Das erste Kapitel.

[86] Simplex pflegt Händel im Stall zu erfahren,

Als sich ein Gänser und Gänsin will paaren.


In meinem Gänsstall konzipierte und überlegte ich, was beides vom Tanzen und Saufen ich im ersten Teil meines »Schwarz und Weiß« hiebevor geschrieben, ist derowegen unnötig, diesorts etwas Ferners davon zu melden. Doch kann ich nicht verschweigen, daß ich damals noch zweifelte, ob die Tänzer den Boden einzutretten so gewütet oder ob ich nur so überredet worden. Jetzt will ich ferner erzählen, wie ich wieder aus dem Gänskerker kam. Drei ganzer Stunden, nämlich bis sich das Praeludium Veneris (der ehrliche Tanz sollte ich gesagt haben) geendet hatte, mußte ich in meinem eigenen Unlust sitzen bleiben, eh einer herzuschlich und an dem Riegel anfieng zu rappeln. Ich lausterte wie eine Sau, die ins Wasser harnt; der Kerl aber, so an der Tür war, machte solche nicht allein auf, sondern wischte auch ebenso geschwind hinein, als gern ich heraußen gewesen wäre, und schleppte noch darzu ein Weibsbild an der Hand mit sich daher, gleichwie ich beim Tanz hatte tun sehen. Ich konnte nicht wissen, was es abgeben sollte; weil ich aber vieler seltsamen Abenteuren, die meinem närrischen Sinn denselben Tag begegnet, schier gewohnt war und ich mich drein ergeben hatte, fürterhin alles mit Gedult und Stillschweigen zu ertragen, was mir mein Verhängnüs zuschicken würde; als schmiegte ich mich zu der Tür mit Forcht und Zittern, das Ende erwartende. Gleich darauf erhub sich zwischen diesen beiden ein Gelispel, daraus ich zwar nichts anders verstund, als daß sich das eine Teil über den bösen Geruch desselben Orts (er war aber aus meinen Hosen) beklagte und hingegen der ander Teil das erste hinwiederum tröstete. »Gewißlich, schönste Dame,« sagte er, »mir ist versichert von Herzen leid, daß uns, die Früchte der Liebe zu genießen, vom mißgünstigen Glück kein ehrlicher Ort gegönnet wird. Aber ich kann darneben beteuren, daß mir Ihre holdselige Gegenwart diesen verächtlichen Winkel anmutiger machet als das[86] lieblichste Paradeis selbsten.« Hierauf hörete ich küssen, und vermerkte seltsame Posturen; ich wußte aber nicht, was es war oder bedeuten sollte, schwieg derowegen noch fürters so still als eine Maus. Wie sich aber auch sonst ein possierlich Geräusch erhub und der Gänsstall, so nur von Brettern unter die Stege getäfelt war, ziemlich und kontinuierlich zu krachen anfieng, zumaln das Weibsbild sich anstellete, als ob ihr gar weh bei der Sache geschähe, da gedachte ich: »Das seind zwei von denen wütenden Leuten, die den Boden helfen eintretten und sich jetzt hieher begeben haben, da gleicherweis zu hausen und dich ums Leben zu bringen.« Sobald diese Gedanken mich einnahmen, so bald nahm ich hingegen die Tür ein, dem Tod zu entfliehen, dadurch ich mit einem solchen Mordiogeschrei hinauswischte, das natürlich lautete wie dasjenige, das mich an denselben Ort gebracht hatte; doch war ich so gescheid, daß ich die Tür hinter mir wieder zuriegelte und hingegen die offene Haustür suchte. Dieses nun war die erste Hochzeit, bei deren ich mich mein Lebtag befunden, unangesehen ich nicht darzu geladen worden; hingegen dorfte ich aber auch nichts schenken, wiewohl mir hernach der Hochzeiter die Zeche desto teurer rechnete, die ich auch redlich bezahlte. Günstiger Leser! ich erzähle diese Geschicht nicht darum, damit er viel darüber lachen solle, sondern damit meine Histori ganz sei und der Leser zu Gemüt führe, was vor ehrbare Früchte von dem Tanzen zu gewarten sein. Dies halte ich einmal vor gewiß, daß bei den Tänzen mancher schlimmer und leichtfertiger Kauf gemacht wird, dessen sich hernach eine ganze Freundschaft zu schämen hat.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 86-87.
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