Das achtzehnte Kapitel.

[48] Simplex das erstemal in die Welt springt,

Welches ihm aber gar übel gelingt.


Ich mochte dem alten Esel nicht mehr zuhören, sondern gönnete ihm, was er klagte, weil er oft die arme Soldaten prügelte wie die Hunde. Ich wandte mich wieder gegen die Bäume, deren das ganze Land voll stund, und sahe, wie sie sich bewegten und zusammenstießen; da prasselten die Kerl haufenweise herunter, Knall und Fall war eins; augenblicklich frisch und tot; in einem hui verlor einer einen Arm, der ander ein Bein, der dritte den Kopf gar. Als ich so zusahe, bedauchte mich, alle diejenige Bäume, die ich sahe, wären nur ein Baum, auf dessen Gipfel saße der Kriegsgott Mars und bedeckte mit des Baums Ästen ganz Europam. Wie ich davorhielt, so hätte dieser Baum die ganze Welt überschatten können, weil er aber durch Neid und Haß, durch Argwohn und Mißgunst, durch Hoffart, Hochmut und Geiz und andere dergleichen schöne Tugenden, gleichwie von scharfen Nordwinden angewehet ward, schien er gar dünn und durchsichtig, dahero einer folgende Reimen an den Stamm geschrieben hat:


Die Steineich, durch den Wind getrieben und verletzet,

Ihr eigen Äst abbricht, sich ins Verderben setzet:

Durch innerliche Krieg und brüderlichen Streit

Wird alles umgekehrt, und folget lauter Leid.


Von dem gewaltigen Gerassel dieser schädlichen Winde und Zerstümmlung des Baums selbsten ward ich aus dem Schlaf erweckt und sahe mich nur allein in meiner Hütte. Dahero fieng ich wieder an zu gedenken und in meinem Hirnhäuselein zu überschlagen, was ich doch immermehr anfangen sollte? Im Wald zu bleiben war mir unmüglich, weil mir alles so gar hinweggenommen worden, daß ich mich nicht mehr aufhalten konnte; nichts war mehr übrig als noch etliche Bücher, welche hin und her zerstreut und durcheinander geworfen lagen. Als ich solche mit weinenden Augen wieder auflase und zugleich Gott inniglich anrufte, er wollte mich doch leiten und führen, wohin ich sollte, da fand ich ungefähr ein Brieflein, das mein Einsiedel bei seinem Leben noch geschrieben hatte; das lautet also: »Lieber Simplici, wann du dies Brieflein findest, so gehe alsbald aus dem Wald und errette dich und den Pfarrer aus gegenwärtigen Nöten, dann er hat mir viel Gutes getan. Gott, den du allweg vor Augen[48] haben und fleißig beten sollest, wird dich an ein Ort bringen, das dir am bequemsten ist. Allein habe denselbigen stets vor Augen und befleißige dich, ihm jederzeit dergestalt zu dienen, als wann du noch in meiner Gegenwart im Wald wärest. Bedenke und tue ohn Unterlaß meine letzte Reden, so wirst du bestehen mögen. Vale!«

Ich küßte dies Brieflein und des Einsiedlers Grab zu viel tausend Malen und machte mich ohn ferneres Aufhalten auf den Weg, Menschen zu suchen, bis ich deren finden möchte; gieng also zween Tage einen geraden Weg fort, und wo mich die Nacht begriff, suchte ich einen hohlen Baum zu meiner Herberge; meine Zehrung war nichts anders als Buchen, die ich unterwegs auflase. Den dritten Tag aber kam ich ohnweit Gelnhausen auf ein ziemlich eben Feld; da genosse ich gleichsam eines hochzeitlichen Mahls; dann es lag überall voller Garben auf dem Feld, welche die Bauren, weil sie nach der namhaften Schlacht vor Nördlingen verjagt worden, zu meinem Glück nicht einführen können. In deren einer machte ich mein Nachtläger, weil es grausam kalt war, und sättigte mich mit ausgeriebenen Waizen, welches mir die delikateste Speise war, weil ich dergleichen lang nicht genossen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 48-49.
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