Das 11. Kapitel

[337] Warum die Geistlichen keine Hasen essen sollen, die mit Stricken gefangen worden


Also hat nun der günstige Leser vernommen, in was für einer Lebensgefahr ich gesteckt; betreffend aber die Gefahr meiner Seelen, ist zu wissen, daß ich unter meiner Muskete ein rechter wilder Mensch war, der sich um Gott und sein Wort nichts bekümmerte, keine Bosheit war mir zuviel, da waren alle Gnaden und Wohltaten, die ich von[337] Gott jemals empfangen, allerdings vergessen, so bat ich auch weder um das Zeitlich noch Ewig, sondern lebte auf den alten Kaiser hinein wie ein Vieh. Niemand hätte mir glauben können, daß ich bei einem so frommen Einsiedel wäre erzogen worden; selten kam ich in die Kirch, und gar nicht zur Beicht, und gleichwie mir meiner Seelen Heil nichts anlag, also betrübte ich meinen Nebenmenschen desto mehr: Wo ich nur jemand berücken konnte, unterließ ichs nit, ja ich wollte noch Ruhm davon haben; so daß schier keiner ohngeschimpft von mir kam, davon kriegte ich oft dichte Stöß, und noch öfter den Esel zu reiten, ja man bedrohete mich mit Galgen und Wippe, aber es half alles nichts, ich trieb meine gottlose Weis fort, daß es das Ansehen hatte, als ob ich das desperat spielte, und mit Fleiß der Höllen zurannte. Und ob ich gleich keine Übeltat beging, dadurch ich das Leben verwirkt hätte, so war ich jedoch so ruchlos, daß man (außer den Zauberern und Sodomiten) kaum einen wüstern Menschen antreffen mögen.

Dies nahm unser Regiments-Kaplan an mir in acht, und weil er ein rechter frommer Seeleneiferer war, schickte er auf die österliche Zeit nach mir, zu vernehmen, warum ich mich nicht bei der Beicht und Kommunion eingestellt hätte? Ich traktierte ihn aber nach seinen vielen treuherzigen Erinnerungen wie hiebevor den Pfarrer zu L. Also daß der gute Herr nichts mit mir ausrichten konnte. Und indem es schien, als ob Christus und Tauf an mir verloren wäre, sagte er zum Beschluß: »Ach du elender Mensch! ich habe vermeint, du irrest aus Unwissenheit, aber nun merke ich, daß du aus lauter Bosheit, und gleichsam vorsetzlicher Weis zu sündigen fortfährest, Ach wer vermeinst du wohl, der ein Mitleiden mit deiner armen Seel und ihrer Verdammnis haben werde? Meinesteils protestiere ich vor Gott und der Welt, daß ich an deiner Verdammnis keine Schuld haben will, weil ich getan, und noch ferner gern unverdrossen tun wollte, was zu Beförderung deiner Seligkeit vonnöten wäre. Es wird mir aber besorglich künftig mehrers zu tun nit obliegen, denn daß ich deinen Leib, wenn ihn deine arme Seel in solchem verdammten Stand verläßt, an kein geweiht Ort[338] zu andern frommen abgestorbenen Christen begraben, sondern auf den Schind-Wasen bei die Cadavera des verreckten Viehs hinschleppen lasse, oder an denjenigen Ort, da man andere Gottsvergessene und Verzweifelte hintut!«

Diese ernstliche Bedrohung fruchtete ebensowenig als die vorigen Ermahnungen, und zwar nur der Ursach halber, weil ich mich vorm Beichten schämte; O ich großer Narr! Ich erzählte oft meine Bubenstück bei ganzen Gesellschaften und log noch dazu, aber jetzt, da ich mich bekehren, und einem einzigen Menschen, an Gottes Statt, meine Sünden demütig bekennen sollte, Vergebung zu empfangen, war ich ein verstockter Stumm! Ich sage recht ›verstockt‹, blieb auch verstockt, denn ich antwortet: »Ich diene dem Kaiser für einen Soldaten, wenn ich nun auch sterbe als ein Soldat, so wirds kein Wunder sein, da ich gleich andern Soldaten (die nit allezeit auf das Geweihte begraben werden können, sondern irgends auf dem Felde, in Gräben oder in der Wölf und Raben Mägen vorliebnehmen müssen) mich auch außerhalb des Kirchhofs behelfen werde.«

Also schied ich vom Geistlichen, der mit seinem heiligen Seeleneifer anders nichts um mich verdient, als daß ich ihm einsmals einen Hasen abschlug, den er inständig von mir begehrte, mit Vorwand, weil er sich selbst an einem Strick erhenkt und ums Leben gebracht, daß sich dannenhero nit gebühre, daß er als ein Verzweifelter in ein geweihtes Erdreich begraben werden sollte.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 337-339.
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