Das dreiundzwanzigste Kapitel.

[59] Simplex wird zu einem Page erkoren,

Seines Einsiedlers Frau wurde verloren.


Der Pfarrer zögerte mich auf in seinem Losament bis 10 Uhr, eh er mit mir zum Gouverneur gieng, ihm meinen Entschluß zu sagen, damit er bei demselben, weil er eine freie Tafel hielt, zu Mittags Gast sein könne; dann es war damals Hanau blockiert und eine solche klemme Zeit bei dem gemeinen Mann, bevorab den geflehnten Leuten in selbiger Festung, daß auch etliche, die[59] sich etwas einbildeten, die angefrorne Rübschälen auf der Gassen, so die Reiche etwan hinwarfen, aufzuheben nicht verschmäheten. Es glückte ihm auch so wohl, daß er neben dem Gouverneur selbst über der Tafel zu sitzen kam, ich aber wartete auf mit einem Teller in der Hand, wie mich der Hofmeister anwiese, in welches ich mich zu schicken wußte, wie ein Esel ins Schachspiel und ein Schwein zur Maultrommel. Aber der Pfarrer ersatzte allein mit seiner Zunge, was die Ungeschicklichkeit meines Leibs nicht vermochte. Er sagte, daß ich, in der Wildnüs erzogen, niemals bei Leuten gewesen und dahero wohl vor entschuldigt zu halten, weil ich noch nicht wissen könnte, wie ich mich halten sollte; meine Treue, die ich dem Einsiedel erwiesen, und das harte Leben, so ich bei demselben überstanden, wären verwundernswürdig und allein wert, nicht allein meine Ungeschicklichkeit zu gedulden, sondern auch mich dem feinsten Edelknaben vorzuziehen. Weiters erzählete er, daß der Einsiedel alle seine Freude und Ergötzlichkeit, auch höchstes Belieben an mir gehabt, weil ich, wie er öfters gesagt, seiner Liebsten von Angesicht so ähnlich sei, und daß er sich oft über meine Beständigkeit und unveränderlichen Willen, bei ihm zu bleiben, und sonst noch über viel Tugenden, die er an mir gerühmt, verwundert hätte. In Summa, er konnte nicht gnugsam aussprechen, wie mit ernstlicher Inbrünstigkeit er kurz vor seinem Tod mich ihm, Pfarrern, rekommendieret und bekannt hätte, daß er mich so sehr als sein eigen Kind liebe.

Dieses kützelte mich dermaßen in Ohren, daß mich bedünkte, ich hätte schon Ergötzlichkeit genug vor alles dasjenige empfangen, das ich je bei dem Einsiedel ausgestanden. Der Gouverneur fragte, ob sein sel. Schwager nicht gewußt hätte, daß er derzeit in Hanau kommandiere? »Freilich,« antwortete der Pfarrer, »ich hab es ihm selbst gesagt. Er hat es aber (zwar mit einem fröhlichen Gesicht und kleinem Lächlen) so kaltsinnig angehört, als ob er niemals keinen Ramsay gekannt hätte, also daß ich mich noch, wann ich der Sache nachdenke, über dieses Manns Beständigkeit und festen Vorsatz verwundern muß, wie er nämlich über sein Herz bringen können, nicht allein der Welt abzusagen, sondern auch seinen besten Freund, den er doch in der Nähe hatte, so gar aus dem Sinn zu schlagen.« Dem Gouverneur, der sonst kein weichherzig Weibergemüt hatte, sondern ein tapferer heroischer Soldat war, stunden die Augen voll Wasser. Er sagte: »Hätte ich gewußt, daß er noch im Leben, und wo er anzutreffen gewest wäre, so wollt ich ihn auch wider seinen Willen haben zu mir holen lassen, damit ich ihm seine Guttaten hätte erwidern können; weil mirs aber das Glück mißgönnet, als will ich anstatt seines[60] seinen Simplicium versorgen und mich ihme auch nach dem Tod auf solche Weise dankbar erzeigen. Ach!« sagte er weiters, »der redliche Kavalier hat wohl Ursache gehabt, seine schwangere Gemahlin zu beklagen; dann sie ist von einer Partei kaiserl. Reuter im Nachhauen, und zwar auch im Spessert, gefangen worden. Als ich solches erfahren und nichts anders gewußt, als mein Schwager sei bei Höchst tot geblieben, habe ich gleich einen Trompeter zum Gegenteil geschickt, meiner Schwester nachzufragen und dieselbe zu ranzionieren, habe aber nichts anders damit ausgerichtet, als daß ich erfahren, gemeldte Partei Reuter sei im Spessert von etlichen Bauren zertrennt und in solchem Gefecht meine Schwester von ihnen wieder verloren worden, also daß ich noch bis auf diese Stunde nicht weiß, wohin sie kommen.«

Dieses und dergleichen war des Gouverneurs und Pfarrers Tischgespräch von meinem Einsiedel und seiner Liebsten, welches Paar Ehevolk um soviel desto mehr bedauret wurde, weil sie einander nur ein Jahr gehabt hatten. Aber ich ward also des Gubernators Page und ein solcher Kerl, den die Leute, sonderlich die Bauren, wann ich sie bei meinem Herrn anmelden sollte, bereits Herr Jung nannten, wiewohl man selten einen Jungen siehet, der ein Herr gewesen, aber wohl Herren, die zuvor Jungen waren.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 59-61.
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