Das dreißigste Kapitel.

[75] Simplex sieht erstmals berauschete Leut,

Meinet, sie seien nicht worden gescheid.


Bei dieser Mahlzeit (ich schätze, es geschiehet bei andern auch) trat man ganz christlich zur Tafel; man sprach das Tischgebet sehr still und allem Ansehen nach auch sehr andächtig. Solche stille Andacht kontinuierte so lang, als man mit der Suppe und den ersten Speisen zu tun hatte, gleichsam, als wann man in einem Kapuzinerkonvent gessen hätte. Aber kaum hatte jeder drei- oder viermal »Gesegnet Gott!« gesagt, da ward schon alles viel lauter. Ich kann nicht beschreiben, wie sich nach und nach eines jeden Stimme je länger je höher erhub, ich wollte dann die ganze Gesellschaft einem Orator vergleichen, der erstlich sachte anfähet und endlich herausdonnert. Man brachte Gerichter, deswegen Voressen genannt, weil sie gewürzt und vor dem Trunk zu genießen verordnet waren, damit derselbe desto besser ein- und fortgienge: item, Beiessen, weil sie bei dem Trunk nicht übel schmecken sollten, allerhand französischen Potagen und spanischen Olla Potriden zu geschweigen, welche durch tausendfältige künstliche Zubereitungen und unzahlbare Zusätze dermaßen verpfeffert, übertummelt, vermummet, mixtiert und zum Trunk gerüstet[75] waren, daß sie durch solche zufällige Sachen und Gewürz mit ihrer Substanz sich weit anders verändert hatten, als sie die Natur anfänglich hervorgebracht, also daß sie Cnäus Manlius selbsten, wannschon er erst aus Asia kommen wäre und die beste Köche bei sich gehabt, dannoch nicht gekannt hätte. Ich gedachte: Warum wollten diese einem Menschen, der ihm solche und den Trunk dabei schmecken lässet (worzu sie dann vornehmlich bereitet sind), nicht auch seine Sinne zerstören und ihn verändern oder gar zu einer Bestia machen können? Wer weiß, ob Circe andere Mittel gebrauchet hat als ebendiese, da sie des Ulyssis Gefährten in Schweine veränderte? Ich sahe einmal, daß diese Gäste die Trachten fraßen wie die Säue, darauf soffen wie die Kühe, sich dabei stelleten wie die Esel und alle endlich kotzten wie die Gerberhunde. Den edlen Hochheimer, Bacheracher und Klingenberger gossen sie mit kübelmäßigen Gläsern in Magen hinunter, welche ihre Würkungen gleich oben im Kopf verspüren ließen. Darauf sahe ich meinen Wunder, wie sich alles veränderte, nämlich verständige Leute, die kurz zuvor ihre fünf Sinne noch gesund beieinander gehabt und treffliche Diskursen auf die Bahn gebracht hatten, wie sie jetzt urplötzlich anfiengen, närrisch zu tun und die alberste Dinge von der Welt vorzubringen. Die große Torheiten, die sie begiengen, und die große Trünke, die sie einander zubrachten, wurden je länger je größer, also daß es schiene, als ob diese beide um die Wette miteinander stritten, welches unter ihnen am größten wäre; zuletzt verkehrte sich ihr Kampf in eine unflätige Sauerei. Nichts Artlichers war, als daß ich nicht wußte, woher ihnen der Dürmel kam, sintemal mir die Würkung des Weins oder die Trunkenheit selbst noch allerdings unbekannt gewesen, welches dann lustige Grillen und Phantastengedanken in meinem werklichen Nachsinnen satzte; ich sahe wohl ihre seltsame minas, ich wußte aber den Ursprung ihres Zustandes nicht. Bis dahin hatte jeder mit gutem Appetit das Geschirr geleert; als aber die Mägen gefüllet waren, hielt es härter, als bei einem Fuhrmann, der mit geruhetem Gespann auf der Ebne wohl fortkommen, am Berg aber nicht hotten kann. Nachdem aber die Köpfe auch toll wurden, ersatzte ihre Unmüglichkeit entweder des einen Courage, die er im Wein eingesoffen, oder beim andern die Treuherzigkeit, seinem Freund eins zu bringen, oder beim dritten die teutsche Redlichkeit, ritterlich Bescheid zu tun. Nachdem aber solches die Länge auch nicht bestehen konnte, beschwur je einer den andern bei großer Herren und sonst lieber Freunde oder bei seiner Liebsten Gesundheit, den Wein maßweis in sich zu schütten, worüber manchem die Augen übergiengen und[76] der Angstschweiß ausbrach; doch mußte es gesoffen sein. Ja, man machte zuletzt mit Trommeln, Pfeifen und Saitenspiel Lärmen und schoß mit Stücken darzu, ohn Zweifel darum, dieweil der Wein die Mägen mit Gewalt einnehmen mußte. Mich verwundert, wohin sie ihn doch alle schütten könnten, weil ich noch nicht wußte, daß sie solchen, eh er recht warm bei ihnen ward, wiederum mit großem Schmerzen aus ebendem Ort herfürgaben, wohinein sie ihn kurz zuvor mit höchster Gefahr ihrer Gesundheit gegossen hatten.

Mein Pfarrer war auch bei dieser Gasterei, ihm beliebte sowohl als andern, weil er auch sowohl als andere ein Mensch war und wider seinen Willen mitmachen mußte, einen Abtritt zu nehmen. Ich gieng ihm nach und sagte: »Mein Herr Pfarrer, warum tun doch die Leute so seltsam? woher kommt es doch, daß sie so hin und her torkeln? mich dünkt schier, sie sein nicht mehr recht witzig. Sie haben sich alle satt gessen und getrunken, und schwören bei Teufel holen, wann sie mehr saufen können, und dannoch hören sie nicht auf, sich auszuschoppen! Müssen sie es tun, oder verschwenden sie Gott zu Trutz aus freiem Willen so unnützlich?« – »Liebes Kind!« antwortete der Pfarrer, »Wein ein, Witz aus! Das ist doch nichts gegen dem, das künftig ist. Morgen gegen Tag ists noch schwerlich Zeit bei ihnen, voneinander zu gehen; dann wann schon ihre Mägen gedrungen voll stecken, so sind sie jedoch noch nicht recht lustig gewesen.« – »Zerbersten dann«, sagte ich, »ihre Bäuche nicht, wann sie immer so unmäßig einschieben? können dann ihre Seelen, die Gottes Ebenbild sein, in solchen Mastschweinkörpern verharren? in welchen sie doch gleichsam wie in finstern Gefängnüssen und ungeziefermäßigen Diebstürnen ohne alle gottselige Regungen gefangen liegen? Ihre edle Seelen, sage ich, wie mögen sich solche so martern lassen? warum bleiben sie in solchen stinkenden Kloaken verschlossen? seind nicht ihre Sinne, welcher sich ihre Seelen bedienen sollten, wie in dem Eingeweid der unvernünftigen Tiere begraben?« – »Halts Maul!« antwortete der Pfarrer, »du dörftest sonst greulich Pumpes kriegen! hier ist keine Zeit zu predigen, ich wollts sonst besser als du verrichten.« Als ich dieses hörete, sahe ich ferner stillschweigend zu, wie man Speise und Trank mutwillig verderbte, unangesehen der arme Lazarus, den man damit hätte laben können, in Gestalt vieler hundert vertriebenen Wetterauer, denen der Hunger zu den Augen herausguckte, vor unsern Türen verschmachtete, weil »Naut im Schank« war.[77]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 75-78.
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