Das einundzwanzigste Kapitel.

[241] Simplex geht fenstern, wird darüber bekommen,

Sagt, was man weiter mit ihm vorgenommen.


Gegen meinem Quartier über wohnete ein reformierter Obristleutenant; der hatte eine überaus schöne Tochter, die sich ganz adelig trug. Ich hätte längst gern Kundschaft zu ihr gemachet, unangesehen sie mir anfänglich nicht beschaffen zu sein deuchte, daß ich sie allein lieben und auf ewig haben möchte; doch schenkte ich ihr manchen Gang und noch viel[241] mehr liebreicher Blicke; sie ward mir aber so fleißig verhütet, daß ich kein einzig Mal, als ich mir wünschete, mit ihr zu reden kommen konnte. So dorfte ich auch so unverschämt nicht hineinplatzen, weil ich mit ihren Eltern keine Kundschaft hatte und mir der Ort vor einen Kerl von so geringem Herkommen, als mir das meinige bewußt war, viel zu hoch vorkam. Am allernächsten gelangte ich zu ihr, wann wir etwan in oder aus der Kirche giengen; da nahm ich dann die Zeit so fleißig in acht, mich ihr zu nähern, daß ich oft ein paar Seufzer anbrachte, das ich meisterlich konnte, obzwar sie alle aus falschem Herzen giengen. Hingegen nahm sie solche auch noch kaltsinnig an, daß ich mir einbilden mußte, daß sie sich nicht so leicht wie eines schlechten Bürgers Tochter verführen lassen würde; und indem ich gedachte, sie würde mir schwerlich zuteil, wurden meine Begierden nach ihr nur desto heftiger.

Mein Stern, der mich das erstemal zu ihr vermittelte, war derjenige, den die Schüler zu immerwährendem Gedächtnüs um selbige Zeit des Jahrs herumtragen, damit anzuzeigen, daß die drei Weisen durch einen solchen nach Bethlehem begleitet worden, so ich anfänglich vor ein gut Omen hielt, weil mir dergleichen einer in ihre Wohnung leuchtete, da ihr Vatter selbst nach mir schickte: »Monsieur,« sagte er zu mir, »Seine Neutralität, die Er zwischen Bürgern und Soldaten hält, ist eine Ursache, daß ich Ihn zu mir bitten lassen, weil ich wegen einer Sache, die ich zwischen beiden Teilen ins Werk zu richten vorhabe, einen unparteischen Zeugen bedarf.« Ich vermeinte, er hätte was Wundergroßes im Sinn, weil Schreibzeug und Papier auf dem Tisch war, bot ihm derowegen zu allen ehrlichen Geschäften meine bereitfertigste Dienste an mit sondern Komplimenten, daß ich mirs nämlich vor eine große Ehre halten würde, wann ich so glückselig sei, ihm beliebige Dienste zu leisten. Es war aber nichts anders, als (wie an vielen Orten der Gebrauch ist) ein Königreich zu machen, maßen es eben an der hl. drei Könige Abend war; dabei sollte ich zusehen, daß es recht zugienge und die Ämter, ohn Ansehung der Personen, durch das Los ausgeteilet würden. Zu diesem Geschäft, bei welchem des Obristen Sekretarius auch war, ließ der Obristleutenant Wein und Konfekt langen, weil er ein trefflicher Zechbruder und es ohndas nach dem Nachtessen war. Der Sekretarius schrieb, ich las die Namen, und die in meinem Herzen eingewurzelte Jungfer zog die Zettel, ihre Eltern aber sahen zu; und ich mag eben nicht ausführlich erzählen, wie es hergangen, dann ich die erste Kundschaft an diesem Ort machte. Sie beklagten[242] sich über die lange Winternächte und gaben mir damit zu verstehen, daß ich, solche desto leichter zu passieren, wohl zu ihnen zu Liecht kommen dörfte, indem sie ohndas keine besonders große Geschäfte hätten. Dies war nun eben das, was ich vorlängsten gewünschet.

Von diesem Abend an (da ich mich zwar nur ein wenig bei der Jungfer zutäppisch machte) fieng ich wieder auf ein neues an, mit der Leimstangen zu laufen und am Narrensail zu ziehen, also daß sich beides, die Jungfer und ihre Eltern, einbilden mußten, ich hätte den Angel geschluckt, wiewohl mirs nicht halber Ernst, sondern nur darum zu tun war, wie ich den Ehestand ledigerweise treiben möchte. Ich butzte mich alls nur gegen der Nacht, wann ich zu ihr wollte, wie die Hexen, und den Tag über hatte ich mit den Liebsbüchern (Liebegrillen) zu tun; daraus stellete ich Buhlenbrieflein an meine Liebste, eben als ob ich hundert Meil Wegs von ihr gewohnt hätte oder in viel Jahren nicht zu ihr käme. Zuletzt machte ich mich gar gemein, weil mir meine Löffelei nicht sonderlich von den Eltern gewehret, sondern zugemutet ward, ich sollte ihre Tochter auf der Laute lernen schlagen. Da hatte ich nun einen freien Zutritt bei Tag sowohl als hiebevor des Abends, also daß ich meinen gewöhnlichen Reimen:


»Ich und eine Fledermaus

Fliegen nur bei Nachtzeit aus«


änderte und ein Liedlein machte, in welchem ich mein Glück lobte, weil es mir auf so manchen guten Abend auch so freudenreiche Täge verliehe, an denen ich in meiner Liebsten Gegenwart meine Augen waiden und mein Herz um etwas erquicken könnte. Hingegen klagte ich auch in ebendemselbigen Lied über mein Unglück und bezüchtigte dasselbige, daß es mir die Nächte verbitterte und mir nicht gönnete, solche auch wie die Täge mit liebreicher Ergetzung hinzubringen! Und obzwar es um etwas zu frei kam, so sang ichs doch meiner Liebsten mit andächtigen Seufzen und einer lustreizenden Melodei, darzu die Laute das ihrige trefflich tät und gleichsam die Jungfer mit mir bat, sie wollte doch kooperieren, daß mir die Nächte so glücklich als die Täge bekommen möchten. Aber ich bekam ziemlich abschlägige Antwort, dann sie war trefflich klug und konnte mich auf meine Erfindungen, die ich bisweilen artlich anbrachte, gar höflich beschlagen. Ich nahm mich auf solche Weise künftig besser in acht, von der Verehlichung zu schweigen, ja, wann schon diskursweis davon geredet ward, stellete ich doch alle meine Worte auf[243] Schrauben. Welches meiner Jungfer Schwester, die schon verheuratet war, bald merkte und dahero mir und meinem lieber Mägdlein alle Pässe verlegte, damit wir nicht so oft wie zuvor allein beisammen sein sollten; dann sie sahe wohl, daß mich ihre Schwester von Herzen liebete und daß die Sache in die Länge kein gut tun würde.

Es ist unnötig, alle Torheiten meiner Löffelei umständlich zu erzählen, weil dergleichen Possen ohndas alle Liebsschriften voll sein. Genug ist es, wann der günstige Leser weiß, daß es zuletzt dahinkam, daß ich erstlich mein liebes Dingelchen zu küssen und endlich auch andere Narrenpossen zu tun mich erkühnen dorfte. Solchen erwünschten Fortgang verfolgte ich mit allerhand Reizungen, bis ich bei Nacht von meiner Liebsten eingelassen ward und mich so hübsch zu ihr ins Bette fügte, als wann ich zu ihr gehört hätte. Weil jedermann weiß, wie es bei dergleichen Kürben pfleget gemeiniglich herzugehen, so dörfte sich wohl der Leser einbilden, ich hätte etwas Ungebührliches begangen. Jawohl nein! Ich wußte zwar wohl, warum ich da war, weil es nicht das erstemal gewesen, daß ich mich dergestalt beim Frauenzimmer eingefunden; ich wußte auch wohl, was und wie ich suchen sollte, aber da war alles umsonst, alle meine Liebreizungen waren nichts und alle meine Verheißungen geschahen vergeblich. Ja, ich fand einen solchen Widerstand, dergleichen ich mir nimmermehr bei keinem Weibsbild anzutreffen gedenken können, weil ihr Absehen einzig und allein auf Ehre und den Ehestand gegründet war; und wanngleich ich ihr solchen mit den allergrausamsten Flüchen versprach, so wollte sie jedoch vor der ehelichen Kopulation kurzum nichts geschehen lassen; doch gönnete sie mir, auf ihrem Bette neben ihr liegen zu bleiben, auf welchem ich auch ganz ermüdet vor Unmut sanft einschlummerte. Ich ward aber gar ungestüm aufgeweckt; dann morgens um 4 Uhr stund der Obristleutenant vorm Bette mit einer Pistol in der einen und einer Fackel in der andern Hand. »Krabat,« schrie er überlaut seinem Diener zu, der auch mit einem bloßen Säbel neben ihm stund, »geschwind, Krabat, hole den Pfaffen!«, wovon ich dann erwachte und sahe, in was vor einer Gefahr ich mich befand. »O weh!« gedachte ich, »du sollst gewiß zuvor beichten, ehe er dir den Rest gibet!« Es ward mir ganz grün und gelb vor den Augen, und wußte nicht, ob ich sie recht auftun sollte oder nicht. »Du leichtfertiger Geselle!« sagte er zu mir, »soll ich dich finden, daß du mein Haus schändest? Tät ich dir unrecht, wann ich dir und dieser Vettel, die deine Hure worden ist, den Hals bräche? Ach du Bestia! wie[244] kann ich mich doch nur enthalten, daß ich dir nicht das Herz aus dem Leib herausreiße und, zu kleinen Stücken zerhackt, den Hunden darwerfe?« Damit biß er die Zähne übereinander und verkehrte die Augen als ein unsinnig Tier. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und meine Beischläferin, die er auch schröcklich ausmachte, konnte nichts als weinen. Endlich, da ich mich ein wenig erholete, wollte ich etwas von unserer Unschuld vorbringen, er aber hieß mich das Maul halten und wollte kurzum kein Wort hören; also mußte ich schweigen und ihme das Wort allein lassen, allermaßen er wieder auf ein neues anfieng, mir aufzurucken, daß er mir viel ein anders vertrauet, ich aber hingegen ihn mit der allergrößten Untreue von der Welt gemeint hätte. Indessen kam seine Frau auch darzu, die fieng eine nagelneue Predigt an, also daß ich wünschte, ich läge irgends in einer Dornhecke; ich glaube auch, sie hätte in zweien Stunden nicht aufgehört, wann der Krabat mit dem Pfarrer nicht kommen wäre.

Eh dieser ankam, unterstund ich etlichemal aufzustehen, aber der Obristleutenant machte mich mit bedrohlichen Mienen liegend bleiben, also daß ich erfahren mußte, wie gar keine Courage ein Kerl hat, der auf einer bösen Tat ertappt wird, und wie einem Dieb ums Herz ist, den man erwischt, wann er eingebrochen, obgleich er nie nichts gestohlen hat. Ich gedenke der lieben Zeit, wann mir der Obr. Leutenant samt zwei solchen Kroaten aufgestoßen wäre, daß ich sie alle drei zu jagen unterstanden, aber jetzt lag ich da wie ein ander Bärnhäuter und hatte nicht das Herz, nur das Maul, geschweige die Fäuste, recht aufzutun. »Sehet, Herr Pfarrer!« sagte er, »das schöne Spektakul, zu welchem ich Euch zum Zeugen meiner Schande berufen muß!« Und kaum hatte er diese Worte ordentlich vorgebracht, da fieng er wieder an zu wüten und das Tausendste ins Hundertste zu werfen, daß ich nichts anders als vom Halsbrechen und Hände in Blut wäschen verstehen konnte. Er schaumte ums Maul wie ein Eber und stellte sich nicht anderst, als ob er gar von Sinnen kommen wollte, also daß ich alle Augenblick gedachte: »Jetzt jagt er dir eine Kugel durch den Kopf!« Der Pfarrer aber wehrte mit Händen und Füßen, daß nichts Tödliches geschähe, so ihn hernach reuen möchte. »Was?« sagte er, »Herr Obristleutenant, brauchet Eure hohe Vernunft und bedenket das Sprüchwort, daß man zu geschehenen Dingen das Beste reden soll. Dies schöne junge Paar, das seinesgleichen schwerlich im Land hat, ist nicht das erste und auch nicht das letzte, so sich von den unüberwindlichen Kräften der Liebe meistern lassen; dieser Fehler, den sie beide begangen, kann auch[245] durch sie, da es anders ein Fehler zu nennen, wieder leichtlich gebessert werden. Zwar lobe ichs nicht, sich auf diese Art zu verehlichen, aber gleichwohl hat dieses junge Paar hierdurch weder Galgen noch Rad verdienet, der Herr Obristleutenant auch keine Schande davon zu gewarten, wann er nur diesen geschehenen Fehler (der ohndas noch niemand bewußt) heimlich halten und verzeihen, seinen Konsens zu beider Verehlichung geben und diese Ehe durch den gewöhnlichen Kirchgang offentlich bestätigen lassen wird.« – »Was?« antwortete er, »sollte ich ihnen anstatt billiger Strafe erst noch hofieren und große Ehre antun? ich wollte sie eh morgenden Tags beide zusammenbinden und in der Lippe ertränken lassen! Ihr müsset mir sie in diesem Augenblick kopulieren, maßen ich Euch deswegen holen lassen, oder ich will sie alle beide wie die Hühner erwürgen.«

Ich gedachte: »Was willt du tun? es heißt: ›Vogel friß oder stirb‹; zudem, so ist es eine solche Jungfer, deren du dich nicht schämen darfst; ja wann du dein Herkommen bedenkest, so bist du kaum wert hinzusitzen, wo sie ihre Schuh hinstellet.« Doch schwur ich und bezeugte hoch und teuer, daß wir nichts Unehrliches miteinander zu schaffen gehabt hätten. Aber mir ward geantwortet, wir sollten uns gehalten haben, daß man nichts Böses von uns argwöhnen können, diesen Weg aber würden wir dem einmal gefaßten Verdacht niemand benehmen. Hierauf wurden wir von gemeldtem Pfarrer, im Bette sitzend, zusammengegeben, und nachdem solches geschehen, aufzustehen und miteinander aus dem Haus zu gehen gemüßiget. Unter der Tür sagte der Obristleutenant zu mir und seiner Tochter, wir sollten uns in Ewigkeit vor seinen Augen nicht mehr sehen lassen. Ich aber, als ich mich wieder erholte und den Degen auch an der Seite hatte, antwortete gleichsam im Scherz: »Ich weiß nicht, Herr Schwährvatter, warum Er alles so widersinns anstellet: wann andere neue Eheleute kopuliert werden, so führen sie die nächste Verwandte schlafen, Er aber jaget mich nach der Kopulation nicht allein aus dem Bette, sondern auch gar aus dem Haus, und anstatt des Glücks, das er mir in Ehestand wünschen sollte, will Er mich nicht so glückselig wissen, meines Schwähers Angesicht zu sehen und ihm zu dienen. Wahrlich, wann dieser Brauch aufkommen sollte, so würden die Verehlichungen wenig Freundschaft mehr in der Welt stiften.«[246]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 241-247.
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