Das dreiundzwanzigste Kapitel.

[250] Simplex kommt in ein Stadt, die er Köllen heißt,

Sein Geld zu holen er da sich befleißt.


Es schicket sich ein Ding auf mancherlei Weise: Des einen Unstern kommt staffelweis und allgemach, und einen andern überfällt das seinige mit Haufen; das meinige aber hatte einen süßen und angenehmen Anfang, daß ich mirs wohl vor kein Unglück, sondern vor das höchste Glück rechnete. Kaum über acht Tage hatte ich mit meinem lieben Weib im Ehestand zugebracht, da ich in meinem Jägerkleid mit einem Feuerrohr auf der Achsel von ihr und ihren Freunden den Abschied nahm, dasjenige, was ich zu Köln in Verwahrung geben, wieder abzuholen. Ich schlich mich glücklich durch, weil mir alle Wege bekannt, also daß mir keine Gefahr unterwegs aufstieß; ja, ich ward von keinem Menschen gesehen, bis ich nacher Dütz, so gegen Köln über diesseits Rhein lieget, vor den Schlagbaum kam. Ich aber sahe viel Leute, sonderlich einen Bauren im bergischen Land, der mich allerdings an meinen Knän im Spessert gemahnete, sein Sohn aber dessen Simplicio sich am besten vergliche. Dieser Baurenbub hütete der Schweine, als ich bei ihm vorüberpassieren wollte, und weil die Säue mich spüreten, fiengen sie an zu grunzen, der Knabe aber über sie zu fluchen, daß sie der Donner und Hagel erschlagen und »de Tüfel dartho halen skolde«. Das höret die Magd und schriee dem Jungen zu, er sollte aufhören zu fluchen, oder sie wollts dem Vatter sagen. Deren antwortete der Knabe, sie sollte ihn im Hintern lecken und »ihr Mour dartho brühen«. Der Baur hörete seinem Sohn gleichfalls zu, lief derowegen mit seinem Brügel aus dem Haus und schrie: »Halt, du hunderttausend etc. Schelm, ick sall di lehren sweren, de Hagel schla di dan, dat di de Tüfel int Liff fahr!« erwischte ihn darmit bei der Kartause, brügelte ihn wie einen Tanzbär und sagte zu jedem Streich: »Du böse Bof, ick sall di leeren flocken; de Tüfel hat di dan, ick sal di im Arse lecken, ick sal di leeren dine Mour brühen etc.« Diese Zucht[250] erinnerte mich natürlich an mich und meinen Knän, und ich war doch nicht so ehrlich oder gottselig, daß ich Gott gedanket hätte, weil er mich aus solcher Finsternüs und Ignoranz gezogen und zu einer bessern Wissenschaft und Erkanntnus gebracht; warum wollte dann mein Glück, das er mir täglich zuschickete, in die Länge haben harren können? Da ich nun nach Köln kam, kehrete ich bei meinem Jupiter ein, so damals ganz klug und bei Sinnen war. Als ich ihm nun vertraute, warum ich da wäre, sagte er mir gleich, daß ich besorglich lär Stroh dreschen würde, weil der Kaufmann, dem ich das Meinige aufzuheben geben, Bankerott gespielet und ausgerissen wäre; zwar seien meine Sachen obrigkeitlich verpetschiert, er selbst aber sich wieder einzustellen zitieret worden; aber man zweifle sehr an seiner Wiederkunft, weil er das Beste, so fortzubringen gewesen, mit sich genommen; bis nun die Sache erörtert würde, könnte viel Wasser den Rhein hinunterlaufen. Wie angenehm mir diese Bottschaft war, kann ein jeder leicht ermessen; ich fluchte ärger als ein Fuhrmann, aber was halfs? ich hatte darum meine Sachen nicht wieder und überdas keine Hoffnung, solche zu bekommen. So hatte ich auch über zehn Taler Zehrgelt nicht zu mir genommen, daß ich also mich nit so lang aufhalten konnte, als es die Zeit erforderte. Überdas hatte es auch Gefahr auf sich, so lang dazubleiben, dann ich mußte sorgen, daß, weil ich einer feindlichen Garnison zugetan wäre, ich verkundschaft würde und also nicht allein gar um das Meinige, sondern noch darzu in größre Ungelegenheit kommen; sollte ich dann unverrichter Sache wieder zurück, das Meinige mutwillig dahinden lassen und den Hingang vor den Hergang haben, das dünkte mich auch nicht ratsam, sondern gar zu spöttisch sein. Zuletzt ward ich mit mir selber eins, ich wollte mich in Köln aufhalten, bis die Sache erörtert würde, und die Ursache meines Ausbleibens meiner Liebsten berichten, verfügte mich demnach zu einem Prokurator, der ein Notarius war, und erzählete ihm mein Tun, bat ihn, mir um die Gebühr mit Rat und Tat beizuspringen, ich wollte ihm neben dem Tax, wann er meine Sache beschleunigte, mit einer guten Verehrung begegnen. Weil er dann hoffte, es würde an mir etwas zu fischen sein, nahm er mich gutwillig an und dingte mich auch in die Kost; darauf gieng er andern Tags mit zu denjenigen Herren, welche die Fallimentssachen zu erörtern haben, gab vidimierte Kopei von des Kaufmanns Handschrift ein und legte das Original vor, worauf wir zur Antwort bekamen, daß wir uns bis zu gänzlicher Erörterung und Ausgang der Sache patientieren müßten,[251] weil die Sachen, davon die Handschrift sage, nicht alle vorhanden wären.

Also versahe ich mich des Müßiggangs wieder auf eine Zeitlang, bis ich sehen wollte, wie es in großen Städten hergehet. Mein Kostherr war, wie gehört, ein Notarius und Prokurator, darneben hatte er etwan ein halb Dutzet Kostgänger und hielt stets acht Pferde auf der Streu, welche er den Reisenden um Geld hinzuleihen pflegte, darbei hatte er einen teutschen und einen welschen Knecht, die sich beides, zum Fahren und Reiten, wie die Postillionen auf alle vorfallende Reisen gebrauchen ließen und der Pferde warteten, mit welcher drei- oder vierthalbfachen Handierung er nicht allein seine Nahrung reichlich gewann, sondern auch ohn Zweifel trefflich vorschlug; dann weil keine Juden in selbige Stadt kommen dörfen, konnte er mit allerlei Sachen desto besser wuchern.

Ich lernete viel in der geringen Zeit, die ich bei ihm war, vornehmlich aber alle Krankheiten kennen, so die größte Kunst an einem Doctor Medicinae ist; dann man sagt, wann man eine Krankheit recht erkenne, so sei dem Patienten schon halb geholfen. Daß ich nun solche Wissenschaft begriffe, daran war mein Wirt Ursacher; dann von seiner Person fieng ich an, auch auf andere zu sehen und ihre Komplexion zu betrachten. Da fand ich manchen totkrank, der seine Krankheit oft selbst nicht wußte und auch von andern Menschen, ja von den Doctoribus selbst, vor einen Gesunden gehalten ward. Ich fand Leute, die waren vor Zorn krank, und wann sie die Krankheit anstieß, so verstelleten sie die Gesichter wie die Teufel, brülleten wie die Löwen, kratzten wie die Katzen, schlugen um sich wie die Bären, bissen drein wie die Hunde, und damit sie sich ärger stellen möchten als die rasende Tiere, warfen sie auch mit allem, das sie in die Hände kriegten, um sich wie die Narren. Man saget, diese Krankheit komme von der Galle her, aber ich glaube, daß sie ihren Ursprung daher habe, wann ein Narr hoffärtig sei; derhalben wann du einen Zornigen rasen hörest, sonderlich über ein gering Ding, so halt kecklich davor, daß er mehr stolz als klug sei. Aus dieser Krankheit folget unzählig viel Unglück, sowohl dem Kranken selbst als andern; dem Kranken zwar endlich die Lähme, Gicht und ein frühzeitiger, wo nicht gar ewiger Tod! Und kann man diese Kranken, obschon sie gefährlich krank sein, mit gutem Gewissen keine Patienten nennen, weil ihnen die Patienz am allermeisten mangelt. Etliche sahe ich am Neid darniederliegen, von welchen man saget, daß sie ihr eigen Herz fressen, weil sie immer so bleich und traurig dahertretten.[252] Diese Krankheit halte ich vor die allergefährlichste, weil sie vom Teufel ihren Ursprung hat, wiewohl sie von lauter Glück herrühret, das des Kranken Feind hat; und welcher einen solchen von Grund aus kurieret, der dörfte sich beinahe rühmen,er hätte einen Verlornen zum christlichen Glauben bekehrt, weil diese Krankheit keinen rechtschaffenen Christen anstößt, als die da nur die Sünde und Laster neiden. Die Spielsucht hielte ich auch vor eine Krankheit, nicht allein weil es der Name mit sich bringet, sondern weil diejenige, so damit behaftet, ganz giftig darauf verpicht sein. Diese hat ihren Ursprung vom Müßiggang und nicht vom Geiz, wie etliche vermeinen, und wann du Wollust und Müßiggang hinwegnimmest, vergehet diese Krankheit von sich selbst. So befand ich, daß Fressen und Saufen auch eine Krankheit ist, und daß solche aus der Gewohnheit und nicht aus dem Überfluß herkommt. Armut ist zwar gut davor, aber sie wird dadurch nicht von Grund aus geheilet; dann ich sahe Bettler im Luder und reiche Filze Hunger leiden.Sie bringet ihre Arznei auf dem Rucken mit sich, der heißt Mangel, wo nicht am Gut, doch an der übrigen Gesundheit des Leibes, also daß endlich diese Kranke gemeiniglich von sich selbst gesund werden müssen, wann sie nämlich entweder aus Armut oder andrer Krankheit halber nicht mehr zehren können. Die Hoffart hielt ich vor eine Art der Phantasterei, welche ihren Ursprung aus der Unwissenheit habe; dann wann sich einer selbst kennet und weiß, wo er her ist und endlich hinkommt, so ists unmüglich, daß er mehr so ein hoffärtiger Narr sein kann. Wann ich einen Pfau oder welschen Hahn sehe, der sich ausspreitet und so etwas daher kollert, muß ich mich vernarren, daß diese unvernünftige Tiere dem armen Menschen in seiner großen Krankheit so artlich spotten können. Ich habe keine sonderliche Arznei darwider finden können, weil diese, so daran krank liegen, ohn die Demut ebensowenig als andere Narren zu kurieren sein. Ich fand auch, daß Lachen eine Krankheit ist; dann Philemon ist ja dran gestorben, und Democritus ist bis an sein Ende damit infiziert gewesen. So sagen auch noch auf den heutigen Tag unsere Weiber, sie möchten sich zu Tot lachen! Man saget, es habe seinen Ursprung von der Leber, aber ich glaube ehender, es komme aus übriger Torheit her; sintemal viel Lachen kein Anzeigen eines vernünftigen Mannes ist. Es ist unvonnöten und sich nicht viel zu bemühen, eine Arznei darwider zu verordnen, weil es nicht allein eine lustige Krankheit ist, sondern auch manchem vergehet, eh ers gern hat. Nicht weniger merkte ich, daß der Fürwitz auch eine Krankheit und sonderlich dem weiblichen[253] Geschlecht schier angeboren sei; ist zwar gering anzusehen, aber in Wahrheit sehr gefährlich, maßen wir noch alle an unsrer ersten Mutter Kuriosität zu däuen haben. Von den übrigen, als Faulheit, Rachgier, Eifer, Frevel, Gebrechen der Liebe und andern dergleichen Krankheiten und Lastern will ich vor diesmal schweigen, weil ich mir niemals vorgenommen, etwas davon zu schreiben, sondern wieder auf meinen Kostherrn kommen, der mir Ursach gab, dergleichen Gebrechen nachzusinnen, weil er vom Geiz bis aufs äußerste Haar eingenommen und besessen war.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 250-254.
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