Das 2. Kapitel

[488] Wie sich Luzifer verhielt, als erfrische Zeitung vom geschloßnen Teutschen Frieden kriegte


Wir lesen, daß vorzeiten bei den Gott ergebenen heiligen Gliedern der christlichen Kirche die Mortifikation oder Abtötung des Fleisches vornehmlich in Beten, Fasten und Wachen bestanden; gleichwie nun aber ich mich der ersten beiden Stück wenig befliß, also ließ ich mich auch durch die süße Betöberung des Schlafs stracks überwinden, sooft mir nur zugemutet ward, solche Schuldigkeit (das wir denn mit allen Tieren gemein haben) der Natur abzulegen; einsmals faulenzte ich unter einer Tannen im Schatten, und gab meinen unnützen Gedanken Gehör, die mich fragten, ob der Geiz oder die Verschwendung das größte oder ärgste Laster sei? ich habe gesagt meinen unnützen Gedanken! und das sag ich noch! denn Lieber, was hatte ich mich um[488] die Verschwendung zu bekümmern, da ich doch nichts zu verschwenden vermochte? und was ging mich der Geiz an, indem mein Stand, den ich mir selbst freiwillig erwählet, von mir erfordert', in Armut und Dürftigkeit zu leben? aber o Torheit, ich war dennoch so hart verbeißt, solches zu wissen, daß ich mir dieselbigen Gedanken nicht mehr ausschlagen konnte, sondern darüber einschlummerte! Womit einer wachend hantiert, damit pflegt einer gemeiniglich auch träumend vexiert zu werden, und solches widerfuhr mir damals auch. Denn sobald ich die Augen zugetan hatte, sah ich in einer tiefen abscheulichen Klingen den höllischen Großfürsten Luciferum zwar auf seinem Regimentsstuhl sitzen, aber mit einer Ketten angebunden, daß er seines Gefallens in der Welt nicht wüten könnte; die vielen der höllischen Geister mit denen er umgeben, begnügten durch ihr fleißigs Aufwarten die Größe seiner höllischen Macht; als ich nun dieses Hofgesind betrachtete, kam ohnversehens ein schneller Postillion durch die Luft geflogen, der ließ sich vorm Luzifer nieder und sagte: »O großer Fürst, der geschlossene Teutsche Frieden hat beinahe ganz Europam wiederum in Ruhe gesetzt; das ›Gloria in excelsis‹ und ›Te Deum Laudamus‹ erschallet aller Orten gen Himmel, und jedermann wird sich befleißen unter seinem Weinstock und Feigenbaum hinfürder Gott zu dienen.« Sobald Luzifer diese Zeitung kriegte, erschrak er anfänglich ja so sehr, als heftig er den Menschen solche Glückseligkeit mißgönnet; indem er sich aber wieder ein wenig erholete, und bei sich selbst ermaß, was für Nachteil und Schaden sein höllisches Reich am bishero gewohnten Interesse leiden müßte, griesgramet' er schrecklich! er knarpelt' mit den Zähnen so greulich, daß er weit und breit fürchterlich zu hören war, und seine Augen funkelten so grausam vor Zorn und Ungeduld, daß ihm schwefelichte Feurflammen gleichsam wie der Blitz herausschlugen und sein ganze Wohnung erfülleten; also daß sich nicht allein die armen verdammten Menschen und geringen höllischen Geister, sondern auch seine vornehmsten Fürsten und geheimsten Rät selbst davor entsetzten; zuletzt lief er mit den Hörnern wider die Felsen,[489] daß die ganze Höll davon zitterte, und fing dergestalt an zu wüten und toben, daß die Seinigen sich nichts anders einbilden konnten, als er würde entweder gar abreisen, oder ganz toll und töricht werden; maßen sich eine Zeitlang niemand erkühnen durfte sich zu ihm zu nahen, weniger ein einziges Wörtlein mit ihm zu sprechen.

Endlich wurde Belial so keck und sagte: »Großmächtiger Fürst, was sind das für Gebärden von einer solchen unvergleichlichen Hoheit? wie? hat der größte Herr seiner selbst vergessen? oder was soll uns doch diese ungewöhnliche Weis bedeuten, die Eurer herrlichen Majestät weder nützlich noch rühmlich sein kann?« »Ach!« antwortet' Luzifer, »ach! ach wir haben allesamt verschlafen und durch unsere eigene Faulheit zugelassen, daß lerna malorum, unser liebstes Gewächs, das wir auf dem ganzen Erdboden hatten, und mit so großer Mühe gepflanzt, mit so großem Fleiß erhalten, und die Früchte davon jeweils mit so großem Wucher eingesammelt, nunmehr aus den teutschen Grenzen gereutet, auch wenn wir nicht anders dazu tun, besorglich aus ganz Europa geworfen wird! und gleichwohl ist keiner unter euch allen, der solches recht beherzige! Ists uns nicht allen eine Schand, daß wir die wenigen Täglein welche die Welt noch vor sich hat, so liederlich verstreichen lassen? ihr schläferigen Maulaffen, wißt ihr nicht daß wir in dieser letzten Zeit unsere reichste Ernt haben sollen? das ist mir gegen das End der Welt auf Erden schön dominiert, wenn wir wie die alten Hund zur Jagd verdrossen und untüchtig werden wollen; der Anfang und Fortgang des Kriegs sah unserm verhofften fetten Schnitt zwar gleich, was haben wir aber jetzt zu hoffen? da Mars Europam bis auf Polen quittiert, dem lerna malorum auf dem Fuß nachzufolgen pflegt.«

Als er diese Meinung vor Bosheit und Zorn mehr herausgedonnert, als geredet hatte, wollte er die vorige Wut wieder angehen; aber Belial machte daß er sichs noch enthielt, da er sagte: »Wir müssen deswegen den Mut nicht sinken lassen, noch uns gleich stellen wie die schwachen Menschen die ein widerwärtiger Wind anbläst, weißt du nicht, o[490] großer Fürst, daß mehr durch den Wein als durchs Schwert fallen? sollte dem Menschen, und zwar den Christen, ein geruhiger Fried, welcher die Wollust auf dem Rücken mit sich bringt, nicht schädlicher sein als Mars? ist nicht gnug bekannt, daß die Tugenden der Braut Christi nie heller leuchten als mitten in höchster Trübsal?« »Mein Wunsch und Will aber ist«, antwortet' Luzifer, »daß die Menschen sowohl in ihrem zeitlichen Leben in lauter Unglück, als nach ihrem Hinsterben in ewiger Qual sein sollen; dahingegen unsere Saumsal endlich zugeben wird, daß sie zeitliche Wohlfahrt genießen, und endlich noch dazu die ewige Seligkeit besitzen werden.« »Ha«, antwortet' Belial, »wir wissen ja beide meine Profession, vermittelst deren ich wenig Feiertag halten, sondern mich dergestalt tummeln werde, deinen Willen und Wunsch zu erlangen, daß lerna malorum noch länger bei Europa verbleiben, oder doch diese Dam' andere Kletten ins Haar kriegen soll; allein wird deine Hochheit auch bedenken, daß ich nichts erzwingen kann, wenn ihr das Numen ein anders gönnet.«

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 488-491.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der abenteuerliche Simplicissimus (Ausgabe 1956)
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch: Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus
Der abenteuerliche Simplicissimus (Fischer Klassik)
Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch: Aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts und mit einem Nachwort von Reinhard Kaiser