Das 15. Kapitel

[44] Simplicius wird spoliert, und läßt sich von den Baurn wunderlich träumen, wie es zu Kriegszeiten hergehet


Als ich wieder heimkam, befand ich, daß mein Feurzeug und ganzer Hausrat, samt allem Vorrat an meinen armseligen Essenspeisen, die ich den Sommer hindurch in meinem Garten erzogen, und auf künftigen Winter vorm Maul erspart hatte, miteinander fort war: Wo nun hinaus? gedachte ich, damals lernete mich die Not erst recht beten; Ich gebot allem meinem wenigen Witz zusammen, zu beratschlagen, was mir zu tun oder zu lassen sein möchte? Gleich wie aber meine Erfahrenheit schlecht und gering war, also konnte ich auch nichts Rechtschaffenes schließen, das Beste war, daß ich mich Gott befahl, und mein Vertrauen allein auf ihn zu setzen wußte, sonst hätte ich ohn Zweifel desperieren und zu Grund gehen müssen: Überdas lagen mir die Sachen, so ich denselben Tag gehöret und gesehen, ohn Unterlaß im Sinn, ich dachte nicht soviel um Essenspeis und[44] meiner Erhaltung nach, als derjenigen Antipathia, die sich zwischen Soldaten und Bauren enthält, doch konnte meine Alberkeit nichts ersinnen, als daß ich schloß, es müßten ohnfehlbar zweierlei Menschen in der Welt sein, so nicht einerlei Geschlechts von Adam her, sondern wilde und zahme wären, wie andere unvernünftige Tier, weil sie einander so grausam verfolgen.

In solchen Gedanken entschlief ich vor Unmut und Kälte, mit einem hungerigen Magen, da dünkte mich, gleichwie in einem Traum, als wenn sich alle Bäum, die um meine Wohnung standen, jähling veränderten, und ein ganz ander Ansehen gewönnen, auf jedem Gipfel saß ein Kavalier, und alle Äst wurden anstatt der Blätter mit allerhand Kerlen geziert, von solchen hatten etliche lange Spieß, andere Musketen, kurze Gewehr, Partisanen, Fähnlein, auch Trommeln und Pfeifen. Dies war lustig anzusehen, weil alles so ordentlich und fein gradweis sich auseinanderteilete; die Wurzel aber war von ungültigen Leuten, als Handwerkern, Taglöhnern, mehrenteils Bauren und dergleichen, welche nichts destoweniger dem Baum seine Kraft verliehen, und wieder von neuem mitteilten, wenn er solche zuzeiten verlor; ja sie ersetzten den Mangel der abgefallenen Blätter aus den ihrigen, zu ihrem eigenen noch größeren Verderben; benebens seufzeten sie über diejenigen, so auf dem Baum saßen, und zwar nicht unbillig, denn die ganze Last des Baums lag auf ihnen, und drückte sie dermaßen, daß ihnen alles Geld aus den Beuteln, ja hinter sieben Schlössern hervorging; wenn es aber nicht hervor wollte, so striegelten sie die Commissarii mit Besen, die man militärische Exekution nannte, daß ihnen die Seufzer aus dem Herzen, die Tränen aus den Augen, das Blut aus den Nägeln, und das Mark aus den Beinen herausging; noch dannoch waren Leut unter ihnen, die man Fatzvögel nannte, diese bekümmerten sich wenig, nahmen alles auf die leichte Achsel, und hatten in ihrem Kreuz anstatt des Trosts allerhand Gespei.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 44-45.
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