Das sechste Kapitel.

[20] Simplex hört Worte, die lauten andächtig,

Sieht den Einsiedel, pfeift und wird ohnmächtig.


Kaum hatte ich mich zum Schlaf bequemet, da höret ich folgende Stimme: »O große Liebe gegen uns undankbare Menschen! Ach mein einziger Trost, meine Hoffnung, mein Reichtum, mein Gott!« und so dergleichen mehr, daß ich nicht alles merken noch verstehen können.

Dieses waren wohl Worte, die einen Christenmenschen, der[20] sich in einem solchen Stand, wie ich mich dazumal befunden, billig aufmuntern, trösten und erfreuen hätten sollen. Aber, o Einfalt und Unwissenheit! es waren mir nur böhmische Dörfer, und alles eine ganz unverständliche Sprache, aus deren ich nicht allein nichts fassen konnte, sondern auch eine solche, vor deren Seltsamkeit ich mich entsatzte. Da ich aber hörete, daß dessen, der sie redete, Hunger und Durst gestillet werden sollte, riete mir mein ohnerträglicher Hunger und fast vor Speisemangel ganz zusammengeschnurrter Magen, mich auch zu Gast zu laden; derowegen faßte ich das Herz, wieder aus meinem hohlen Baum zu gehen und mich der gehörten Stimme zu nähern. Da wurde ich eines großen Manns gewahr in langen schwarzgrauen Haaren, die ihm ganz verworren auf den Achseln herumlagen; er hatte einen wilden Bart, fast formiert wie ein Schweizerkäs. Sein Angesicht war zwar bleichgelb und mager, aber doch ziemlich lieblich, und sein langer Rock mit mehr als 1000 Stückern von allerhand Tuch überflickt und aufeinander gesetzt; um Hals und Leib hatte er eine schwere eiserne Ketten gewunden wie St. Wilhelmus und sahe sonst in meinen Augen so scheußlich und förchterlich aus, daß ich anfieng zu zittern wie ein nasser Hund. Was aber meine Angst mehrete, war, daß er ein Kruzifix, ungefähr 6 Schuhe lang, an seine Brust druckte, und weil ich ihn nicht kannte, konnte ich nichts anders ersinnen, als dieser alte Greis müßte ohn Zweifel der Wolf sein, davon mir mein Knän kurz zuvor gesagt hatte. – In solcher Angst wischte ich mit meiner Sackpfeife herfür, welche ich als meinen einzigen angenehmsten und wertesten Schatz noch vor den Reutern salviert hatte. Ich blies zu, stimmte an und ließ mich gewaltig hören, diesen greulichen Wolf zu vertreiben, über welcher gählingen und ungewöhnlichen Musik, an einem so wilden Ort, der Einsiedel anfänglich nicht wenig stutzte, ohn Zweifel vermeinende, es sei etwan ein teuflisch Gespenst hinkommen, ihn, wie etwan dem großen Antonio widerfahren, zu tribulieren und seine Andacht zu zerstören. Sobald er sich aber wieder erholete, spottete er mei ner, als seines Versuchers im hohlen Baum, wohinein ich mich wieder retirieret hatte; ja er war so getrost, daß er gegen mir gieng, den Feind des menschlichen Geschlechts genugsam auszuhöhnen. »Ha!« sagte er, »du bist ein Gesell darzu, die Heiligen ohn göttliche Verhängnus« etc. Mehrers habe ich nicht verstanden, dann seine Näherung ein solch Grausen und Schröcken in mir erregte, daß ich des Amts meiner Sinne beraubet ward und dorthin in Ohnmacht niedersank.[21]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 20-22.
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