Das neunzehnte Kapitel.

[236] Simplex, der Jäger, machet ihm viel Freund,

Hört eine Predigt von eim, ders gut meint.


Wann das Glück einen stürzen will, so hebet es ihn zuvor in alle Höhe, und der gütige Gott lässet auch einen jeden vor[236] seinem Fall so treulich warnen. Das widerfuhr mir auch, ich nahms aber nicht an! Ich hielt in meinem Sinn gänzlich davor, daß mein damaliger glücklicher Stand so fest gegründet wäre, daß mich kein Unglück davon stürzen könnte, weil mir jedermann, insonderheit aber der Kommandant selbst, so wohl wollte. Diejenige, auf welche er viel hielt, gewann ich mit allerhand Ehrerbietungen, seine getreue Diener brachte ich durch Spendieren und Geschenke auf meine Seite, und mit denen, so etwas mehr als meinesgleichen waren, soff ich Brüderschaft und schwur ihnen unverbrüchliche Treue und Freundschaft; die gemeine Bürger und Soldaten waren mir deswegen hold, weil ich jedem freundlich zusprach. »Ach was vor ein freundlicher Mensch«, sagten sie oft zusammen, »ist doch der Jäger! er redet ja mit dem Kind auf der Gasse und erzörnt keinen Menschen!« Wann ich ein Häschen oder etliche Feldhühner fieng, so schickte ichs denen in die Küchen, deren Freundschaft ich suchte, lud mich darbei zu Gast und ließ etwan einen Trunk Wein, welcher derorten teuer war, darzu holen, ja ich stellte es also an, daß schier aller Kosten über mich gieng. Wann ich dann mit jemand bei solchen Gelachen in ein Gespräch kam, so redete ich, was jeder gern hörte, lobte jedermann, ohn mich selbst nicht, und wußte mich so demütig zu stellen, als ob ich die Hoffart nie gekannt hätte, wiewohl ich wußte, daß dieselbe im Krieg eine Ehre ist. Weil ich dann nun hierdurch eines jeden Gunst kriegte und jedermann viel von mir hielt, gedachte ich nicht, daß mir etwas Unglückliches widerfahren könnte, vornehmlich weil mein Säckel noch ziemlich gespickt war.

Ich gieng oft zum ältesten Pfarrer derselbigen Stadt, als der mir aus seiner Bibliothek viel Bücher lehnete, und wann ich ihm eins wiederbrachte, so diskurierte er von allerhand Sachen mit mir; dann wir akkommodierten uns so miteinander, daß einer den andern gern leiden mochte. Als nun nicht nur die Martinsgäns und Metzelsuppen hin und wieder, sondern auch die heilige Weihnachtfeiertäge vorbei waren, verehrete ich ihm eine Flaschen voll Straßburger Branntewein zum Neuen Jahr, welchen er, der Westfälinger Gebrauch nach, mit Kandelzucker gern einläpperte, und kam darauf hin, ihn zu besuchen, als er eben in meinem »Joseph« las, welchen ihm mein Wirt ohn mein Wissen geliehen hatte. Ich entfärbte mich, daß einem solchen gelehrten Mann meine Arbeit in die Hände kommen sollte, sonderlich weil man davorhält, daß einer am besten aus seinen Schriften erkannt werde. Er aber machte mich zu ihm sitzen und lobte zwar meine Invention, schalt aber, daß ich mich[237] so lang in der Seliche (die Potiphars Weib gewesen) Liebehändeln hätte aufgehalten. »Wessen das Herz voll ist, gehet der Mund über,« sagte er ferners; »wann der Herr nicht selbsten wüßte, wie einem Buhler ums Herz ist, so hätte Er dieses Weibes Passiones nicht so wohl ausführen oder vor Augen stellen können.« Ich antwortete, was ich geschrieben hätte, das wäre meine eigne Erfindung nicht, sondern hätte es aus andern Büchern, die Zeit zu vertreiben, extrahiert, mich um etwas im Schreiben zu üben. »Ja, ja,« antwortete er, »das glaub ich gern (scil.), aber Er versichere sich, daß ich mehr von Ihm weiß, als Er sich einbildet!« Ich erschrak, da ich diese Worte hörete, und gedachte: »Hat dirs dann St. Velten gesagt?« und weil er sahe, daß sich meine Farbe änderte, fuhr er ferner fort und sagte: »Der Herr ist frisch und jung, Er ist müßig und schön, Er lebet ohn Sorge und, wie ich vernehme, in allem Überfluß; darum bitte und ermahne ich Ihn im Herrn, daß Er bedenken wolle, in was vor einem gefährlichen Stand Er sich befindet; Er hüte sich vor dem Tier, das Zöpfe hat, will Er anders sein Glück und Heil beobachten. Der Herr möchte zwar gedenken: ›Was gehts den Pfaffen an, was ich tu und lasse (ich gedachte: Du hast es erraten!), oder was hat er mir zu befehlen?‹ Es ist wahr, ich bin ein Seelsorger! Aber Herr, seid versichert, daß mir Eure, als meines Guttäters, zeitliche Wohlfahrt aus christlicher Liebe so hoch angelegen ist, als ob Ihr mein eigener Sohn wäret. Immer schade ist es, und Ihr könnet es bei Euerm himmlischen Vatter in Ewigkeit nicht verantworten, wann Ihr Eur Talent, das er Euch verliehen, vergrabet und Euer edel Ingenium, das ich aus gegenwärtiger Schrift erkenne, verderben lasset. Mein getreuer und vätterlicher Rat wäre, Ihr legtet Eure Jugend und Eure Mittel, die ihr hier so unnützlich verschwendet, zum Studieren an, damit Ihr heut oder morgen beides, Gott und Menschen, und Euch selbst bedient sein könnet, und ließet das Kriegswesen, zu welchem Ihr, wie ich höre, so große Lust traget, sein, wie es ist, eh Ihr ohnversehens einmal eine Schlappe davontraget und dasjenige Sprüchwort wahr zu sein an Euch befindet, welches heißt: Junge Soldaten, alte Bettler.« Ich hörete diesen Sentenz mit großer Ungedult, weil ich dergleichen zu vernehmen nicht gewohnt war, jedoch stellete ich mich viel anders, als mirs ums Herz war, damit ich mein Lob, daß ich ein feiner Mensch wäre, nicht verliere; bedankte mich zumal auch sehr vor seine erwiesene Treuherzigkeit und versprach, mich auf sein Einraten zu bedenken, gedachte aber bei mir selbst wie des Goldschmieds Junge, und was es den Pfaffen geheie, wie[238] ich mein Leben anstelle, weil es damals mit mir aufs höchste kommen war und ich die nunmehr gekostete Liebewollüste nicht mehr entbehren wollte. Es gehet aber mit solchen Warnungen nicht änderst her, wann die Jugend schon des Zaums und der Sporen der Tugenden entwohnet ist und in vollen Sprüngen ihrem Verderben zurennet.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 236-239.
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