Das zwölfte Kapitel.

[33] Simplex merkt eine Art, selig zu sterben,

Eine Begräbnus auch leicht zu erwerben.


Zwei Jahre ungefähr hatte ich zugebracht und das harte eremitische Leben kaum gewohnet, als mein bester Freund auf Erden seine Haue nahm, mir aber die Schaufel gab und mich seiner täglichen Gewohnheit nach an der Hand in unsern Garten führete, da wir unser Gebet zu verrichten pflegten. »Nun, Simplici, liebes Kind!« sagte er, »dieweil gottlob! die Zeit vorhanden, daß ich aus dieser Welt scheiden, die Schuld der Natur bezahlen und dich in dieser Welt hinter mir verlassen solle, zumalen deines Lebens künftige Begegnüssen beiläuftig sehe und wohl weiß, daß du in dieser Einöde nicht lang verharren wirst, so habe ich dich auf dem angetretenen Weg der Tugend stärken und dir einzige Lehren zum Unterricht geben wollen, vermittelst deren du, als nach einer unfehlbaren Richtschnur, zur ewigen Seligkeit zu gelangen, dein Leben anstellen sollest, damit du mit allen heiligen Auserwählten das Angesicht Gottes in jenem Leben ewiglich anzuschauen gewürdiget werdest.«

Diese Wort setzten meine Augen ins Wasser, wie hiebevor des Feindes Erfindung die Stadt Villingen. Einmal sie waren mir so unerträglich, daß ich sie nicht ertragen konnte, doch sagte ich: »Herzliebster Vatter, willst du mich dann allein in diesem wilden Wald verlassen? soll dann –« Mehrers vermochte ich nicht herauszubringen, dann meines Herzens Qual ward aus überflüssiger Lieb, die ich zu meinem getreuen Vatter trug, also heftig, daß ich gleichsam wie tot zu seinen Füßen niedersank. Er hingegen richtete mich wieder auf, tröstete mich, so gut es Zeit und Gelegenheit zuließ, und verwiese mir, gleichsam fragend, meinen Fehler, ob ich nämlich der Ordnung des Allerhöchsten widerstreben wollte? »Weißt du nicht,« sagte er weiters, »daß solches weder Himmel noch Hölle zu tun vermügen? Nicht also, mein Sohn! was unterstehest du dich, meinem schwachen Leib (welcher vor sich selbst der Ruhe begierig ist) aufzubürden? Vermeinest du, mich zu nötigen, länger in diesem Jammertal zu leben? Ach nein, mein Sohn, laß mich fahren, sintemal du mich ohne das weder mit Heulen, noch viel weniger mit meinem Willen, länger in diesem Elend zu verharren, wirst zwingen können, indem ich durch Gottes ausdrücklichen Willen daraus gefodert werde, welchem göttlichen Befehl ich auch mit allen, Freuden nachzukommen mich itzo bereite. Folge anstatt deines unnützen Geschreis meinen letzten Worten, welche seind, daß[33] du dich je länger je mehr selbst erkennen sollest; und wanngleich du so alt als Mathusalem würdest, so laß solche Übung nicht aus dem Herzen. Dann daß die meiste Menschen verdammt werden, ist die Ursache, daß sie nicht gewußt haben, was sie gewesen und was sie werden können oder werden müssen.« Weiters riete er mir getreulich, ich sollte mich jederzeit vor böser Gesellschaft hüten, dann derselben Schädlichkeit wäre unaussprechlich. Er gab mir dessen ein Exempel und sagte: »Wann du einen Tropfen Malvasier in ein Geschirr voll Essig schüttest, so wird er alsbald zu Essig; wirst du aber so viel Essig in Malvasier gießen, so wird er auch unter dem Malvasier hingehen. Liebster Sohn,« sagte er, »vor allen Dingen bleib standhaftig; lasse dich die Kreuzes Hitze von deinem angefangenen löblichen Werk nicht abwendig machen; dann wer verharret bis ans Ende, der wird selig. Geschiehets aber wider mein Verhoffen, daß du aus menschlicher Schwachheit fällst, so bleibe ja nicht boshaftigerweise in deinen Sünden stecken, sondern stehe durch eine rechtschaffene Buße geschwind wieder auf!«

Dieser sorgfältige fromme Mann hielt mir allein dies wenige vor, nicht zwar, als hätte er nichts mehrers gewußt, sondern darum, dieweil ich ihn erstlich meiner Jugend wegen nicht fähig genug zu sein bedünkte, ein mehrers in solchem Zustand zu fassen, und dann, weil wenig Worte besser als ein langes Geplauder im Gedächtnus zu behalten seind, und wann sie anders Saft und Nachdruck haben, durch das Nachdenken größern Nutzen schaffen als ein langer Sermon, den man ausdrücklich verstanden hat und bald wieder zu vergessen pfleget.

Diese drei Stücke: sich selbst erkennen, böse Gesellschaft meiden, und beständig verbleiben, hat dieser fromme Mann ohn Zweifel deswegen vor gut und nötig geachtet, weil er solches selbsten praktizieret, und daß es ihm dabei nicht mißlungen ist; dann, nachdem er sich selbst erkannt, hat er nicht allein böse Gesellschaften, sondern auch die ganze Welt geflohen, ist auch in solchem Vorsatz bis an das Ende verharret, an welchem ohn Zweifel die Seligkeit hänget; welchergestalt aber, folget hernach.

Nachdem er mir nun obige Stück vorgehalten, hat er mit seiner Reithaue angefangen, sein eigenes Grab zu machen; ich half, so gut ich konnte, wie er mir befahl, und bildete mir doch dasjenige nicht ein, worauf es angesehen war. Indessen sagte er: »Mein lieber und wahrer einziger Sohn (dann ich habe sonsten keine Kreatur als dich zu Ehren unsers Schöpfers erzeuget), wann meine Seele an ihren Ort gangen ist, so leiste meinem Leib deine Schuldigkeit und die letzte Ehre; scharre mich[34] mit derjenigen Erde wieder zu, die wir anjetzo aus dieser Grube gegraben haben.« Darauf nahm er mich in seine Arme und druckte mich küssend viel härter an seine Brust, als einem Mann, wie er zu sein schiene, hätte müglich sein können. »Liebes Kind!« sagte er, »ich befehle dich in Gottes Schutz und sterbe um soviel desto fröhlicher, weil ich hoffe, er werde dich darin aufnehmen.« Ich hingegen konnte nichts anders als klagen und heulen; ich hieng mich an seine Ketten, die er am Hals trug, und vermeinte, ihn damit zu halten, damit er mir nicht entgehen sollte. Er aber sagte: »Mein Sohn, laß mich, daß ich sehe, ob mir das Grab lang genug sei«, legte demnach die Ketten ab, samt dem Oberrock, und begab sich in das Grab, gleichsam wie einer, der sich sonst schlafen legen will, sprechende: »Ach großer Gott! nun nimm wieder hin die Seele, die du mir gegeben. Herr, in deine Hände befehl ich meinen Geist, etc.« Hierauf beschloß er seine Lippen und Augen sänftiglich; ich aber stund da wie ein Stockfisch und meinte nicht, daß seine liebe Seele den Leib gar verlassen haben sollte, dieweil ich ihn öfters in dergleichen Verzuckungen gesehen hatte.

Ich verharrete, wie meine Gewohnheit in dergleichen Begebenheiten war, etliche Stunden neben dem Grab im Gebet. Als sich aber mein allerliebster Einsiedel nicht mehr aufrichten wollte, stieg ich zu ihm ins Grab hinunter und fieng an, ihn zu schütteln, zu küssen und zu liebeln; aber da war kein Leben mehr, weil der grimmige unerbittliche Tod den armen Simplicium seiner holden Beiwohnung beraubet hatte. Ich begoß oder, besser zu sagen, ich balsamierte den entseelten Körper mit meinen Zähren, und nachdem ich lang mit jämmerlichem Geschrei hin und her geloffen und mich mit Haarausraufen übel gebärdet, fieng ich an, ihn mit mehr Seufzen als Schaufeln voller Grund zuzuscharren; und wann ich kaum sein Angesicht bedeckt hatte, stieg ich wieder hinunter, entblößte es wieder, damit ichs noch einmal sehen und küssen möchte. Solches trieb ich den ganzen Tag, bis ich fertig worden und auf diese Weise die funeralia, exequias und luctus gladiatoris allein geendet, weil ohn das weder Bahre, Sark, Decke, Liechter, Totenträger noch Gelaitsleute, und auch keine Klerisei vorhanden gewesen, die den Toten besungen hätten.[35]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 33-36.
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