Das 26. Kapitel

[77] Ein sonderbarer neuer Brauch, einander Glück zu wünschen, und zu bewillkommen


Als ich nun vermeinte, ich hätte Ursach zu zweifeln, ob ich unter Christen wäre oder nicht? ging ich zu dem Pfarrer, und erzählte alles, was ich gehöret und gesehen, auch was ich für Gedanken hatte, nämlich daß ich die Leut nur für Spötter Christi und seines Worts, und für keine Christen hielte, mit Bitt, er wollte mir doch aus dem Traum helfen, damit ich wisse, wofür ich meine Neben-Menschen halten sollte; Der Pfarrer antwortet': »Freilich sind sie Christen, und wollt ich dir nicht raten, daß du sie anders nennen solltest.«[77] »Mein Gott!« sagte ich, »wie kanns sein? denn wenn ich einem oder dem andern seinen Fehler, den er wider Gott begehet, verweise, so werde ich verspottet und ausgelacht.« »Dessen verwundere dich nicht«, antwortet' der Pfarrer, »ich glaube, wenn unsere ersten frommen Christen, die zu Christi Zeiten gelebt, ja die Apostel selbst, anjetzo auferstehen, und in die Welt kommen sollten, daß sie mit dir ein gleiche Frag tun, und endlich auch so wohl als du, von jedermänniglich für Narren gehalten würden; das, was du bisher siehest und hörest, ist ein gemeine Sach, und nur Kinderspiel gegen dasjenige, das sonsten so heimlich als öffentlich und mit Gewalt wider Gott und die Menschen vorgehet, und in der Welt verübet wird, aber laß dich das nicht ärgern, du wirst wenig Christen finden, wie Herr Samuel sel. einer gewesen ist.«

Indem als wir so miteinander redeten, führet' man etliche, so vom Gegenteil waren gefangen worden, übern Platz, welches unsern Diskurs zerstöret', weil wir die Gefangenen auch beschauten. Da vernahm ich eine Unsinnigkeit, dergleichen ich mir nicht hätte träumen dürfen lassen: Es war aber ein neue Mode einander zu grüßen und zu bewillkommen, denn einer von unserer Garnison, welcher hiebevor dem Kaiser auch gedient hatte, kannte einen von den Gefangenen, zu dem ging er, gab ihm die Hand, drückt' jenem die seinige vor lauter Freud und Treuherzigkeit, und sagte: »Daß dich der Hagel erschlag (altteutsch), lebst du auch noch Bruder? Potz Fickerment, wie führt uns der Teufel hier zusammen! ich hab schlag mich der Donner vorlängst gemeint, du wärst gehängt worden!« Darauf antwortet' der ander: »Potz Blitz Bruder, bist dus, oder bist dus nicht? daß dich der Teufel hol, wie bist du hieher kommen? ich hätte mein Lebtag nicht gemeint, daß ich dich wieder antreffen würde, sondern hab gedacht, der Teufel hab dich vorlängst hingeführt.« Und als sie wieder voneinandergingen, sagt' einer zum andern, anstatt behüt dich Gott: »Strick zu, Strick zu, morgen kommen wir vielleicht zusammen, dann wollen wir brav miteinander saufen.«[78]

»Ist das nicht ein schöner gottseliger Willkomm?« sagt ich zum Pfarrer, »sind das nicht herrliche christliche Wünsch? haben diese nicht einen heiligen Vorsatz auf den morgenden Tag? wer wollte sie für Christen erkennen, oder ihnen ohne Erstaunen zuhören? wenn sie einander aus christlicher Liebe so zusprechen, wie wirds dann hergehen, wenn sie miteinander zanken? Herr Pfarrer, wenn dies Schäflein Christi sind, Ihr aber dessen bestellter Hirt, so will Euch gebühren, sie auf eine bessere Weid zu führen.« »Ja«, antwort der Pfarrer, »liebes Kind, es gehet bei den gottlosen Soldaten nicht anders her, Gott erbarms! wenn ich gleich etwas sagte, so wäre es so viel, als wenn ich den Tauben predigte, und ich hätte nichts anders davon, als dieser gottlosen Bursch gefährlichen Haß.« Ich verwundert mich, schwätzte noch ein Weil mit dem Pfarrer, und ging dem Gubernator aufzuwarten, denn ich hatte gewisse Zeiten Erlaubnis, die Stadt zu beschauen, und zum Pfarrer zu gehen, weil mein Herr von meiner Einfalt Wind hatte und gedachte, solche würde sich legen, wenn ich herumterminierte, etwas sehe, hörte, und von andern geschulet, oder wie man sagt, gehobelt und gerülpt würde.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 77-79.
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