Das sechzehnte Kapitel.

[228] Simplex will einen Freiherren abgeben,

Führet ein rechtes freigebiges Leben.


Wann ein Ding sein soll, so schickt sich alles darzu. Ich vermeinete, das Glück hätte mich zur Ehe genommen oder wenigst sich so eng zu mir verbunden, daß mir die allerwiderwärtigste Begegnussen zum besten gedeihen müßten, da ich über des Kommandanten Tafel saß und vernahm, daß mein Knecht mit meinen zwei schönen Pferden von Soest zu mir kommen wäre. Ich wußte aber nicht (wie ichs hernach im Auskehren befand), daß das tückische Glück der Syrenen Art an sich hat, die demjenigen am übelsten wollen, denen sie sich am geneigtesten erzeigen, und einen der Ursache halber desto höher hebet, damit es ihn hernach desto tiefer stürze.

Dieser Knecht (den ich hiebevor von den Schweden gefangen bekommen hatte) war mir über alle Maßen getreu, weil ich ihm viel Gutes tät; dahero sattelte er alle Tage meine Pferde und ritt dem Trommelschlager, der mich abholen sollte, ein gut Stück Wegs von Soest aus entgegen, solang er aus war, damit ich nicht allein nicht so weit gehen, sondern auch nicht nackend oder zerlumpt (dann er vermeinte, ich wäre aus gezogen worden) in Soest kommen dörfte. Also begegnete er dem Trommelschläger und seinen Gefangenen und hatte mein bestes Kleid aufgepackt. Da er mich aber nicht sahe, sondern vernahm, daß ich bei dem Gegenteil Dienste anzunehmen aufgehalten werde, gab er den Pferden die Sporn und sagte: »Adieu Tambour und Ihr Korporal; wo mein Herr ist, da will ich auch sein!« gieng also durch und kam zu mir, eben als mich der Kommandant ledig[228] gesprochen hatte und mir große Ehre antät. Er verschaffte darauf meine Pferde in ein Wirtshaus, bis ich mir selbsten ein Logiment nach meinem Willen bestellen möchte, und priese mich glückselig wegen meines Knechts Treue, verwunderte sich auch, daß ich als ein gemeiner Dragoner und noch so junger Kerl so schöne und vortreffliche Pferde vermögen und so wohl mondiert sein sollte, lobte auch das eine Pferd, als ich Valet nahm und in besagtes Wirtshaus gieng, so trefflich, daß ich gleich merkte, daß er mirs gern abgekauft hätte. Weil er mirs aber aus Diskretion nicht feil machte, sagte ich, wann ich die Ehre begehren dorfte, daß ers von meinetwegen behalten wollte, so stünde es zu seinen Diensten. Er schlugs aber anzunehmen rund ab, mehr darum, dieweil ich einen ziemlichen Rausch hatte und er die Nachrede nicht haben wollte, daß er einem Trunkenen etwas abgeschwätzt, so ihn vielleicht nüchtern reuen möchte, als daß er des edlen Pferdes gern gemangelt.

Dieselbige Nacht bedachte ich, wie ich künftig mein Leben anstellen wollte, entschloß mich derohalben, die sechs Monat über zu verbleiben, wo ich wäre, und also den Winter, der nunmehr vor der Tür war, in Ruhe dahinzubringen, worzu ich dann Geldes genug wußte, hinauszulangen, wannschon ich meinen Schatz zu Köln nicht angriffe. »In solcher Zeit«, gedachte ich, »wächst du vollends aus und erlangest deine völlige Stärke und kannst dich darnach auf den künftigen Frühling wieder desto tapferer unter die Kaiserliche Armee ins Feld begeben.«

Des Morgens frühe anatomierte ich meinen Sattel, welcher weit besser gespickt war als derjenige, den der Kornett von mir bekommen; nachgehends ließ ich mein bestes Pferd vor des Obristen Quartier bringen und sagte zu ihm, demnach ich mich resolviert, die sechs Monat, in welchen ich nicht kriegen dörfte, unter des Herrn Obristen Schutz allhier ruhig zuzubringen, als sein mir meine Pferde nichts nutz, um welche es schad wäre, wann sie verderben sollten, bitte ihn derowegen, er wollte belieben, gegenwärtigem Soldatenklepper einen Platz unter den seinigen zu gönnen und solches von mir als ein Zeichen dankbarer Erkanntnus vor empfangene Gnaden unschwer annehmen. Der Obrister bedankte sich mit großer Höflichkeit und sehr courtoisen Offerten, schickte mir auch, seine Gunstgewogenheit gegen mir scheinen zu lassen, denselben Nachmittag seinen Hofmeister mit einem gemästen lebendigen Ochsen, zwei fetten Schweinen, einer Tonnen Wein, vier Tonnen Bier, zwölf Fuder Brennholz, welches alles er mir vor mein neu Losament, das ich eben auf ein halb Jahr bestellet hatte, bringen und sagen[229] ließ, weil er sehe, daß ich bei ihm hausen wollte und sich leicht einbilden könnte, daß es im Anfang mit Viktualien schlecht bestellet sei, so schickte er mir zur Haussteur neben einem Trunk ein Stück Fleisch mitsamt dem Holz, solches dabei kochen zu lassen, mit fernerm Anhang, dafern er mir in etwas behülflichen sein könnte, daß ers nicht unterlassen wollte. Ich bedankte mich so höflich, als ich konnte, verehret dem Hofmeister zwo Dukaten und bat ihn, mich seinem Herrn bestens zu rekommandieren.

Da ich sahe, daß ich meiner Freigebigkeit halber bei dem Obristen so hoch geehret ward, gedachte ich, mir auch bei dem gemeinen Mann ein Ansehen und gutes Lob zu machen, damit man mich vor keinen kahlen Bärnhäuter hielte, ließ derowegen in Gegenwart meines Hauswirts meinen Knecht vor mich kommen; zu demselben sagte ich: »Lieber Niklas! du hast mir mehr Treue erwiesen, als ein Herr seinem Knecht zumuten darf; nun aber, da ichs um dich nicht zu verschulden weiß, weil ich dieser Zeit keinen Herrn und also auch keinen Krieg habe, daß ich etwas erobern könnte, dich zu belohnen, wie mirs wohl anstünde, zumalen auch wegen meines stillen Lebens, das ich hinfort zu führen gedenke, keinen Knecht mehr zu haben bedacht, als gebe ich dir hiemit vor deinen Lohn das ander Pferd samt Sattel, Zeug und Pistolen mit Bitte, du wollest damit vorliebnehmen und dir vor diesmal einen andern Herrn suchen. Kann ich dir inskünftige in etwas bedient sein, so magst du jederzeit mich darum ersuchen.« Darauf fieng mein guter Niklas an zu weinen und sagte: »Ach mein Herr! Ich habe in einem einzigen Vierteljahr so viel nicht um Euch verdienet; behaltet das Pferd zu Eurem Nutz und mich darzu, wann Euch beliebt; ich will ehe bei Euch Hunger leiden, als bei einem andern Herrn stattlich leben, wann ich nur weiß, daß ich Euch darmit wohl diene.« – »Nein!« sagte ich, »ich kann keinen Knecht vor mir sehen, wann ich nicht selbst wie ein Herr leben darf; suche dir eine bessere Gelegenheit, dann ich will einmal nicht haben, daß du ein Mitgenoß meines Unglücks seiest.« Also küssete er mir die Hände und konnte vor Weinen schier nicht reden, wollte auch durchaus das Pferd nicht annehmen, sondern hielt vor besser, ich sollte es versilbern und zu meinem Unterhalt gebrauchen. Zuletzt überredete ich ihn doch, daß ers annahm, nachdem ich ihm versprochen, ihn wieder in Dienste zu nehmen, sobald ich jemand brauche. Über diesem Abscheid ward mein Hausvatter so mitleidig, daß ihm auch die Augen übergiengen, und gleichwie mich mein Knecht bei der Soldateska,[230] also erhub mich mein Hausvatter bei der Bürgerschaft wegen dieser Tat mit großem Lob über alle schwangere Bauren. Der Kommandant hielt mich vor einen so resoluten Kerl, daß er auch getraute, Schlösser auf meine Parole zu bauen, weil ich meinen Eid, dem Kaiser geschworen, nicht allein treulich, sondern auch dasjenige, das ich mich gegen ihm verschrieben, desto steifer zu halten, mich selbst meiner herrlichen Pferde, Gewehrs und des getreuen Knechts entblößte. Also ward ich ein Herr vor mich selber, wie jeder Bettler, der niemand untertan ist. Dergestalt verkehrt sich alles in der verkehrten Welt, indem andere schweren müssen, wann sie Kriegsdienste annehmen; ich aber mußte mich verpflichten, da ich sie einstellte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 228-231.
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