Das fünfte Kapitel.

[19] Simplex das Reißaus behendiglich spielet,

Wann sich Bäum regen, er Herzensangst fühlet.


Da machte ich gleich den Anfang, meinen unglücklichen Zustand, den ich vor Augen sahe, zu betrachten und zu gedenken, wie ich mich forderlichst ausdrehen und davonlaufen möchte. Wohin aber? Dazu war mein Verstand viel zu gering, einen Vorschlag zu tun; doch hat es mir so weit gelungen, daß ich gegen Abend in Wald bin entsprungen und meine liebe Sackpfeife auch in diesem äußersten Elend nicht verlassen. Wo nun aber weiters hinaus? sintemal mir die Wege und der Wald so wenig bekannt waren, als die Straße durch das gefrorne Meer, hinter Nova Zembla bis gen China hinein. Die stockfinstre Nacht bedeckte mich zwar zu meiner Versicherung, jedoch bedauchte sie meinen finstern Verstand nicht finster genug; dahero verbarg ich mich in ein dickes Gesträuch, da ich sowohl das Geschrei der getrillten Bauren als das Gesang der Nachtigallen hören konnte, welche Vögelein sie, die Bauren, von welchen man teils auch Vögel zu nennen pflegt, nicht angesehen hatten, mit ihnen Mitleiden zu tragen oder ihres Unglücks halber das liebliche Gesang einzustellen; darumb legte ich mich auch ohn alle Sorg auf ein Ohr und entschlief. Als aber der Morgenstern im Osten herfürflackerte, sahe ich meines Knäns Haus in voller Flamme stehen, aber niemand, der zu löschen begehrte. Ich begab mich herfür in Hoffnung, jemanden von meinem Knän anzutreffen, ward aber gleich von 5 Reutern erblickt und angeschrieen: »Jung, kom heröfer, oder skall my de Tüfel halen, ick schiete dick, dat di de Dampff thom Hals ut gaht!« Ich hingegen blieb ganz stockstill stehen und hatte das Maul offen, weil ich nicht wußte, was der Reuter wollte oder meinte; und indem ich sie so ansahe, wie eine Katze ein neu Scheuntor, sie aber wegen eines Morastes nicht zu mir kommen konnten, welches sie ohn Zweifel rechtschaffen vexierte, lösete der eine seinen Karbiner auf mich, von welchem urplötzlichen[19] Feur und unversehnlichem Klapf, den mir Echo durch vielfältige Verdoppelung grausamer machte, ich dermaßen erschröckt ward, weil ich dergleichen niemals gehöret oder gesehen hatte, daß ich alsobald zur Erde niederfiel, und alle viere von mir streckete; ja ich regete vor Angst keine Ader mehr; und wiewohl die Reuter ihres Wegs fortritten und mich ohn Zweifel vor tot liegen ließen, so hatte ich jedoch denselbigen ganzen Tag das Herz nicht, mich aufzurichten noch mich nur ein wenig hin und wieder umbzusehen. Als mich aber die Nacht wieder ergriff, stund ich auf und wanderte so lang im Wald fort, bis ich von fern einen faulen Baum schimmern sahe, welcher mir eine neue Forcht einjagte, kehrete derowegen sporenstreichs wieder um und gieng so lang, bis ich wieder einen andern dergleichen Baum erblickte, von dem ich mich gleichfalls wieder fortmachte, und auf diese Weise die Nacht mit Hin- und Wiederrennen von einem faulen Baum zum andern vertrieb. Zuletzt kam mir der liebe Tag zu Hülf, welcher den Bäumen gebot, mich in seiner Gegenwart unbetrübt zu lassen; aber hiermit war mir noch nichts geholfen, dann mein Herz stak voll Angst und Forcht, die Schenkel voll Müdigkeit, der leere Magen voll Hunger, das Maul voll Durst, das Hirn voll närrischer Einbildung und die Augen voller Schlaf. Ich gieng dannoch fürter, wußte aber nicht wohin. Je weiter ich aber gieng, je tiefer ich von den Leuten hinweg in Wald kam. Damals stund ich aus und empfand (jedoch ganz unvermerkt) die Würkung des Unverstands und der Unwissenheit: wann ein unvernünftig Tier an meiner Stelle gewesen wäre, so hätte es besser gewußt, was es zu seiner Erhaltung hätte tun sollen, als ich. Doch war ich noch so witzig, als mich abermal die Nacht übereilte, daß ich in einen hohlen Baum kroch, meine werte liebe Sackpfeife fleißig in acht nahme und also mein Nachtlager zu halten gänzlich entschlossen war.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 19-20.
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