Das 12. Kapitel

[426] Wie Simplicius mit den Sylphis in das Centrum terrae fährt


Die Begierde den Mummelsee zu beschauen vermehrte sich bei mir, als ich von meinem Petter verstand, daß er auch dabei gewesen, und den Weg dazu wüßte; da er aber hörete, daß ich überein auch dazu wollte, sagte er: »Und was werdert Ihr dann davontragen, wenn Ihr gleich hinkommt? der Herr Sohn und Petter wird nichts anders sehen als ein Ebenbild eines Weihers, der mitten in einem großen Wald liegt, und wenn er seine jetzige Lust mit beschwerlicher Unlust gebüßt, so wird er nichts anders als Reu, müde Füß (denn man kann schwerlich hinreiten) und den Hergang für den Hingang davon haben; Es sollte mich kein Mensch hingebracht haben, wenn ich nicht hätt hinfliehen müssen, als der Doktor Daniel (er wollte Duc d'Anguin sagen) mit seinen Kriegern das Land hinunter vor Philippsburg zog.« Hingegen kehrte sich mein Vorwitz nicht an seine Abmahnung, sondern ich bestellte einen Kerl, der mich hinführen sollte; da er nun meinen Ernst sah, sagte er, weil die Habersaat vorüber, und auf dem Hof weder zu hauen noch zu ernten, wollte er selbst mit mir gehen, und den Weg weisen; denn er hatte mich so lieb, daß er mich ungern aus dem Gesicht ließ, und weil die Leut im Land glaubten, daß ich sein leiblicher Sohn sei, prangte er mit mir, und tat gegen mich und jedermann, wie etwa ein gemeiner armer Mann gegen seinen Sohn tun möchte, den das Glück ohne sein Zutun und Beförderung zu einem großen Herrn gemacht hätte.

Also wanderten wir miteinander über Berg und Tal, und kamen zu dem Mummelsee, ehe wir sechs Stund gegangen hatten, denn mein Petter war noch so käfermäßig und so wohl zu Fuß als ein Junger; Wir verzehrten daselbst was wir von Speis und Trank mit uns genommen, denn der weite Weg und die Höhe des Bergs, auf welchem der See liegt, hatte uns hungrig und hellig gemacht; Nachdem wir[427] uns aber erquickt, beschauete ich den See, und fand gleich etliche gezimmerte Hölzer darin liegen, die ich und mein Knan für rudera des würtenbergischen Floßes hielten; ich nahm oder maß die Länge und Breite des Wassers vermittelst der Geometriae, weil gar beschwerlich war um den See zu gehen, und denselben mit Schritten oder Schuhen zu messen, und brachte seine Beschaffenheit vermittelst des verjüngten Maßstabs in mein Schreibtäfelein, und als ich damit fertig, zumaln der Himmel durchaus hell, und die Luft ganz windstill, und wohl temperiert war, wollte ich auch probieren was Wahrheit an der Sagmär wäre, daß ein Ungewitter entstehe, wenn man einen Stein in den See werfe; sintemal ich allbereit die Hörsag, daß der See keine Forellen leide, am mineralischen Geschmack des Wassers wahr zu sein befunden.

Solche Prob nun ins Werk zu setzen, ging ich gegen die linke Hand am See hin, an denjenigen Ort, da das Wasser (welches sonst so hell ist als ein Kristall) wegen der abscheulichen Tiefe des Sees gleichsam kohlschwarz zu sein scheinet, und deswegen so fürchterlich aussiehet, daß man sich auch nur vorm Anblick entsetzt, daselbst fing ich an so große Stein hineinzuwerfen, als ich sie immermehr ertragen konnte; mein Petter oder Knan wollte mir nicht allein nicht helfen, sondern warnete und bat mich davon abzustehen soviel ihm immer möglich, ich aber kontinuieret meine Arbeit emsig fort, und was ich von Steinen ihrer Größe und Schwere halben nicht ertragen mochte, das walgert ich herbei, bis ich deren über dreißig in See brachte; Da fing die Luft an den Himmel mit schwarzen Wolken zu bedecken, in welchen ein grausames Donnern gehöret wurde; also daß mein Petter, welcher jenseit des Sees bei dem Auslauf stand, und über mein Arbeit lamentierte, mir zuschrie, ich sollte mich doch salvieren, damit uns der Regen und das schreckliche Wetter nicht ergreife, oder noch wohl ein größer Unglück betreffe; ich aber antwortete ihm hingegen: »Vater ich will bleiben und des Ends erwarten, und sollte es auch Hellebarden regnen«; »Ja«, antwortet' mein Knan, »Ihr machts wie alle verwegenen Buben, die sich[428] nichts drum geheien, wenn gleich die ganze Welt unterginge.«

Indem ich nun diesem seinem Schmälen so zuhörete, verwandte ich die Augen nicht von der Tiefe des Sees, der Meinung, etwa etliche Blattern oder Blasen vom Grund desselbigen aufsteigen zu sehen, wie zu geschehen pflegt, wenn man in andere tiefe, so stillstehende als fließende Wasser Steine wirft; aber ich wurde nichts dergleichen gewahr, sondern sah sehr weit gegen den abyssum etliche Kreaturen im Wasser herumflattern, die mich der Gestalt nach an Frösch ermahnten, und gleichsam wie Schwärmerlein aus einer aufgestiegenen Raket, die in der Luft ihr Wirkung der Gebühr nach vollbringt, herumvagierten; und gleichwie sich dieselbigen mir je länger je mehr näherten, also schienen sie auch in meinen Augen je länger je größer, und an ihrer Gestalt den Menschen desto ähnlicher; weswegen mich denn erstlich eine große Verwunderung, und endlich weil ich sie so nahe bei mir hatte, ein Grausen und Entsetzen ankam: »Ach!« sagte ich damal vor Schrecken und Verwunderung zu mir selber, und doch so laut, daß es mein Knan, der jenseit des Sees stand, wohl hören konnte (wiewohl es schrecklich donnerte) »wie sind die Wunderwerk des Schöpfers auch sogar im Bauch der Erden, und in der Tiefe des Wassers so groß!« Kaum hatte ich diese Wort recht ausgesprochen, da war schon eins von diesen Sylphis oben auf dem Wasser, das antwortet': »Siehe: das bekennest du, ehe du etwas davon gesehen hast; was würdest du wohl sagen, wenn du erst selbsten im centro terrae wärest, und unsere Wohnung, die dein Vorwitz beunruhiget, beschautest?« Unterdessen kamen noch mehr dergleichen Wassermännlein hier und dort, gleichsam wie die Tauchentlein hervor, die mich alle ansahen, und die Stein wieder heraufbrachten, die ich hineingeworfen, worüber ich ganz erstaunte; Der erste und vornehmste aber unter ihnen, dessen Kleidung wie lauter Gold und Silber glänzte, warf mir einen leuchtenden Stein zu, so groß als ein Taubenei, und so grün und durchsichtig als ein Smaragd, mit diesen Worten: »Nimm hin dies Kleinod, damit du etwas von uns und diesem See zu sagen wissest!« Ich hatte ihn aber kaum[429] aufgehoben und zu mir gesteckt, da wurde mir nit anderst, als ob mich die Luft hätte ersticken oder ersäufen wollen, derhalben ich mich denn nit länger aufrecht behalten konnte, sondern herumtaumelte wie eine Garnwinde, und endlich gar in See hinunterfiel: Sobald ich aber ins Wasser kam, erholte ich mich wieder, und brauchte aus Kraft des Steins den ich bei mir hatte, im Atmen das Wasser anstatt der Luft; ich konnte auch gleich so wohl als die Wassermännlein mit geringer Mühe in dem See herumwebern, maßen ich mich mit denselben in Abgrund hinabtat, so mich an nichts anders ermahnte, als wenn sich ein Schar Vögel mit Umschweifen aus dem obersten Teil der temperierten Luft gegen die Erde niederläßt.

Da mein Knan dies Wunder zum Teil (nämlich soviel oberhalb des Wassers geschehen) samt meiner jählingen Verzückung gesehen, trollte er sich vom See hinweg, und heim zu, als ob ihm der Kopf brennte; daselbst erzählte er allen Verlauf, vornehmlich aber, daß die Wassermännlein diejenigen Stein, so ich in See geworfen, wieder in vollem Donnerwetter heraufgetragen, und an ihre vorige Statt gelegt, hingegen aber mich mit sich hinuntergenommen hätten: Etliche glaubten ihm, die meisten aber hielten es für eine Fabel, andere bildeten sich ein, ich hätte mich wie ein anderer Empedocles Agrigentinus (welcher sich in den Berg Aetnam gestürzt, damit jedermann gedenken sollte, wenn man ihn nirgend finde, er wäre gen Himmel gefahren) selbst im See ertränkt, und meinem Vater befohlen, solche Fabeln von mir auszugeben, um mir einen unsterblichen Namen zu machen; man hätte eine Zeitlang an meinem melancholischen Humor wohl gesehen, daß ich halber desperat gewesen wäre, etc. Andere hätten gern geglaubt, wenn sie meine Leibskräfte nicht gewußt, mein angenommener Vater hätte mich selbst ermordet, damit er als ein geiziger alter Mann meiner los würde, und allein Herr auf meinem Hof sein möchte; Also daß man um diese Zeit von sonsten nichts, als von dem Mummel-See, von mir und meiner Hinfahrt und von meinem Petter, beides im Sauerbrunnen und auf dem Land zu sagen und zu raten wußte.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 426-430.
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