Das zehnte Kapitel.

[29] Simplex lernt wunderlich lesen und schreiben,

Will auch beim Einsiedel willig verbleiben.


Als ich das erstemal den Einsiedel in der Bibel lesen sahe, konnte ich mir nicht einbilden, mit wem er doch ein solch heimlich und meinem Bedünken nach sehr ernstlich Gespräch haben müßte. Ich sahe wohl die Bewegung seiner Lippen, hörte auch das Gebrummel, hingegen aber sahe und hörte ich niemand, der mit ihm redete, und obzwar ich nichts vom Lesen und Schreiben gewußt, so merkte ich doch an seinen Augen, daß ers mit etwas in selbigem Buch zu tun hatte. Ich gab Achtung auf das Buch, und nachdem er solches beigelegt, machte ich mich darhinter, schlugs auf und bekam im ersten Griff das erste Kapitel des Hiobs und die davorstehende Figur, so ein feiner Holzschnitt und schön illuminieret war, in die Augen. Ich fragte dieselbige Bilder seltsame und meinem simplen Verstand nach ganz ungereimte Sachen. Weil mir aber keine Antwort widerfahren wollte, ward ich ungedultig und sagte eben, als der Einsiedel[29] hinter mich schlich: »Ihr kleine Hudler, habet ihr dann keine Mäuler mehr? habet ihr nicht allererst mit meinem Vatter (dann also mußte ich den Einsiedel nennen) lang genug schwätzen können? Ich sehe wohl, daß ihr auch dem armen Knän seine Schafe heimtreibet und das Haus angezündet habet. Halt, halt, ich will dies Feur noch wohl löschen und euch Einhalt tun, daß es nicht weiter Schaden tue.« Damit stund ich auf, Wasser zu holen, weil mich die Not vorhanden zu sein bedünkte. »Wohin, Simplici?« sagte der Einsiedel, den ich hinter mir nicht wußte. »Ei, Vatter!« sagte ich, »da sind auch Krieger; die haben Schafe und wollen sie wegtreiben; sie habens dem armen Mann genommen, mit dem du erst geredet hast. So brennet sein Haus auch schon liechterlohe; und wann ich nicht bald lösche, so wirds verbrennen.« Mit diesen Worten zeigte ich ihm mit dem Finger, was ich sahe. »Bleib nur!« sagte der Einsiedel, »es ist noch keine Gefahr vorhanden.« Ich antwortete meiner Höflichkeit nach: »Bist du dann blind? Wehre du, daß sie die Schafe nicht forttreiben, so will ich Wasser holen.« »Ei!« sagte der Einsiedel, »diese Bilder leben nicht, sie seind nur gemacht, uns vorlängst geschehene Dinge vor Augen zu stellen.« Ich antwortete: »Du hast ja erst mit ihnen geredet; warum wollten sie dann nicht leben?«

Der Einsiedel mußte wider seinen Willen und Gewohnheit über diese meine kindische Einfalt und einfältige Kindheit lachen und sagte: »Liebes Kind, diese Bilder können nicht reden. Was aber ihr Tun und Wesen sei, kann ich aus diesen schwarzen Linien sehen, welches man lesen nennet, und wann ich dergestalt lese, so hältest du davor, ich rede mit den Bildern, so aber nichts ist.« Ich antwortete: »Wann ich ein Mensch bin wie du, so müßte ich auch an denen schwarzen Zeilen können sehen, was du kannst. Wie soll ich mich in dein Gespräch richten? Lieber Vatter, bericht mich doch eigentlich, wie ich die Sache verstehen solle?« Darauf sagte er: »Nun wohlan, mein Sohn! ich will dich lehren, daß du so wohl als ich mit diesen Bildern wirst reden und, was sie bedeuten, wirst verstehen können. Allein wird es Zeit brauchen, in welcher ich Gedult und du Fleiß anzulegen.« Demnach schrieb er mir ein Alphabet auf birkene Rinden, nach dem Druck formiert; und als ich die Buchstaben kannte, lernete ich buchstabieren, folgends lesen, und endlich besser schreiben, als es der Einsiedel selbst konnte, weil ich alles dem Druck nachmalete.[30]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 29-31.
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