Das vierte Kapitel.

[188] Simplex hört Jovem vom teutschen Held sagen,

Der die Welt zwingen werd und Fried erjagen.


Jupiter antwortete: »Du redest von der Sache wie ein natürlicher Mensch, als ob du nicht wüßtest, daß uns Göttern müglich sei, etwas anzustellen, daß nur die Bösen gestraft und die Guten erhalten werden. Ich will einen teutschen Helden erwecken, der soll alles mit der Schärfe des Schwerts vollenden; er wird alle verruchte Menschen umbringen und die fromme erhalten und erhöhen.« Ich sagte: »So muß ja ein solcher Held auch Soldaten haben, und wo man Soldaten braucht, da ist auch Krieg, und wo Krieg ist, da muß der Unschuldige sowohl als der Schuldige herhalten!« – »Seid ihr irdische Götter dann auch gesinnt wie die irdische Menschen,« sagte Jupiter hierauf, »daß ihr so gar nichts verstehen könnet? Ich will einen solchen Helden schicken, der keinen Soldaten bedarf und doch die ganze Welt reformieren soll; in seiner Geburtstunde will ich ihm verleihen einen wohlgestalten und stärkern Leib, als Herkules einen hatte, mit Fürsichtigkeit, Weisheit und Verstand überflüssig geziert; hier soll ihm Venus geben ein schön Angesicht, also daß er auch Narcissum, Adonidem und meinen Ganymedem selbst übertreffen solle; sie soll ihm zu allen seinen Tugenden eine sonderbare Zierlichkeit, Aufsehen und Anmütigkeit vorstrecken und dahero ihn bei aller Welt beliebt machen, weil ich sie eben der Ursachen halber in seiner Nativität desto freundlicher[188] anblicken werde. Mercurius aber soll ihn mit unvergleichlich sinnreicher Vernunft begaben, und der unbeständige Mond soll ihm nicht schädlich, sondern nützlich sein, weil er ihm eine unglaubliche Geschwindigkeit einpflanzen wird. Die Pallas soll ihn auf dem Parnasso auferziehen, und Vulcanus soll ihm in hora Martis seine Waffen, sonderlich aber ein Schwert schmieden, mit welchem er die ganze Welt bezwingen und alle Gottlosen niedermachen wird ohne fernere Hülfe eines einzigen Menschen, der ihm etwan als ein Soldat beistehen möchte: er soll keines Beistandes bedörfen. Eine jede große Stadt soll von seiner Gegenwart erzittern, und eine jede Festung, die sonst unüberwindlich ist, wird er in der ersten Viertelstunde in seinem Gehorsam haben und unter sein Joch bringen; zuletzt wird er den größten Potentaten in der Welt befehlen und die Regierung über Meer und Erden so löblich anstellen, daß beides, Götter und Menschen, ein Wohlgefallen darob haben sollen.«

Ich sagte: »Wie kann die Niedermachung aller Gottlosen ohn Blutvergießen und das Kommando über die ganze weite Welt ohn sonderbare große Gewalt und starken Arm beschehen und zuwegengebracht werden? O Jupiter, ich bekenne dir unverhohlen, daß ich diese Dinge weniger als ein sterblicher Mensch begreifen kann!« Jupiter antwortete: »Das gibt mich nicht Wunder, weil du nicht weißt, was meines Helden Schwert vor eine seltene Kraft an sich haben wird. Vulcanus wirds aus denen Materialien verfertigen, daraus er mir meine Donnerkeil machet, und dessen Tugenden dahin richten, daß mein großmütiger teutscher Held, wann er solches entblößet und nur einen Streich damit in die Luft tut, einer ganzen Armada, wanngleich sie hinter einem Berg eine ganze Schweizer Meil Wegs weit von ihm stünde, auf einmal die Köpfe herunterhauen kann, also daß die arme Teufel ohn Köpfe daliegen müssen, ehe sie einmal wissen, wie ihnen geschehen! Wann er dann nun seinem Lauf den Anfang machet und vor eine Stadt oder Festung kommt, so wird er des Tamerlanis Manier brauchen und zum Zeichen, daß er Friedens halber und zu Beförderung aller Wohlfahrt vorhanden sei, ein weißes Fähnlein aufstecken. Kommen sie dann zu ihm heraus und bequemen sich, wohl gut; wo nicht, so wird er von Leder ziehen und durch Kraft mehrgedachten Schwerts allen Zauberern und Zauberinnen, so in der ganzen Stadt sein, die Köpfe herunterhauen und ein rotes Fähnlein aufstecken; wird sich aber dannoch niemand einstellen, so wird er alle Mör der, Wucherer, Diebe, Schelmen, Ehebrecher, Huren und Buben auf die vorige Manier umbbringen und ein schwarzes Fähnlein sehen[189] lassen. Wofern aber nicht so bald diejenige, so noch in der Stadt übrigblieben, zu ihm kommen und sich demütig einstellen, so wird er die ganze Stadt und ihre Inwohner als ein halsstarrig und ungehorsam Volk ausrotten wollen, wird aber nur diejenige hinrichten, die den andern abgewehrt haben und eine Ursache gewesen, daß sich das Volk nicht eh ergeben. Also wird er von einer Stadt zur andern ziehen, einer jeden Stadt ihr Teil Landes, um sie her gelegen, im Frieden zu regieren übergeben und von jeder Stadt durch ganz Teutschland zween von den klügsten und gelehrtesten Männern zu sich nehmen, aus denselben ein Parlament machen, die Städte miteinander auf ewig vereinigen, die Leibeigenschaften samt allen Zöllen, Akzisen, Zinsen, Gülten und Umgelten durch ganz Teutschland aufheben und solche Anstalten machen, daß man von keinem Fronen, Wachen, Kontribuieren, Geld geben, Kriegen, noch einziger Beschwerung beim Volk mehr wissen, sondern viel seliger als in den Elysischen Feldern leben wird. Alsdann (sagte Jupiter ferner) werde ich oftmals den ganzen Chorum Deorum nehmen und herunter zu den Teutschen steigen, mich unter ihren Weinstöcken und Feigenbäumen zu ergötzen; da werde ich den Helikon mitten in ihre Grenzen setzen und die Musen von neuem darauf pflanzen; die drei Grazien sollen meinen Teutschen viel 1000 Lustbarkeiten erwecken. Ich werde Teutschland höher segnen mit allem Überfluß als das glückselige Arabiam, Mesopotamiam und die Gegend um Damasco. Die griechische Sprache werde ich alsdann verschwören und nur Teutsch reden, und mit einem Wort mich so gut teutsch erzeigen, daß ich ihnen auch endlich, wie vor diesem den Römern, die Beherrschung über die ganze Welt werde ankommen lassen.« Ich sagte: »Höchster Jupiter, was werden aber Fürsten und Herren darzu sagen, wann sich der künftige Held unterstehet, ihnen das Ihrige so unrechtmäßiger Weis abzunehmen und den Städten zu unterwerfen? Werden sie sich nicht mit Gewalt widersetzen oder wenigst vor Göttern und Menschen darwider protestieren?« Jupiter antwortete: »Hierum wird sich der Held wenig bekümmern! Er wird alle Große in drei Teile unterscheiden und diejenige, so unexemplarisch und verrucht leben, gleich den Gemeinen strafen, weil seinem Schwert keine irdische Gewalt widerstehen mag; denen übrigen aber wird er die Wahl geben, im Land zu bleiben oder nicht. Was bleibet und sein Vatterland liebet, die werden leben müssen wie andere gemeine Leute; aber das Privatleben der Teutschen wird alsdann viel vergnügsamer und glückseliger sein als jetzund das Leben und der[190] Stand eines Königs, und die Teutsche werden alsdann lauter Fabricii sein, welcher mit dem König Pyrrho sein Königreich nicht teilen wollte, weil er sein Vatterland neben Ehre und Tugend so hoch liebte; und das sein die andern. Die dritte aber, die ja Herrn bleiben und immerzu herrschen wollen, wird er durch Ungarn und Italien in die Moldau, Walachei, in Macedoniam, Thraciam, Gräciam, ja über den Hellespontum in Asiam hineinführen, ihnen dieselbe Länder gewinnen, alle Kriegsgurgeln in ganz Teutschland mitgeben und sie alldort zu lauter Königen machen. Alsdann wird er Konstantinopel in einem Tag einnehmen und allen Türken, die sich nicht bekehren oder gehorsamen werden, die Köpfe vor den Hindern legen; daselbst wird er das römische Kaisertum wieder aufrichten und sich wieder in Teutschland begeben und mit seinen Parlamentsherren (welche er, wie ich schon gesagt habe, aus allen teutschen Städten paarweis sammlen und die Vorsteher und Vätter seines teutschen Vatterlandes nennen wird) eine Stadt mitten in Teutschland bauen, welche viel größer sein wird als Manoah in Amerika und goldreicher, als Jerusalem zu Salomons Zeiten gewesen, deren Wälle sich dem tirolischen Gebürg und ihre Wassergräben der Breite des Meers zwischen Hispania und Afrika vergleichen soll. Er wird einen Tempel hineinbauen von lauter Diamanten, Rubinen, Smaragden und Saphiren; und in der Kunstkammer, die er aufrichten wird, werden sich alle Raritäten in der ganzen Welt versammlen von den reichen Geschenken, die ihm die Könige in China, in Persia, der große Mogol in den orientalischen Indien, der große Tartar Cham, Priester Johann in Afrika und der große Zar in der Moskau schicken. Der türkische Kaiser würde sich noch fleißiger einstellen, wofern ihm bemeldter Held sein Kaisertum nicht genommen und solches dem römischen Kaiser zu Lehen gegeben hätte.«

Ich fragte meinen Jovem, was dann die christlichen Könige bei der Sach tun und ausrichten würden. Er antwortete: »Der in Engelland, Schweden und Dennemark werden, weil sie teutschen Geblüts und Herkommens, der in Hispania, Frankreich und Portugal aber, weil die alte Teutschen selbige Länder hiebevor auch eingenommen und regieret haben, ihre Kronen, Königreiche und inkorporierte Länder von der teutschen Nation aus freien Stücken zu Lehen empfahen; und alsdann wird wie zu Augusti Zeiten ein ewiger beständiger Friede zwischen allen Völkern in der ganzen Welt sein.«[191]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 188-192.
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