Das neunundzwanzigste Kapitel.

[74] Simplex ein Auge von Kalbskopf erschnappt,

Über der Tafel das ander ertappt.


Des andern Tages hatte mein Herr seinen Offizierern und andern guten Freunden eine fürstliche Gasterei angestellet, weil er die angenehme Zeitung bekommen, daß die Seinigen das feste Haus Braunfels ohn Verlust einzigen Manns eingenommen; da mußt ich, wie dann mein Amt war, wie ein anderer Tischdiener helfen Speisen auftragen, einschenken und mit einem Teller in der Hand aufwarten. Den ersten Tag ward mir ein großer fetter Kalbskopf (von welchen man zu sagen pfleget, daß sie kein Armer fressen dörfe) aufzutragen eingehändiget; weil nun derselbig ziemlich mürb gesotten war, ließ er das eine Aug mit zugehöriger ganzen Substanz ziemlich weit herauslappen, welches mir ein anmutiger und verführischer Anblick war. Und weil mich der frische Geruch von der Speckbrühe und aufgestreutem Ingwer zugleich anreizete, empfand ich einen solchen Appetit, daß mir das Maul ganz voll Wasser ward. In Summa, das Aug lachte meine Augen, meine Nase und meinen Mund zugleich an und bat mich gleichsam, ich wollte es doch meinem heißhungerigen Magen einverleiben. Ich ließ mir nicht lang den Rock zerreißen, sondern folgte meinen Begierden; im Gang hub ich das Aug mit meinem Löffel, den ich erst denselben Tag bekommen hatte, so meisterlich heraus und schickte es ohn Anstoß so geschwind an seinen Ort, daß es auch kein Mensch inward, bis das Schüppenessen auf den Tisch kam und mich und sich selbst verriet. Dann als man ihn zerlegen wollte und eins von seinen allerbesten Gliedmaßen mangelte, sahe mein Herr gleich, warum der Vorschneider stutzte. Er wollte fürwahr den Spott nit haben, daß man ihm einen einäugigen Kalbskopf aufzustellen das Herz haben sollte. Der Koch mußte vor die Tafel, und die, so aufgetragen hatten, wurden mit ihm examiniert; zuletzt kam das Fazit über den armen Simplicium heraus, daß nämlich ihm der Kopf mit beiden Augen aufzutragen wäre gegeben worden; wie es aber weiter gangen, davon wußte niemand zu sagen. Mein Herr fragte meines Bedünkens mit einer schröcklichen[74] Miene, wohin ich mit dem Kalbsaug kommen wäre? Ich ließe mich sein sauersehendes Gesicht nicht erschrecken, sondern geschwind wischte ich mit meinem Löffel wieder aus dem Sack, gab dem Kalbskopf den andern Fang und wiese kurz und gut, was man von mir wissen wollte, maßen ich das ander Aug gleichwie das erste in einem Hui verschlang. »Par Dieu!« sagte mein Herr, »dieser Akt schmeckt besser als zehen Kälber!« Die anwesende Herren lobten diesen Ausspruch und nannten meine Tat, die ich aus Einfalt begangen, eine wunderkluge Erfindung und Vorbedeutung künftiger Tapferkeit und unerschrockenen Resolution, also daß ich vor diesmal meiner Strafe durch Wiederholung eben desjenigen, damit ich solche verdienet hatte, nicht allein glücklich entgieng, sondern auch von etlichen kurzweiligen Possenreißern, Fuchsschwänzern und Tischräten dies Lob erlangte, ich hätte weislich gehandelt, daß ich beide Augen zusammenlogiert, damit sie, gleichwie in dieser, also auch in jener Welt einander Hülfe und Gesellschaft leisten könnten, worzu sie dann anfänglich von der Natur gewidmet wären. Mein Herr aber sagte, ich sollte ihm ein andermal nicht wieder so kommen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 74-75.
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