Das 10. Kapitel

[123] Redet von lauter Helden und namhaften Künstlern


Hierauf erfolgte die Mittagsmahlzeit, bei welcher ich mich wieder tapfer gebrauchen ließ, denn ich hatte mir vorgesetzt, alle Torheiten zu bereden, und alle Eitelkeiten zu strafen, wozu sich denn mein damaliger Stand trefflich schickte; kein Tischgenoß war mir zu gut, ihm sein Laster zu verweisen und aufzurupfen, und wenn sich einer fand, der sichs nicht gefallen ließ, so wurde er entweder noch dazu von andern ausgelacht, oder ihm von meinem Herrn vorgehalten, daß sich kein Weiser über einen Narrn zu erzürnen pflege: Den tollen Fähnrich, welcher mein ärgster Feind war, setzte ich gleich auf den Esel. Der erste aber, der mir auf meines Herrn Winken mit Vernunft begegnete, war der Secretarius, denn als ich denselben einen Titel-Schmied nannte, ihn wegen der eiteln Titel auslachte, und fragte, wie man der Menschen ersten Vater tituliert hätte? antwortet' er: »Du redest wie ein unvernünftig Kalb, weil du nicht weißt, daß nach unsern ersten Eltern unterschiedliche Leut gelebt, die durch seltene Tugenden, als Weisheit, mannliche Heldentaten, und Erfindung guter Künste, sich und ihr Geschlecht dermaßen geadelt haben, daß sie auch von andern über alle irdischen Ding, ja gar übers Gestirn zu Göttern erhoben worden; Wärest du ein Mensch, oder hättest aufs wenigst wie ein Mensch die Historien gelesen, so verstündest du auch den Unterscheid, der sich zwischen den Menschen enthält, und würdest dannenhero einem jeden seinen Ehrentitel gern gönnen, sintemal du aber ein Kalb, und keiner menschlichen Ehr würdig noch fähig bist, so redest du auch von der Sach wie ein dummes Kalb, und mißgönnest dem edlen menschlichen Geschlecht dasjenige, dessen es sich zu erfreuen hat.« Ich antwortet: »Ich bin so wohl ein Mensch gewesen als du, hab auch ziemlich viel gelesen, kann dahero urteilen, daß du den Handel entweder nicht recht verstehest, oder durch dein Interesse abgehalten wirst, anderst zu reden als du weißt: Sag mir, was sind für[124] herrliche Taten begangen, und für löbliche Künste erfunden worden, die genugsam seien, ein ganz Geschlechte etlich hundert Jahr nacheinander, auf Absterben der Helden und Künstler selbst, zu adeln? Ist nicht beides der Helden Stärk, und der Künstler Weisheit und hoher Verstand, mit hinweg gestorben? Wenn du dies nicht verstehest, und der Eltern Qualitäten auf die Kinder erben, so muß ich dafürhalten, dein Vater sei ein Stockfisch, und dein Mutter ein Platteiß gewesen.« »Ha!« antwort der Secretarius, »wenn es damit wohl ausgericht sein wird, wenn wir einander schänden wollen, so könnte ich dir vorwerfen, daß dein Knan ein grober Spessarter Baur gewesen, und ob es zwar in deiner Heimat und Geschlecht die größten Knollfinken abgibt, daß du dich annoch noch mehr verringert habest, indem du zu einem unvernünftigen Kalb worden bist.« »Da recht«, antwortet ich, »das ists was ich behaupten will, daß nämlich der Eltern Tugenden nicht allweg auf die Kinder erben, und daß dahero die Kinder ihrer Eltern Tugendtitel auch nicht allweg würdig seien; mir zwar ists kein Schand, daß ich ein Kalb bin worden, dieweil ich in solchem Fall dem großmächtigen König Nabuchodonosor nachzufolgen die Ehr habe, wer weiß, ob es nicht Gott gefällt, daß ich auch wieder wie dieser zu einem Menschen, und zwar noch größer werde, als mein Knan gewesen? Ich rühme einmal diejenigen, die sich durch eigene Tugenden edel machen.« »Nun gesetzt, aber nicht gestanden«, sagt' der Secretarius, »daß die Kinder ihrer Eltern Ehrentitel nicht allweg erben sollen, so mußt du doch gestehen, daß diejenigen alles Lobs wert seien, die sich selbst durch Wohlverhalten edel machen; wenn denn dem also, so folget, daß man die Kinder wegen ihrer Eltern billig ehret, denn der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Wer wollte in Alexandri M(agni) Nachkömmlingen, wenn anders noch einige vorhanden wären, ihres alten Ur-Ahnherrn herzhafte Tapferkeit im Krieg nicht rühmen. Dieser erwies seine Begierde zu fechten in seiner Jugend mit Weinen, als er noch zu keinen Waffen tüchtig war, besorgend, sein Vater möchte alles gewinnen, und ihm nichts zu bezwingen übrig lassen; hat er nicht noch vor dem[125] dreißigsten Jahr seines Alters die Welt bezwungen, und noch ein andere zu bestreiten gewünscht? hat er nicht in einer Schlacht, die er mit den Indianern gehalten, da er von den Seinigen verlassen war, aus Zorn Blut geschwitzet? War er nicht anzusehen, als ob er mit lauter Feurflammen umgeben war, so, daß ihn auch die Barbaren vor Furcht streitend verlassen mußten? Wer wollte ihn nicht höher und edler als andere Menschen schätzen, da doch Quintus Curtius von ihm bezeuget, daß sein Atem wie Balsam, der Schweiß nach Bisem, und sein toter Leib nach köstlicher Spezerei gerochen: Hier könnte ich auch einführen den Julium Caesarem und den Pompejum, deren der eine über und neben den Victorien, die er in den bürgerlichen Kriegen behauptet, fünfzigmal in offenen Feldschlachten gestritten und 1152000 Mann erlegt und totgeschlagen hat, der ander hat neben 940 den Meer-Räubern abgenommenen Schiffen, vom Alpgebirg an bis in das äußerste Hispanien, 876 Städt und Flecken eingenommen und überwunden. Den Ruhm Marci Sergii will ich verschweigen, und nur ein wenig von dem Lucio Sucio Dentato sagen, welcher Zunftmeister zu Rom war, als Spurius Turpejus und Aulus Eternius Bürgermeister gewesen, dieser ist in 110 Feldschlachten gestanden, und hat achtmal diejenigen überwunden, so ihn herausgefordert, er konnte 45 Wundmäler an seinem Leib zeigen, die er alle vor dem Mann und keine rückwärts empfangen, mit neun Obrist Feldherren ist er in ihren Triumphen (die sie vornehmlich durch ihre Mannheit erlangt) eingezogen. Des Manlii Capitolini Kriegsehr wäre nicht geringer, wenn er sie im Beschluß seines Lebens nicht selbst verkleinert, denn er konnte auch 33 Wundmäler zeigen, ohn daß er einsmals das Capitolium mit allen Schätzen allein vor den Franzosen erhalten. Wo bleibt der starke Herkules, Theseus und andere, die beinahe beides zu erzählen und ihr unsterbliches Lob zu beschreiben unmöglich! Sollten diese in ihren Nachkömmlingen nicht zu ehren sein?

Ich will aber Wehr und Waffen fahren lassen, und mich zu den Künsten wenden, welche zwar etwas geringer zu sein scheinen, nichts desto weniger aber ihre Meister ganz ruhmreich[126] machen. Was findet sich nur für eine Geschicklichkeit am Zeuxe, welcher durch seinen kunstreichen Kopf und geschickte Hand die Vögel in der Luft betrog; item am Apelle, der eine Venus so natürlich, so schön, so ausbündig, und mit allen Lineamenten so subtil und zart dahermalet', daß sich auch die Junggesellen darein verliebten. Plutarchus schreibet, daß Archimedes ein groß Schiff mit Kaufmannswaren beladen, mitten über den Markt zu Syracusis nur mit einer Hand an einem einzigen Seil dahergezogen, gleich als ob er ein Saumtier an einem Zaum geführt, welches zwanzig Ochsen, geschweige zweihundert deinesgleichen Kälber nicht hätten zu tun vermocht. Sollte nun dieser rechtschaffene Meister nicht mit einem besondern Ehrentitel, seiner Kunst gemäß, zu begaben sein? Wer wollte nicht vor andern Menschen preisen denjenigen, der dem persischen König Sapor ein gläsernes Werk machte, welches so weit und groß war, daß er mitten in demselben auf dessen Centro sitzen, und unter seinen Füßen das Gestirn auf- und niedergehen sehen konnte? Archimedes machte einen Spiegel, damit er der Feinde Kriegsschiff mitten im Meer anzündet': So gedenket auch Ptolemaeus eine wunderliche Art Spiegel, die so viel Angesichter zeigten, als Stund im Tag waren. Welcher wollte den nicht preisen, der die Buchstaben zuerst erfunden? ja wer wollte nicht vielmehr den über alle Künstler erheben, welcher die edle und der ganzen Welt höchst nutzbare Kunst der Buchdruckerei erfunden? Ist Ceres, weil sie den Ackerbau und das Mühlwerk erfunden haben soll, für eine Göttin gehalten worden, warum sollte dann unbillig sein, wenn man andern, ihren Qualitäten gemäß, ihr Lob mit Ehrentiteln berühmt? Zwar ist wenig daran gelegen, ob du grobes Kalb solches in deinem unvernünftigen Ochsenhirn fassest oder nicht: es gehet dir eben wie jenem Hund, der auf einem Haufen Heu lag, und solches dem Ochsen auch nicht gönnete, weil er es selbst nicht genießen konnte; du bist keiner Ehr fähig, und eben dieser Ursachen halber mißgönnest du solche denjenigen, die solcher wert sind.«

Da ich mich so gehetzt sah, antwortet ich: »Die herrlichen[127] Heldentaten wären höchlich zu rühmen, wenn sie nicht mit anderer Menschen Untergang und Schaden vollbracht worden wären. Was ist das aber für ein Lob, welches mit so vielem unschuldig-vergossenem Menschenblut besudelt: Und was ist das für ein Adel, der mit so vieler tausend anderer Menschen Verderben erobert und zuwege gebracht worden ist? Die Künste betreffend, was sinds anders als lauter Vanitäten und Torheiten? Ja sie sind ebenso leer, eitel und unnütz, als die Titel selbst, die einem von denselbigen zustehen möchten; denn entweder dienen sie zum Geiz, oder zur Wollust, oder zur Üppigkeit, oder zum Verderben anderer Leut, wie denn die schrecklichen Dinger auch sind, die ich neulich auf den halben Wagen sah; so könnte man der Druckerei und Schriften auch wohl entbehren, nach Ausspruch und Meinung jenes heiligen Manns, welcher dafür hielt, die ganze weite Welt sei ihm Buchs genug, die Wunder seines Schöpfers zu betrachten, und die göttliche Allmacht daraus zu erkennen.«

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 123-128.
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