ohnzweifelige Hoffnung gab, Gott hätte uns irgendshin an Land geholfen, das uns auch ein lieblicher Geruch zu verstehen gab, den wir empfanden, als wir wieder ein wenig zu uns selbst kamen; weil es aber so finster und wir beide ganz abgemattet, zumalen des Tags ehestens gewärtig waren, hatten wir nicht das Herz uns ins Wasser zu legen und solches Land zu suchen, ohnangesehen wir allbereit weit von uns etliche Vögel singen zu hören vermeinten, wie es denn auch nicht anders war; sobald sich aber der liebe Tag im Osten ein wenig erzeigte, sahen wir durch die Düstere ein wenig Land mit Büschen bewachsen allernächst vor uns liegen, derowegen begaben wir uns alsobalden gegen dasselbige ins Wasser, welches je länger je seichter wurde, bis wir endlich mit großen Freuden auf das trockene Land kamen; da fielen wir nieder auf die Knie, küßten den Erdboden und dankten Gott im Himmel, daß er uns so väterlich erhalten und ans Land gebracht; und solchergestalt bin ich in diese Insel kommen.

Wir konnten noch nicht wissen, ob wir auf einem bewohnten oder unbewohnten, auf einem festen Land, oder nur auf einer Insel waren; aber das merkten wir gleich, daß es ein trefflicher fruchtbarer Erdboden sein müßte, weil alles vor uns gleichsam so dick wie ein Hanfacker mit Büschen und Bäumen bewachsen war, also daß wir kaum dadurch kommen konnten; als es aber völlig Tag worden, und wir etwa ein Viertelstunde Wegs vom Gestad an durch die Büsche geschloffen waren, und der Orten nicht allein keine einzige Anzeigung einziger menschlichen Wohnung verspüren konnten, sondern noch dazu hin und wieder viel fremde Vögel, die sich gar nichts vor uns scheuten, ja mit den Händen[569] fangen ließen, antrafen, konnten wir unschwer erachten, daß wir auf einer zwar unbekannten, aber jedoch sehr fruchtbaren Insel sein müßten; wir fanden Zitronen, Pomeranzen und Kokos, mit welchen Früchten wir uns trefflich wohl erquickten, und als die Sonne aufging, kamen wir auf eine Ebne, welche überall mit Palmen (davon man den Vin de Palm hat) bewachsen war; welches meinen Kameraden, der denselbigen nur viel zu gern trank, auch mehr als zuviel erfreute; daselbsthin setzten wir uns nieder an die Sonne, unsere Kleider zu trocknen, welche wir auszogen, und zu solchem End an die Bäum aufhängten, vor uns selbst aber in Hemden herumspazierten; mein Zimmermann hieb mit seiner Axt in einen Palmitenbaum, und befand daß sie reich von Wein waren, wir hatten aber drum kein Geschirr solchen aufzufangen, wie wir denn auch beide unsere Hüt' im Schiffbruch verlorn.

Als die liebe Sonne nun unsere Kleider wieder getrocknet, zogen wir selbige an, und stiegen auf das felsichte hohe Gebirg, so auf der rechten Hand gegen Mitternacht zwischen dieser Ebne und dem Meer liegt, und sahen uns um; befanden auch gleich, daß wir auf keinen festen Landen sondern nur in dieser Insel waren, welche im Umkreis über anderthalbe Stund Gehens nicht begriff; und weil wir weder nahe noch fern keine Landschaft, sondern nur Wasser und Himmel sahen, wurden wir beide betrübt, und verloren alle Hoffnung inskünftig wiederum Menschen zu sehen; doch tröstete uns hinwiederum, daß uns die Güte Gottes an diesen gleichsam sichern, und allerfruchtbarsten, und nicht an einen solchen Ort gesandt hatte, der etwa unfruchtbar, oder mit Menschenfressern bewohnet gewesen wäre; darauf fingen wir an zu gedenken, was uns zu tun oder zu lassen sein möchte; und weil wir gleichsam wie Gefangne in dieser Insel beieinander leben mußten, schwuren wir einander beständige Treu. Das besagte Gebirg saß und floh nicht allein voller Vögel von unterschiedlichen Geschlechten, sondern es lag auch so voll Nester mit Eiern, daß wir uns nicht genugsam darüber verwundern konnten; wir tranken der Eier etliche aus, und nahmen noch mehr mit uns das Gebirg[570] herunter, an welchem wir die Quell des süßen Wassers fanden, welches sich gegen Osten so stark, daß es wohl ein geringes Mühlrad treiben könnte, in das Meer ergießt, darüber wir abermal eine neue Freud empfingen, und miteinander beschlossen, bei derselbigen Quell unsere Wohnung anzustellen.

Zu solcher neuen Haushaltung hatten wir beide keinen andern Hausrat als eine Axt, einen Löffel, drei Messer, eine Piron oder Gabel, und eine Scher, sonst war nichts vorhanden; mein Kamerad hatte zwar ein Dukat oder dreißig bei sich, welche wir gern für ein Feurzeug gegeben, wenn wir nur eins dafür zu kaufen gewußt hätten; aber sie waren uns nirgends zu nichts nutz, ja weniger wert als mein Pulverhorn, welches noch mit Zündkraut gefüllt; dasselbe dörrete ich (weil es so weich als ein Brei war) an der Sonnen, zettelte davon auf einen Stein, belegte es mit leichtbrennender Materia, deren es von Moos und Baumwoll von den Kokos-Bäumen genugsam gab, strich darauf mit einem Messer durchs Pulver und fing also Feur, welches uns so hoch erfreute, als die Erlösung aus dem Meer; und wenn wir nur Salz, Brot und Geschirr gehabt hätten, unser Getränk hinein zu fassen, so hätten wir uns für die allerglückseligsten Kerl in der Welt geschätzt, obwohl wir vor vierundzwanzig Stunden unter die unglücklichsten gerechnet werden mögen, so gut, getreu und barmherzig ist Gott, dem sei Ehr in Ewigkeit, Amen.

Wir fingen gleich etwas von Geflügel, dessen die Menge bei uns ohne Scheu herumging, rupftens, wuschens, und stecktens an ein hölzernen Spieß; da fing ich an Braten zu wenden, mein Kamerad aber schaffte mir indessen Holz herbei und verfertigte eine Hütte, uns, wenn es vielleicht wieder regnen würde, vor demselben zu beschirmen, weil der indianische Regen gegen Afrika sehr ungesund zu sein pflegt; und was uns an Salz abging, ersetzten wir mit Zitronensaft, unser Speisen geschmacksam zu machen.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 566-571.
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