Das 13. Kapitel

[430] Der Prinz über den Mummel-See erzählet die Art und das Herkommen der Sylphorum


Plinius schreibt im End des zweiten Buchs vom Geometra Dionysio Doro, daß dessen Freunde einen Brief in seinem Grab gefunden, den er, Dionysius, geschrieben, und darinnen berichtet, daß er aus seinem Grab bis in das mittelste Centrum der Erden sei kommen, und befunden, daß 42000 Stadia bis dahin seien; Der Fürst über den Mummel-See aber, so mich begleitet', und obigergestalt vom Erdboden hinweggeholet hatte, sagte mir für gewiß, daß sie aus dem Centro Terrae bis an die Luft durch die halbe Erd just 900 teutscher Meilen hätten, sie wollten gleich nach Teutschland oder zu deren Antipodibus, und solche Reisen müßten sie alle durch dergleichen Seen nehmen, deren hin und wieder soviel in der Welt, als Tag im Jahr seien, welcher Ende oder Abgründe alle bei ihres Königs Wohnung zusammenstießen. Diese große Weite nun passierten wir ehe als in einer Stunde, also daß wir mit unserer schnellen Reis des Monds Lauf sehr wenig oder gar nichts bevor gaben, und dennoch geschah solches so gar ohne alle Beschwerung, daß ich nicht allein keine Müdigkeit empfand, sondern auch in solchem sanften Abfahren mit obgemeldtem Mummelseer-Prinzen allerhand diskurieren konnte, denn da ich seine Freundlichkeit vermerkte, fragte ich ihn, zu was Ende sie mich einen so weiten, gefährlichen und allen Menschen ohngewöhnlichen Weg mit sich nähmen? Da antwortet' er mir gar bescheiden, der Weg sei nit weit, den man in einer Stund spazieren könnte, und nit gefährlich, dieweil ich ihn und seine Gesellschaft mit dem überreichten Stein bei mir hätte, daß er mir aber ungewöhnlich vorkomme, sei sich nichts zu verwundern; sonst hätte er mich nicht allein aus seines Königs Befehl, der etwas mit mir zu reden, abgeholt, sondern daß ich auch gleich die seltsamen Wunder der Natur unter der Erden und in Wassern beschauen sollte, deren ich mich zwar bereits auf dem Erdboden verwundert,[431] ehe ich noch kaum einen Schatten davon gesehen. Darauf bat ich ihn ferner, er wollte mich doch berichten, zu was End der gütige Schöpfer so viel wunderbarliche Seen erschaffen, sintemal sie, wie mich dünkte, keinem Menschen nichts nützten, sondern viel ehender Schaden bringen könnten? Er antwortet': »Du fragst billig um dasjenige, was du nicht weißt oder verstehest, diese Seen sind dreierlei Ursachen willen erschaffen: Denn erstlich werden durch sie alle Meer, wie die Namen haben, und sonderlich der große Oceanus, gleichsam wie mit Nägeln an die Erde geheftet; Zweitens werden von uns durch diese Seen (gleichsam als wie durch Teichel, Schläuche oder Stiefeln bei einer Wasserkunst, deren ihr Menschen euch gebrauchet) die Wasser aus dem abyssu des Oceani in alle Quellen des Erdbodens getrieben (welches denn unser Geschäft ist), wovon alsdann alle Brunnen in der ganzen Welt fließen, die großen und kleinen Wasserflüss entstehen, der Erdboden befeuchtiget, die Gewächse erquickt, und beides Menschen und Vieh getränkt werden; Drittens, daß wir als vernünftige Kreaturen Gottes hierin leben, unser Geschäft verrichten, und Gott den Schöpfer in seinen großen Wunderwerken loben sollen! Hierzu nun sind wir und solche Seen erschaffen, und werden auch bis an den Jüngsten Tag bestehen; Wenn wir aber gegen dieselbe letzte Zeit unsere Geschäfte, dazu wir von Gott und der Natur erschaffen und verordnet sind, aus einer oder andern Ursach unterlassen müssen, so muß auch notwendig die Welt durchs Feuer untergehen, so aber vermutlich nit ehender geschehen kann, es sei denn, daß ihr den Mond (donec auferatur luna, Psal. 71), Venerem oder Martem, als Morgen- und Abendstern verlieret, denn es müßten die generationes fructu- &animalium erst vergehen, und alle Wasser verschwinden, ehe sich die Erde von sich selbst durch der Sonnen Hitz entzünde, calciniere, und wiederum regeneriere; Solches aber gebührt uns nicht zu wissen, ist auch allein Gott bekannt, außer was wir etwa mutmaßen, und eure Chymici aus ihrer Kunst daherlallen.«

Da ich ihn so reden, und die Hl. Schrift anziehen hörete,[432] fragte ich, ob sie sterbliche Kreaturen wären, die nach der jetzigen Welt auch ein künftiges Leben zu hoffen hätten? oder ob sie Geister seien, welche solang die Welt stünde, nur ihre anbefohlenen Geschäfte verrichteten? Darauf antwortet' er: »Wir sind keine Geister, sondern sterbliche Leutlein, die zwar mit vernünftigen Seelen begabt, welche aber samt den Leibern dahinsterben und vergehen; Gott ist zwar so wunderbar in seinen Werken, daß sie keine Kreatur auszusprechen vermag, doch will ich dir, soviel unsere Art anbelangt, simpliciter erzählen, daß du daraus fassen kannst, wieweit wir von den andern Kreaturen Gottes zu unterscheiden seien: Die heiligen Engel sind Geister, zum Ebenbild Gottes gerecht, verständig, frei, keusch, hell, schön, klar, geschwind und unsterblich, zu dem Ende erschaffen, daß sie in ewiger Freude Gott loben, rühmen, ehren und preisen, in dieser Zeitlichkeit aber der Kirche Gottes hier auf Erden auf den Dienst warten, und die allerheiligsten göttlichen Befehl verrichten sollen, deswegen sie denn auch zuzeiten Nuntii genannt werden, und ihrer sind auf einmal so viel hunderttausend mal tausend Millionen erschaffen worden als der göttlichen Weisheit wohlgefällig gewesen; nachdem aber aus ihrer großen An zahl unaussprechlich viel, die sich ihres hohen Adels überhoben, aus Hoffart gefallen, sind erst eure ersten Eltern von Gott mit einer vernünftigen und unsterblichen Seel zu seinem Ebenbild erschaffen, und deswegen mit Leibern begabt worden, daß sie sich aus sich selbsten vermehren sollten, bis ihr Geschlecht die Zahl der gefallenen Engel wiederum erfüllte; zu solchem End nun wurde die Welt erschaffen, mit allen andern Kreaturen, daß der irdische Mensch, bis sich sein Geschlecht so weit vermehret, daß die angeregte Zahl der gefallenen Engel damit ersetzt werden könnte, darauf wohnen, Gott loben, und sich aller anderer erschaffenen Dinge auf der ganzen Erdkugel (als worüber ihn Gott zum Herrn gemacht) zu Gottes Ehren, und zu seines nahrungbedürftigen Leibs Aufenthaltung bedienen sollte; damals hatte der Mensch diesen Unterschied zwischen sich und den hl. Engeln, daß er mit der irdischen Bürde seines Leibs beladen, und nicht wußte[433] was gut und bös war, und dahero auch nit so stark und geschwind als ein Engel sein konnte; hatte hingegen aber auch nichts Gemeines mit den unvernünftigen Tieren, demnach er aber durch den Sündenfall im Paradeis seinen Leib dem Tod unterwarf, schätzten wir ihn das Mittel zu sein zwischen den heiligen Engeln und den unvernünftigen Tieren, denn gleichwie eine heilige entleibte Seel eines zwar irdischen doch himmlisch-gesinnten Menschen alle gute Eigenschaft eines heiligen Engels an sich hat, also ist der entseelte Leib eines irdischen Menschen (der Verwesung nach) gleich einem andern Aas eines unvernünftigen Tiers, uns selbsten aber schätzten wir für das Mittel zwischen euch und allen andern lebendigen Kreaturen der Welt, sintemal, ob wir gleich wie ihr vernünftige Seelen haben, so sterben jedoch dieselbigen mit unsern Leibern gleich hinweg, gleichsam als wie die lebhaften Geister der unvernünftigen Tiere in ihrem Tod verschwinden. Zwar ist uns kundbar, daß ihr durch den ewigen Sohn Gottes, durch welchen wir denn auch erschaffen, aufs allerhöchste geadelt worden, indem er euer Geschlecht angenommen, der göttlichen Gerechtigkeit genug getan, den Zorn Gottes gestillt, und euch die ewige Seligkeit wiederum erworben, welches alles euer Geschlecht dem unserigen weit vorziehet; Aber ich rede und verstehe hier nichts von der Ewigkeit, weil wir deren zu genießen nicht fähig sind, sondern allein von dieser Zeitlichkeit, in welcher der allergütigste Schöpfer uns genugsam beseligt, als mit einer guten gesunden Vernunft, mit Erkanntnis des allerheiligsten Willens Gottes, soviel uns vonnöten, mit gesunden Leibern, mit langem Leben, mit der edlen Freiheit, mit genugsamer Wissenschaft, Kunst und Verstand aller natürlichen Dinge, und endlich, so das allermeiste ist, sind wir keiner Sünd, und dannenhero auch keiner Straf, noch dem Zorn Gottes, ja nicht einmal der geringsten Krankheit unterworfen: Welches alles ich dir darum so weitläufig erzählt, und auch deswegen der hl. Engel, irdischen Menschen, und unvernünftigen Tier gedacht, damit du mich desto besser verstehen könnest.« Ich antwortet, es wollte mir dennoch nicht in Kopf; da sie keiner Missetat,[434] und also auch keiner Straf unterworfen, wozu sie dann eines Königs bedürftig? item, wie sie sich der Freiheit rühmen könnten, wenn sie einem König unterworfen wären? item, wie sie geboren werden, und wieder sterben könnten, wenn sie gar keine Schmerzen oder Krankheit zu leiden geartet wären? Darauf antwortet' mir das Prinzlein, sie hätten ihren König nicht, daß er Justitiam administrieren, noch daß sie ihm dienen sollten, sondern daß er wie der König oder Weisel in einem Immenstock ihre Geschäfte dirigiere; und gleichwie ihre Weiber in coitu keine Wollust empfänden, also seien sie hingegen auch in ihren Geburten keinen Schmerzen unterworfen, welches ich etlichermaßen am Exempel der Katzen abnehmen und glauben könnte, die zwar mit Schmerzen empfangen, aber mit Wollust gebären; So stürben sie auch nicht mit Schmerzen, oder aus hohem gebrechlichem Alter, weniger aus Krankheit, sondern gleichsam als ein Licht verlösche, wenn es seine Zeit geleuchtet habe, also verschwinden auch ihre Leiber samt den Seelen; gegen die Freiheit, deren er sich gerühmt, sei die Freiheit des allergrößten Monarchen unter uns irdischen Menschen gar nichts, ja nit so viel als ein Schatten zu rechnen, denn sie könnten weder von uns noch andern Kreaturen getötet, noch zu etwas Unbeliebigem genötiget, viel weniger befängnist werden, weil sie Feuer, Wasser, Luft und Erde ohn einzige Mühe und Müdigkeit (von der sie gar nichts wüßten) durchgehen könnten. Darauf sagte ich: »Wenn es mit euch so beschaffen, so ist euer Geschlecht von unserm Schöpfer weit höher geadelt und beseligt, als das unserige.« »Ach nein«, antwort der Fürst, »ihr sündigt wenn ihr dies glaubt, indem ihr die Güte Gottes einer Sach beschuldiget, die nicht so ist, denn ihr seid weit mehrers beseligt als wir, indem ihr zu der seligen Ewigkeit, und das Angesicht Gottes unaufhörlich anzuschauen erschaffen, in welchem seligen Leben eurer einer der selig wird, in einem einzigen Augenblick mehr Freud und Wonne, als unser ganzes Geschlecht von Anfang der Erschaffung bis an den Jüngsten Tag genießt.« Ich sagte: »Was haben drum die Verdammten davon?« Er antwortet' mir mit einer Widerfrag,[435] und sagte: »Was kann die Güte Gottes dafür, wenn euer einer sein selbst vergisset, sich der Kreaturen der Welt, und deren schändlichen Wollüsten ergibt, seinen viehischen Begierden den Zügel schießen läßt, sich dadurch dem unvernünftigen Vieh, ja durch solchen Ungehorsam gegen Gott mehr den höllischen als seligen Geistern gleichmacht? Solcher Verdammten ewiger Jammer, worein sie sich selbst gestürzt haben, benimmt drum der Hoheit und dem Adel ihres Geschlechts nichts, sintemal sie so wohl als andere in ihrem zeitlichen Leben die ewige Seligkeit hätten erlangen mögen, da sie nur auf dem dazu verordneten Weg hätten wandeln wollen.«

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 430-436.
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