Das zweiundzwanzigste Kapitel.

[56] Simplex hört, wer sein Einsiedler gewesen,

Der ihn gelernet hat schreiben und lesen.


Denselben Morgen befahl mir des Gouverneurs Hofmeister, ich sollte zu obgemeldtem Pfarrer gehen und vernehmen, was sein Herr meinetwegen mit ihm geredet hätte. Er gab mir einen Leibschützen mit, der mich zu ihm brachte; der Pfarrer aber führet mich in sein Museum, satzte sich, hieß mich auch sitzen und sagte: »Lieber Simplici, der Einsiedel, bei dem du dich im Wald aufgehalten, ist nicht allein des hiesigen Gouverneurs Schwager, sondern auch im Krieg sein Beförderer und wertester Freund gewesen. Wie dem Gubernator mir zu erzählen beliebet, so ist demselben von Jugend auf weder an Tapferkeit eines heroischen Soldaten, noch an Gottseligkeit und Andacht, die sonst einem Religioso zuständig, niemal nichts abgangen, welche beide Tugenden[56] man zwar selten beieinander zu finden pflegt. Sein geistlicher Sinn und widerwärtige Begegnüssen hemmeten endlich den Lauf seiner weltlichen Glückseligkeit, so daß er seinen Adel und ansehenliche Güter in Schotten, da er gebürtig, verschmähete und hindansetzete, weil ihm alle Welthändel abgeschmackt, eitel und verwerflich vorkamen. Er verhoffte mit einem Wort, seine gegenwärtige Hoheit um eine künftige bessere Glori zu verwechseln, weil sein hoher Geist einen Ekel an allem zeitlichen Pracht hatte, und sein Dichten und Trachten war nur nach einem solchen erbärmlichen Leben gerichtet, darin du ihn im Wald angetroffen und bis in seinen Tod Gesellschaft geleistet hast. Meines Erachtens ist er durch Lesung vieler papistischen Bücher von dem Leben der alten Eremiten (oder auch durch das widrige und ungünstige Glück) hierzu verleitet worden.

Ich will dir aber auch nicht verhalten, wie er in den Spessert und seinem Wunsch nach zu solchem armseligen Einsiedlerleben kommen sei, damit du inskünftige auch andern Leuten etwas davon zu erzählen weißt. Die zweite Nacht hernach, als die blutige Schlacht vor Höchst verloren worden, kam er einzig und allein vor meinen Pfarrhof, als ich eben mit meinem Weib und Kindern gegen dem Morgen entschlafen war, weil wir wegen des Lärmens im Land, den beides, die Flüchtige und Nachjagende, in dergleichen Fällen zu erregen pflegen, die vorige ganze und auch selbige halbe Nacht durch und durch gewachet hatten. Er klopfte erstlich sittig an und folgends ungestüm genug, bis er mich und mein schlaftrunken Gesind erweckte; und nachdem ich auf sein Anhalten und wenig Wortwechseln, welches beiderseits gar bescheiden fiel, die Türe geöffnet, sahe ich den Kavalier von seinem mutigen Pferd steigen; sein kostbarlich Kleid war ebensosehr mit seiner Feinde Blut besprengt, als mit Gold und Silber verbrämt, und weil er seinen bloßen Degen noch in der Faust hielt, so kam mich Forcht und Schrecken an. Nachdem er ihn aber einsteckte und nichts als lauter Höflichkeit vorbrachte, hatte ich Ursache, mich zu verwundern, daß ein so wacker Herr einen schlechten Dorfpfarrer so freundlich um Herberge anredete. Ich sprach ihn seiner schönen Person und seines herrlichen Ansehens halber vor den Mansfelder selbst an. Er aber sagte, er sei demselben vor diesmal nur in der Unglückseligkeit nicht allein zu vergleichen, sondern auch vorzuziehen. Drei Dinge beklagte er, nämlich: 1. seine verlorne hochschwangre Gemahlin, 2. die verlorne Schlacht und 3. daß er nicht gleich andern redlichen Soldaten in derselben vor das Evangelium sein Leben zu lassen das Glück gehabt hätte. Ich wollte ihn trösten, sahe aber bald,[57] daß seine Großmütigkeit keines Trostes bedorfte; demnach teilte ich mit, was das Haus vermochte, und ließ ihm ein Soldatenbett von frischem Stroh machen, weil er in kein anders liegen wollte, wiewohl er der Ruhe sehr bedürftig war. Das erste, das er den folgenden Morgen tät, war, daß er mir sein Pferd schenkte und sein Geld (so er an Gold in keiner kleinen Zahl bei sich hatte) samt etlich köstlichen Ringen unter meine Frau, Kinder und Gesinde austeilete. Ich wußte nicht, wie ich mit ihm dran war, und konnte so geschwind nicht in ihn mich richten, weil die Soldaten viel eher zu nehmen als zu geben pflegen; trug derowegen Bedenkens, so große Verehrungen anzunehmen, und wandte vor, daß ich solches um ihn nicht meritieret noch hinwiederum zu verdienen wisse; zudem, sagte ich, wann man solchen Reichtum, und sonderlich das köstliche Pferd, welches sich nicht verbergen ließe, bei mir und den Meinigen sehe, so würde männiglich schließen, ich hätte ihn berauben oder gar ermorden helfen. Er aber sagte, ich sollte diesfalls ohn Sorg leben, er wollte mich vor solcher Gefahr mit seiner eigenen Handschrift versichern; ja er begehre sogar, sein Hemd, geschweige seine Kleider, aus meinem Pfarrhof nicht zu tragen. Und mit dem öffnete er mir seinen Vorsatz, ein Einsiedel zu werden. Ich wehrete mit Händen und Füßen, was ich konnte, weil mich bedünkte, daß solch Vorhaben zumal nach dem Papsttum schmecke, mit Erinnerung, daß er dem Evangelio mehr mit seinem Degen würde dienen können. Aber vergeblich; dann er machte so lang und viel mit mir, bis ich alles eingieng und ihn mit denjenigen Büchern, Bildern und Hausrat mondierte, die du bei ihm gefunden, wiewohl er nur der wüllinen Decke, darunter er dieselbige Nacht auf dem Stroh geschlafen, vor all dasjenige begehrte, das er mir verehret hatte; daraus ließ er ihm einen Rock machen. So mußte ich auch meine Wagenketten, die er stetig getragen, mit ihm um eine göldene, daran er seiner Liebsten Contrafait trug, vertauschen, also daß er weder Geld noch Geldes Wert behielt. Mein Knecht führte ihn an das einödiste Ort des Walds und half ihm daselbst seine Hütte aufrichten. Wasgestalt er nun sein Leben daselbst zugebracht und womit ich ihm zuzeiten an die Hand gangen und ausgeholfen, weißt du so wohl, ja zum Teil besser als ich.

Nachdem nun neulich die Schlacht vor Nördlingen verloren und ich, wie du weißt, rein ausgeplündert und zugleich übel beschädiget worden, habe ich mich hieher in Sicherheit geflehnet, weil ich ohn das schon meine beste Sachen hier hatte. Und als mir die bare Geldmittel aufgehen wollten, nahm ich drei Ringe und obgemeldte goldene Kette mitsamt dem anhangenden Conterfait,[58] so ich von deinem Einsiedel hatte, maßen sein Petschierring auch darunter war, und trugs zu einem Juden, solches zu versilbern; der hat es aber der Köstlichkeit und schönen Arbeit wegen dem Gubernator käuflich angetragen, welcher das Wappen und Conterfait stracks gekannt, nach mir geschickt und gefragt, woher ich solche Kleinodien bekommen? Ich sagte ihm die Wahrheit, wiese des Einsiedlers Handschrift oder Übergabsbrief auf und erzählete allen Verlauf, auch wie er im Wald gelebet und gestorben. Er wollte solches aber nicht glauben, sondern kündete mir den Arrest an, bis er die Wahrheit besser erführe; und indem er im Werk begriffen war, eine Partei auszuschicken, den Augenschein seiner Wohnung einzunehmen und dich hieher holen zu lassen, so sehe ich dich in Turn führen. Weil dann der Gubernator nunmehr an meinem Vorgeben nicht zu zweiflen Ursache hat, indem ich mich auf den Ort, da der Einsiedel gewohnet, item auf dich und andere lebendige Zeugen mehr, insonderheit aber auf meinen Mesner berufen, der dich und ihn oft vor Tags in die Kirche gelassen, zumalen auch das Brieflein, so er in deinem Gebetbüchlein gefunden, nicht allein der Wahrheit, sondern auch des seligen Einsiedlers Heiligkeit ein treffliches Zeugnüs gibet; als will er dir und mir wegen seines Schwagers sel., soviel ihme möglich, Gutes tun und uns reichlich versorgen. Du darfst dich jetzt nur resolvieren, was du willt, daß er dir tun soll. Willt du studieren, so will er die Unkosten darzu geben; hast du Lust, ein Handwerk zu lernen, so will er dich eins lernen lassen; willt du aber bei ihm verbleiben, so will er dich wie sein eigen Kind halten, dann er sagte, wann auch ein Hund von seinem Schwager sel. zu ihm käme, so wolle er ihn aufnehmen.« Ich antwortete, es gelte mir gleich; was der Herr Gubernator mit mir mache, das seie mir angenehm und könne mir nicht anders als beliebig fallen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 56-59.
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