Das zehnte Kapitel.

[206] Simplex wird vom Feldzeugmeister befreiet,

Machet ihm Hoffnung, die ihm nicht gedeiet.


Demnach unser Generalfeldzeugmeister strenge Kriegsdisziplin zu halten pflegte, besorgte ich die Verlierung meines Kopfs. Hingegen hatte ich noch Hoffnung, davonzukommen, weil ich bereits in so blühender Jugend jederzeit mich gegen dem Feind wohl gehalten und einen großen Ruf und Namen der Tapferkeit erworben. Doch war solche Hoffnung ungewiß, weil dergleichen täglichen Händel halber die Notdurft erfodert, ein Exempel zu statuieren. Die Unserige hatten eben damals ein festes Rattennest berennet und auffodern lassen, aber eine abschlägige Antwort bekommen, weil der Feind wußte, daß wir kein grob Geschütz führten. Derowegen ruckte unser Graf von der Wahl mit dem ganzen Corpo vor besagten Ort, begehrte durch einen Trompeter abermal die Übergabe und drohete zu stürmen; es erfolgte aber nichts anders als dieses nachgesetzte Schreiben:


»Hochwohlgeborner Graf, etc. Aus E. Gräfl. Exzell. an mich Abgelassenem habe vernommen, was Dieselbe im Namen der Röm. Kais. Maj. an mich gesinnen. Nun wissen aber Euer Hoch-Gräfl. Exzell., Dero hohen Vernunft nach, wie übelanständig, ja unverantwortlich einem Soldaten fallen würde, wann er einen solchen Ort, wie dieser ist, dem Gegenteil ohn sonderbare Not einhändigte: wessentwegen Dieselbe mich dann verhoffentlich nicht verdenken werden, wann ich mich befleißige zu verharren, bis die Waffen Euer Exzell. dem Ort zusprechen. Kann aber E. Exzell. meine Wenigkeit außerhalb Herrendiensten[206] in ichtwas zu gehorsamen die Gelegenheit haben, so werde ich sein

Eu. Exzell.

Allerdienstwilligster Diener


N.N.«


Hierauf ward in unserm Läger unterschiedlich von dem Ort diskuriert; dann solches liegen zu lassen, war gar nicht ratsam, zu stürmen ohn eine Presse hätte viel Blut gekostet und wäre doch noch mißlich gestanden, ob mans übermeistert hätte oder nicht. Hätte man aber erst die Stücke und alle Zugehör von Münster oder Hamm herholen sollen, so wäre gar viel Mühe, Zeit und Unkosten darauf geloffen. Indem man nun bei Großen und Kleinen ratschlagte, fiel mir ein, ich sollte mir diese Okkasion zunutz machen, um mich zu erledigen. Also gebot ich meinem Witz und allen fünf Sinnen zusammen und bedachte mich, wie man den Feind betrügen möchte, weils nur an den Stücken mangelte. Und weil mir gleich zufiel, wie der Sache zu tun sein möchte, ließ ich meinen Obristleutenant wissen, daß ich Anschläge hätte, durch welche der Ort ohne Mühe und Unkosten zu bekommen wäre, wann ich nur Perdon erlangen und wieder auf freien Fuß gestellet werden könnte. Etliche alte und versuchte Soldaten lachten darüber und sagten: »Wer hangt, der langt! Der gute Gesell gedenket, sich loszuschwätzen!« Aber der Obristleutenant selbst und andere, die mich kannten, nahmen meine Reden an wie einen Glaubensartikul, weswegen er selbsten zum Generalfeldzeugmeister gieng und demselben mein Vorgeben anbrachte, mit Erzählung vielen Dings, das er von mir zu sagen wußte. Weil dann nun der Graf hiebevor vom Jäger gehöret hatte, ließ er mich vor ihn bringen und so lang meiner Bande entledigen. Der Graf hielt eben Tafel, als ich hinkam, und mein Obristleutenant erzählte ihm, als ich verwichenen Frühling meine erste Stunde unter St. Jakobspforte zu Soest Schildwacht gestanden, sei unversehens ein starker Platzregen mit großem Donner und Sturmwind kommen, deswegen sich jedermann aus dem Feld und den Gärten in die Stadt salviert, und weil das Gedräng beides, von Laufenden und Reitenden, ziemlich dick worden, hätte ich schon damals den Verstand gehabt, der Wacht ins Gewehr zu rufen, weil in solchem Geläuf eine Stadt am besten einzunehmen seie, welches manchem alten Soldaten nicht eingefallen wäre. »Zuletzt«, sagte der Obristleutenant ferner, »kam ein altes Weib ganz tropfnaß daher, die sagte, eben als sie[207] beim Jäger vorbeipassierte: ›Ja, ich habe dies Wetter schon wohl 14 Tage in meinem Rucken stecken gehabt!‹ Als der Jäger solches hörete und eben einen Stecken in Händen hatte, schlug er sie damit übern Buckel und sagte: ›Du alte Hex, hast dus dann nicht eher herauslassen können? Hast du eben müssen warten, bis ich anfahe, Schildwacht zu stehen?‹ Da ihm aber sein Offizier abwehrete, antwortete er: ›Es geschiehet ihr recht! Das alte Rabenaas hat schon vor vier Wochen gehört, daß jedermann nach einem guten Regen geschrien, warum hat sie ihn den ehrlichen Leuten nicht eher gegönnet? so wäre vielleicht Gerste und Hopfen besser geraten!‹, worüber der Generalfeldzeugmeister, wiewohl er sonst ein ernsthafter Herr war, trefflich lachte. Ich aber gedachte: ›Erzählt der Obristleutenant dem Grafen solche Schwachheiten und Narrnpossen, so hat er ihm gewiß auch nicht verschwiegen, was ich sonst angestellet habe.‹ Ich aber ward vorgelassen.«

Als mich nun der Generalfeldzeugmeister fragte, was mein Anbringen wäre, antwortete ich: »Gnädiger Herr! etc. Obzwar mein Verbrechen und E. Exzell. rechtmäßig Gebot und Verbot mir beide das Leben absprechen, so heißet mich jedoch meine alleruntertänigste Treue (die ich Dero Röm. Kais. Maj., meinem Allergnädigsten Herrn, bis in Tod zu leisten schuldig bin) einen Weg als den andern meines wenigen Orts dem Feind einen Abbruch tun und erst Allerhöchstgedachter Röm. Kais. Maj. Nutzen und Kriegswaffen befördern.« Der Graf fiel mir in die Rede und sagte: »Hast du mir nicht neulich den Mohren gebracht?« Ich antwortete: »Ja, gnädiger Herr!« Da sagte er: »Wohl! dein Fleiß und Treue möchte vielleicht meritiern, dir das Leben zu schenken; was hast du aber vor einen Anschlag, den Feind aus gegenwärtigem Ort zu bringen ohn sonderbaren Verlust der Zeit und Mannschaft?« Ich antwortete: »Weil der Ort vor grobem Geschütz nicht bestehen kann, so hält meine Wenigkeit davor, der Feind würde bald akkordiern, wann er nur eigentlich glaubte, daß wir Stücke bei uns haben.« – »Das hätte mir wohl ein Narr gesagt,« antwortete der Graf, »wer wird sie aber überreden, solches zu gläuben?« Ich antwortete: »Ihre eigene Augen. Ich habe ihre hohe Wacht mit einem Perspektiv gesehen; die kann man betrügen; wann man nur etliche Blöcher, den Brunnenteichlen gleich, auf Wägen ladet und dieselbe mit einem starken Gespann in das Feld führet, so werden sie schon glauben, es sein grobe Stück, vornehmlich wann E. Gräfl. Exzell. irgendswo im Feld etwas aufwerfen läßt, als ob man Stücke dahin pflanzen wollte.« – »Mein[208] liebes Bürschlein!« antwortete der Graf, »es sein keine Kinder darin; sie werden diesem Spiegelfechten nicht glauben, sondern die Stücke auch hören wollen; und wann der Posse dann nicht angehet,« sagte er zu den umstehenden Offizierern, »so werden wir von aller Welt verspottet!« Ich antwortete: »Gnädiger Herr! ich will schon Stücke in ihren Ohren lassen klingen, wann man nur ein paar Doppelhaken und ein ziemlich groß Faß haben kann; allein wird ohn den Knall sonst kein Effekt vorhanden sein. Sollte aber ja wider Verhoffen die Sache nicht angehen und man nur Spott damit erlangen, so werde ich, der Inventor, weil ich ohndas sterben muß, solchen Spott mit mir dahinnehmen und denselben mit meinem Leben aufheben.« Obzwar nun der Graf nicht daran wollte, so persuadierte ihn jedoch mein Obristleutenant dahin, dann er sagte, daß ich in dergleichen Sachen so glückselig sei, daß er im wenigsten zweifele, daß dieser Posse nicht auch angehen werde. Derowegen befahl ihm der Graf, die Sache anzustellen, wie er vermeinte, daß sichs tun ließe, und sagte im Scherz zu ihm, die Ehre, so er damit erwürbe, sollte ihm allein zustehen.

Also wurden drei solche Blöcher zuwegen gebracht und vor jedes 24 Pferde gespannet, wiewohl nur zwei genug gewesen wären; diese führten wir gegen Abend dem Feind ins Gesicht; indessen aber hatte ich auch drei Doppelhaken und ein Stückfaß, so wir von einem Schloß bekamen, unterhanden, und richtete ein und anders zu, wie ichs haben wollte; das ward bei Nacht zu unsrer visierlichen Artollerei verschafft. Den Doppelhaken gab ich zweifache Ladung und ließ sie durch berührtes Faß (dem der vördere Boden benommen war) losgehen, gleich ob es drei Losungschüsse hätten sein sollen; das donnerte dermaßen, daß jedermann Stein und Bein geschworen hätte, es wären Quartierschlangen oder halbe Kartaunen gewesen. Unser Generalfeldzeugmeister mußte der Gaukelfuhre von Herzen lachen und ließ dem Feind abermal einen Akkord anbieten mit dem Anhang, wann sie sich nicht noch diesen Abend bequemen würden, daß es ihnen morgen nicht mehr so gut werden sollte. Darauf wurden alsbald beiderseits Geisel geschickt, der Akkord geschlossen und uns noch dieselbige Nacht ein Tor der Stadt eingegeben, welches mir trefflich zugut kam, dann der Graf ließ alsobald sehen, wie hoch er mich ästimierte, schenkte mir nicht allein das Leben, das ich kraft seines Verbots verwürkt hatte, sondern ließ mich noch selbige Nacht auf freien Fuß stellen und befahl dem Obristleutenant in meiner Gegenwart, daß er mir das erste Fähnlein, so ledig würde, geben sollte, welches ihm aber ungelegen war,[209] dann er hatte der Vettern und Schwäger so viel, die aufpaßten, daß ich vor denselben nicht zugelassen werden konnte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 206-210.
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