Das vierzehnte Kapitel.

[221] Simplex, der Jäger, wird vom Feind gefangen,

Pfleget auch bald gute Gunst zu erlangen.


Auf dem Zuruckweg machte ich mir allerhand Gedanken, wie ich mich inskünftige halten wollte, damit ich doch jedermanns Gunst erlangen möchte, dann Springinsfeld hatte mir einen unruhigen Floh ins Ohr gesetzt und mich zu glauben persuadieret, als ob mich jedermann neide, wie es dann in der Wahrheit auch nicht anders war. So erinnerte ich mich auch dessen, was mir die berühmte Wahrsagerin zu Soest ehmals gesagt, und belud mich deshalber mit noch größern Sorgen. Mit diesen Gedanken schärfte ich meinen Verstand trefflich und nahm gewahr, daß ein Mensch, der ohne Sorgen dahinlebet, fast wie ein Vieh sei. Ich sann aus, welcher Ursache halber mich einer oder ander hassen möchte, und erwug, wie ich einem jeden[221] begegnen müsse, damit ich dessen Gunst wiedererlange, verwunderte mich darneben zum höchsten, daß die Kerl so falsch sein und mir lauter gute Worte geben sollten, da sie mich nicht liebten! Derowegen gedachte ich, mich anzustellen wie die andere und zu reden, was jedem aufs beste gefiel und am annehmlichsten war, auch jedem mit Ehrerbietung zu begegnen, ob schon es mir nicht ums Herz wäre; vornehmlich aber merkte ich klar, daß meine eigne Hoffart mich mit den meisten Feinden beladen hatte. Deswegen hielt ich vor nötig, mich wieder demütig zu stellen, obschon ichs nicht sei, mit den gemeinen Kerlen wieder unten und oben zu liegen, vor den Höhern aber den Hut in Händen zu tragen und mich des Kleiderprachts in etwas abzutun, bis sich etwan mein Stand änderte. Ich hatte mir von dem Kaufherrn in Köln 100 Taler geben lassen, solche samt Interesse wieder zu erlegen, wann er mir meinen Schatz aushändigte; dieselbe gedachte ich unterwegs der Konvoi halb zu verspendiern, weil ich nunmehr erkannte, daß der Geiz keine Freunde machet. Solchergestalt war ich resolviert, mich zu ändern und noch auf diesem Weg den Anfang zu machen. Ich machte aber die Zeche ohn den Wirt und wurde mein Anschlag aller auf einmal zu Wasser. Dann da wir durch das bergische Land passieren wollten, paßten uns an einem sehr vortelhaften Ort 80 Feurröhrer und 50 Reuter auf, eben als ich selbfünft mit einem Korporal geschickt ward, voranzureiten und die Straße zu partieren. Der Feind hielt sich still, als wir in ihren Halt kamen, ließ uns auch passieren, damit, wann sie uns angegriffen hätten, die Konvoi nicht gewarnet würde, bis sie auch zu ihnen in die Enge käme, schickte uns aber einen Kornett mit acht Reutern nach, die uns im Gesicht behielten, bis die ihrige unser Konvoi selbst angriffen und wir umkehrten, uns auch zun Wägen zu tun. Da giengen sie auf uns los und fragten, ob wir Quartier wollten? Ich vor meine Person war wohl beritten, dann ich hatte mein bestes Pferd unter mir; ich wollte aber gleichwohl nicht ausreißen, schwang mich herum auf eine kleine Ebne, zu sehen, ob da Ehre einzulegen sein möchte. Indessen hörte ich stracks an der Salve, welche die Unserigen empfiengen, was die Glocke geschlagen, trachtete derowegen nach der Flucht, aber der Kornett hatte alles vorbedacht und uns den Paß schon abgeschnitten; und indem ich durchzuhauen bedacht war, bot er mir, weil er mich vor einen Offizier ansahe, nochmals Quartier an. Ich gedachte: »Das Leben eigentlich davonzubringen, ist besser als eine ungewisse Hasart«; sagte derowegen, ob er mir Quartier halten wollte als ein redlicher Soldat. Er antwortet: »Ja rechtschaffen!«[222] Also präsentierte ich ihm meinen Degen und gab mich dergestalt gefangen. Er fragte mich gleich, was ich vor einer sei, dann er sähe mich vor einen Edelmann und also auch vor einen Offizierer an. Da ich ihm aber antwortete, ich würde der Jäger von Soest genannt, antwortete er: »So hat Er gut Glück, daß Er uns vor vier Wochen nicht in die Hände geraten; dann zu selbiger Zeit hätte ich Ihm kein Quartier geben noch halten dörfen, dieweil man Ihn damal bei uns vor einen offentlichen Zauberer gehalten hat.«

Dieser Kornett war ein tapferer junger Kavalier und nicht über zwei Jahre älter als ich. Er erfreuete sich trefflich, daß er die Ehre hatte, den berühmten Jäger gefangen zu haben; deswegen hielt er auch das versprochene Quartier sehr ehrlich und auf holländisch, deren Gebrauch ist, ihren gefangenen spanischen Feinden von demjenigen, was der Gürtel beschleußt, nichts zu nehmen; ja er war der Diskretion, daß er mich nicht einmal visitieren ließ, ich aber war selbst der Bescheidenheit, das Geld aus meinen Schubsäcken zu tun und ihnen solches zuzustellen, da es an ein Partens gieng; sagte auch dem Kornett heimlich, er sollte sehen, daß ihm mein Pferd, Sattel und Zeuch zuteil würde, dann er im Sattel 30 Dukaten finden würde und das Pferd ohndas seinesgleichen schwerlich hätte. Von deswegen ward mir der Kornett so hold, als ob ich sein leiblicher Bruder wäre; er saß auch gleich auf mein Pferd und ließ mich auf dem seinigen reiten. Von der Konvoi aber blieben nicht mehr als 6 tot, und 13 wurden gefangen, darunter 8 beschädigt; die übrige giengen durch und hatten das Herz nicht, dem Feind im freien Feld die Beute wieder abzujagen, das sie fein hätten tun können, weil sie alle zu Pferd waren.

Nachdem die Beuten und Gefangene geteilet worden, giengen die Schweden und Hessen (dann sie waren aus unterschiedlichen Garnisonen) noch selbigen Abend voneinander. Mich und den Korporal samt noch dreien Dragonern behielt der Kornett, weil er uns gefangen bekommen; dahero wurden wir in eine Festung geführet, die nicht gar zwei Meilen von unsrer Garnison lag. Und weil ich hiebevor demselben Ort viel Dampfs angetan, war mein Name daselbst wohl bekannt, ich selber aber mehr geförcht als geliebt. Da wir die Stadt vor Augen hatten, schickte der Kornett einen Reuter voran, seine Ankunft dem Kommandanten anzukündigen, auch anzuzeigen, wie es abgeloffen und wer die Gefangene sein, davon es ein Geläuf in der Stadt geben, das nit auszusagen, weil jeder den Wunder auszurichten gewohnten Jäger gern sehen wollte. Da sagte einer dies, der ander jenes von mir,[223] und war nicht anderst anzusehen, als ob ein großer Potentat seinen Einzug gehalten hätte.

Wir Gefangene wurden strack zum Kommandanten geführet, welcher sich sehr über meine Jugend verwunderte. Er fragte mich, ob ich nie auf schwedischer Seite gedienet hätte und was ich vor ein Landsmann wäre. Als ich ihm nun die Wahrheit sagte, wollte er wissen, ob ich nicht Lust hätte, wieder auf ihrer Seite zu bleiben. Ich antwortete ihm, daß es mir sonst gleich gülte; allein weil ich dem römischen Kaiser einen Eid geschworen hätte, so dünkte mich, es gebühre mir, solchen zu halten. Darauf befahl er, uns zum Gewaltiger zu führen, und erlaubte doch dem Kornett auf sein Anhalten, auf den Abend uns zu gastiern, weil ich hiebevor meine Gefangene (darunter sein Bruder sich befunden) auch solchergestalt traktieret hätte. Da nun der Abend kam, fanden sich unterschiedliche Offizierer, sowohl Soldaten von Fortun als geborne Kavaliers, beim Kornett ein, der mich und den Korporal auch holen ließ; da ward ich, die Wahrheit zu bekennen, von ihnen überaus höflich traktiert. Ich machte mich so lustig, als ob ich niemals verloren gehabt, und ließ mich so vertreulich und offenherzig vernehmen, als ob ich bei keinem Feind gefangen, sondern bei meinen besten Freunden wäre; darbei beflisse ich mich der Bescheidenheit, soviel mir immer müglich war, dann ich konnte mir leicht einbilden, daß dem Kommandanten mein Verhalten wieder notifiziert würde, so auch geschehen, maßen ich nachmals erfahren.

Den andern Tag wurden wir Gefangene, und zwar einer nach dem andern, vor den Regim. Schulzen geführet, welcher uns examinierte. Der Korporal war der erste und ich der ander. Sobald ich in den Saal trat, verwunderte er sich auch über meine Jugend und sagte, mir solche vorzurücken: »Mein Kind! was hat dir der Schwede getan, daß du wider ihn kriegest?« Das verdroß mich, vornehmlich da ich ebenso junge Soldaten bei ihnen gesehen, als ich war, antwortete derhalben: »Die schwedische Krieger haben mir meine Schnellkugeln oder Klicker genommen, die wollte ich gern wieder holen.« Da ich ihn nun dergestalt bezahlte, schämten sich seine beisitzende Offizierer, maßen einer anfieng, auf Latein zu sagen, er sollte von ernstlichen Sachen mit mir reden, er hörte wohl, daß er kein Kind vor sich hätte. Da merkte ich, daß er Eusebius hieße, weil ihn derselbe Offizier so nannte. Darauf fragte er mich um meinen Namen, und nachdem ich ihm denselben genennet, sagte er: »Es ist kein Teufel in der Hölle, der Simplicissimus heißet.« Da antwortete ich: »So ist auch vermutlich keiner in der Hölle, der Eusebius heißt!«,[224] bezahlte ihn also gar artlich, wie unsern Musterschreiber Cyriacum, so aber von den Offizierern nicht am besten aufgenommen ward, maßen sie mir sagten, ich sollte mich erinnern, daß ich ihr Gefangener sei und nicht Scherzens halber wäre hergeholet worden. Ich ward dieses Verweises wegen drum nicht rot, bat auch nicht um Verzeihung, sondern antwortete, weil sie mich vor einen Soldaten gefangen hielten und nicht vor ein Kind wieder laufen lassen würden, so hätte ich mich versehen, daß man mich auch nicht als ein Kind gefoppt hätte; wie man mich gefragt, so hätte ich geantwortet, hoffte auch, ich würde nicht unrecht daran getan haben. Darauf fragten sie mich um mein Vatterland, Herkommen und Geburt, und vornehmlich, ob ich nicht auch auf schwedischer Seiten gedient hätte, item, wie es in Soest beschaffen, wie stark selbige Garnison sei, und was des Dings mehr ist etc. Ich antwortete auf alles behend, kurz und gut, und zwar wegen Soest und selbiger Garnison so viel, als ich zu verantworten getrauete, konnte aber wohl verschweigen, daß ich das Narrnhandwerk getrieben, weil ich mich dessen schämte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 221-225.
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