Das dreizehnte Kapitel.

[36] Simplex will seine Einöde verlassen,

Pflegt doch bald andre Gedanken zu fassen.


Über etliche Tage, nach meines so werten und herzlieben Einsiedels Ableiben verfügte ich mich zu obgemeldtem Pfarrer und offenbarte ihm meines Herrn Tod, begehrte benebenst Rat von ihm, wie ich mich bei so gestalter Sache verhalten sollte? Unangesehen er mir nun stark widerraten, länger im Wald zu verbleiben, und mir die augenscheinliche Gefahr, darinnen ich schwebte, vorhielte, so bin ich jedoch tapfer in meines Vorgängers Fußstapfen getretten, maßen ich den ganzen Sommer hindurch tät, was ein frommer Monachus tun soll. Aber gleichwie die Zeit alles ändert, also ringert sich auch nach und nach das Leid, so ich um meinen Einsiedel trug, und die äußerliche scharfe Winterskälte löschte die innerliche Hitze meines steifen Vorsatzes zugleich aus. Je mehr ich anfieng zu wanken, je träger ward ich in meinem Gebet, weil ich, anstatt göttliche und himmlische Dinge zu betrachten, mich die Begierde, die Welt auch zu beschauen, überherrschen ließ, und als ich dergestalt nichts nutz wurde, im Wald länger gutzutun, gedachte ich wieder zu gedachtem Pfarrer zu gehen, zu vernehmen, ob er mir noch wie zuvor aus dem Wald raten wollte. Zu solchem Ende machte ich mich seinem Dorf zu; und als ich hinkam, fand ichs in voller Flamme stehen, dann es eben eine Partei Reuter ausgeplündert, angezündet, teils Bauren niedergemacht, viel verjaget und etliche gefangen hatten, darunter auch der Pfarrer selbst war. Ach Gott! wie ist das menschliche Leben so viel Mühe und Widerwärtigkeit! Kaum hat ein Unglück aufgehöret, so stecken wir schon in einem andern. Mich verwundert nicht, daß der heidnische Philosophus Timon zu Athen viel Galgen aufrichtete, daran sich die Menschen selber aufknüpfen und also ihrem elenden Leben durch eine kurze Grausamkeit ein Ende machen sollten. Die Reuter waren eben wegfertig und führten den Pfarrer wie einen armen Sünder an dem Strick daher. Unterschiedliche schrieen: »Schieß den Schelmen nieder!« Andere aber wollten Geld von ihm haben. Er aber Hub die Hände auf und bat um des Jüngsten Gerichts willen um Verschonung und christliche Barmherzigkeit; aber umsonst; dann einer ritte ihn übern Haufen und versetzte ihm zugleich einen Paragraphum über den Kopf, daß der rote Saft darnach gieng und er im Fallen alle vier von sich streckte und Gott seine Seele befahl. Den andern noch übrigen gefangenen Bauren giengs gar nicht besser.[36]

Da es nun sahe, als ob diese Reuter in ihrer tyrannischen Grausamkeit ganz unsinnig worden wären, kam ein solcher Schwarm bewehrter Bauren aus dem Wald, als wann man in ein Wespennest gestochen hätte. Die fiengen an, so greulich zu schreien, so grimmig dareinzusetzen und daraufzuschießen, daß mir alle Haar gen Berg stunden, weil ich noch niemals bei dergleichen Kürbe gewesen; dann die Spesserter und Vogelsberger Bauren lassen sich fürwahr sowenig als die Hessen, Sauerländer und Schwarzwälder auf ihrem Mist foppen. Davon rissen die Reuter aus und ließen nicht allein das eroberte Rindviehe zurück, sondern warfen auch Sack und Pack von sich, schlugen also ihre ganze Beute in Wind, damit sie nicht selbst den Bauren zur Beute würden; doch kamen ihnen teils in die Hände, mit denen sie leiden übel umgiengen.

Diese Kurzweile benahm mir beinahe die Lust, mich aus meiner Einöde zu begeben und die Welt zu beschauen; dann ich gedachte, wann es so darin hergehet, so ist die Wildnus weit anmutiger. Doch wollte ich auch hören, was der Pfarrer darzu sagte. Derselbe war wegen empfangener Wunden und Stöße ganz matt, schwach und kraftlos; doch hielt er mir vor, daß er mir weder zu helfen noch zu raten wisse, weil er damalen selbst in einen solchen Stand geraten wäre, in welchem er besorglich das Brod am Bettelstab suchen müßte, und wanngleich ich noch länger im Wald verbleiben würde, so hätte ich mich seiner Hülfleistung nichts zu getrösten, weil, wie ich vor Augen sähe, beides, seine Kirche und Pfarrhof, im Feur stünde. Hiermit verfügte ich mich ganz traurig gegen dem Wald zu meiner Wohnung, und demnach ich auf dieser Reis sehr wenig getröstet, hingegen aber um viel andächtiger worden, beschloß ich bei mir, die Wildnus nimmermehr zu verlassen, sondern mein Leben, gleich meinem Einsiedel, in Betrachtung göttlicher Dinge zu beschließen; maßen ich schon nachgedachte, ob nicht müglich wäre, daß ich ohn Salz (so mir bisher der Pfarrer mitgeteilet hatte) leben und also aller Menschen entbehren könnte?

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 36-37.
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