Das zwanzigste Kapitel.

[52] Simplex wird in das Gefängnus geführet,

Mitten in Ängsten noch Linderung spüret.


Als ich vor den Gubernator gebracht ward, fragte er mich, wo ich herkäme. Ich aber antwortete, ich wüßte es nicht. Er fragte weiter: »Wo willst du dann hin?« Ich antwortete abermal: »Ich weiß nicht!« – »Was Teufel weißt du dann?« fragte er ferner; »was ist dann deine Hantierung?« Ich antwortete noch wie vor, ich wüßte es nicht. Er fragte: »Wo bist du zu Haus?«, und als ich wiederum antwortete, ich wüßte es nicht, veränderte er sich im Gesicht, nicht weiß ich, obs aus Zorn oder Verwunderung geschahe. Dieweil aber jedermann das Böse zu argwähnen pfleget, zumalen der Feind in der Nähe war, als welcher allererst, wie gemeldet, die vorige Nacht Gelnhausen eingenommen und ein Regiment Dragoner darin zuschanden gemachet hatte, fiel er denen bei, die mich vor einen Verräter oder Kundschafter hielten, befahl darauf, man sollte mich besuchen. Als er aber von den Soldaten von der Wacht, so mich zu ihm geführet hatten, vernahme, daß solches schon beschehen und anders nichts bei mir wäre gefunden worden als gegenwärtiges Büchlein, welches sie ihm zugleich überreichten, las er ein paar Zeilen darnach und fragte mich, wer mir das Büchlein geben hätte. Ich antwortete, es wäre von Anfang mein eigen gewesen; dann ich hätte es selbst gemacht und überschrieben. Er fragte, warum eben auf birkene Rinden. Ich antwortete, weil sich die Rinden von andern Bäumen nicht darzu schicken. »Du Flegel,« sagte er, »ich frage, warumb du nicht auf Papier geschrieben hast.« – »Ei!« antwortete ich, »wir haben keins mehr im Wald gehabt.« Der Gubernator fragte: »Wo, in welchem Wald?« Ich antwortete wieder auf meinen alten Schrot, ich wüßte es nicht.

Da wandte sich der Gubernator zu etlichen von seinen Offizierern, die ihm eben aufwarteten, und sagte: »Entweder ist dieser ein Erzschelm oder gar ein Narr. Zwar kann er kein[52] Narr sein, weil er so schreibt.« Und indem, als er so redet, blättert er in meinem Büchlein so stark herum, ihnen meine schöne Handschrift zu weisen, daß des Einsiedlers Brieflein herausfallen mußte. Solches ließ er aufheben; ich aber entfärbte mich darüber, weil ich solches vor meinen höchsten Schatz und Heiligtum hielt, welches der Gubernator wohl in acht nahm und daher noch einen größern Argwohn der Verräterei schöpfte, vornehmlich als er das Brieflein aufgemacht und gelesen hatte; dann er sagte: »Ich kenne einmal diese Hand und weiß, daß sie von einem mir wohlbekannten Kriegsoffizier ist geschrieben worden; ich kann mich aber nicht erinnern, von welchem.« So kam ihm auch der Inhalt selbst gar seltsam und unverständlich vor, dann er sagte: »Dies ist ohn Zweifel eine abgeredte Sprache, die sonst niemand verstehet als derjenige, mit dem sie abgeredet worden.« Mich aber fragte er, wie ich hieße, und als ich antwortete: »Simplicius,« sagte er: »Ja, ja, du bist eben des rechten Krauts! Fort, fort, daß man ihn alsobald an Hand und Fuß in Eisen schließe, damit man etwas anders aus dem Gesellen bringen möge.« Also wanderten beide obgemeldte Soldaten mit mir nach meiner bestimmten neuen Herberge, nämlich dem Stockhaus, zu und überantworteten mich dem Gewaltiger, welcher mich seinem Befehl gemäß mit eisernen Banden und Ketten an Handen und Füßen noch ein mehrers zierte, gleichsam als hätte ich nicht genug an deren zu tragen gehabt, die ich bereits umb den Leib herumbgebunden hatte.

Dieser Anfang, mich zu bewillkommen, war der Welt noch nicht genug, sondern es kamen Henker und Steckenknechte mit grausamen Folterungsinstrumenten, welche mir, unangesehen ich mich meiner Unschuld zu getrösten hatte, meinen elenden Zustand allererst grausam machten. »Ach Gott!« sagte ich zu mir selber, »wie geschiehet mir so recht! Simplicius ist darum aus dem Dienst Gottes in die Welt gelaufen, damit eine solche Mißgeburt des Christentums den billigen Lohn empfahe, den ich mit meiner Leichtfertigkeit verdienet habe. O du unglückseliger Simplici! wohin bringet dich deine Undankbarkeit? Siehe, Gott hatte dich kaum zu seiner Erkenntnüs und in seine Dienste gebracht, so laufst du hingegen aus seinen Diensten und kehrest ihm den Rücken! Hättest du nicht mehr Eicheln und Bohnen essen können wie zuvor, deinem Schöpfer unverhindert zu dienen? Hast du nicht gewußt, daß dein getreuer Einsiedel und Lehrmeister die Welt geflohen und ihm die Wildnüs auserwählet? O blindes Bloch! du hast dieselbe verlassen, in Hoffnung, deinen schändlichen Begierden, die Welt zu sehen, genugzutun. Aber nun[53] schaue, indem du vermeinest, deine Augen zu weiden, mußt du in diesem gefährlichen Irrgarten untergehen und verderben. Hast du, unweiser Tropf, dir nicht zuvor können einbilden, daß dein seliger Vorgänger der Welt Freude um sein hartes Leben, das er in der Einöde geführet, nicht würde vertauschet haben, wann er in der Welt den wahren Frieden, eine rechte Ruhe und die ewige Seligkeit zu erlangen getrauet hätte? Du armer Simplici, jetzt fahre hin und empfahe den Lohn deiner gehabten eitelen Gedanken und vermessenen Torheit! Du hast dich keines Unrechten zu beklagen, auch keiner Unschuld zu getrösten, weil du selber deiner Marter und darauf folgendem Tod bist entgegengeeilet und dir also bevorstehendes Unglück selbsten hast über den Hals gebracht!« Also klagte ich mich selbst an, bat Gott umb Vergebung und befahl ihm meine Seele. Indessen näherten wir dem Diebsturn, und als die Not am größten, da war die Hülfe Gottes am nähesten. Dann als ich mit den Schergen umgeben war und samt einer großen Menge Volks vorm Gefängnüs stund, zu warten, bis es aufgemachet und ich hineingetan würde, wollte mein Pfarrherr, dem neulich sein Dorf geplündert und verbrannt worden, auch sehen, was da vorhanden wäre (dann er lag zunächst dabei auch im Arrest). Als dieser zum Fenster aussahe und mich erblickte, rufte er überlaut: »O Simplici! bist du es?« Als ich ihn hörete und sahe, konnte ich nichts anders, als daß ich beide Hände gegen ihm aufhub und schrie: »O Vatter! O Vatter! O Vatter!« Er aber fragte, was ich getan hätte? Ich antwortete, ich wüßte es nicht; man hätte gewißlich mich darum daher geführet, weil ich aus dem Wald entlaufen wäre. Als er aber vom Umstand vernahm, daß man mich vor einen Verräter hielte, bat er, man wollte mit mir inhalten, bis er meine Beschaffenheit dem Herrn Gouverneur berichtet hätte, dann solches beides zu meiner und seiner Erledigung taugen und verhüten würde, daß sich der Herr Gouverneur an uns beiden nicht vergreife, sintemal er mich besser kenne als sonst kein Mensch.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 52-54.
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