Das zehnte Kapitel.

[107] Simplex pflegt vieles von tapferen Helden,

Und auch von trefflichen Künstlern zu melden.


Hierauf erfolgte die Mittagsmahlzeit, bei welcher ich mich wieder tapfer gebrauchen ließ, dann ich hatte mir vorgesetzt, alle Torheiten zu bereden und alle Eitelkeiten zu strafen, wozu sich dann mein damaliger Stand trefflich schickte; kein Tischgenoß war mir zu gut, ihm sein Laster zu verweisen und aufzurupfen, und wann sich einer fand, der sichs nicht gefallen ließe, so ward er entweder noch darzu von andern ausgelacht oder ihm von meinem Herrn vorgehalten, daß sich kein Weiser über einen Narrn zu erzörnen pflege. Den tollen Fähnrich, welcher mein ärgster Feind war, zoge ich gleich herüber und setzte ihn auf den Esel. Der erste aber, der mir aus meines Herrn Winken mit Vernunft begegnete, war der Sekretarius; dann als ich denselben einen Titulschmied nannte, ihn wegen der eiteln Titul auslachte und fragte, wie man der Menschen ersten Vatter titulieret hätte? antwortete er: »Du redest wie ein unvernünftig Kalb, weil du nicht weißt, daß nach unsern ersten Eltern unterschiedliche Leute gelebet, die durch seltene Tugenden, als Weisheit, mannliche Heldentaten und Erfindung guter Künste sich und ihr Geschlecht dermaßen geadelt haben, daß sie auch von andern über alle irdische Dinge, ja gar übers Gestirn zu Göttern erhoben worden. Wärest du ein Mensch, oder hättest aufs wenigste wie ein Mensch die Historien gelesen, so verstündest du auch den Unterscheid, der sich zwischen den Menschen enthält, und würdest dannenhero einem jeden seinen Ehrentitul gern gönnen; sintemal du aber ein Kalb und keiner menschlichen Ehre würdig noch fähig bist, so redest du auch von der Sache wie ein dummes Kalb und mißgönnest dem edlen menschlichen Geschlecht dasjenige, dessen es sich zu erfreuen hat.« Ich antwortete: »Ich bin sowohl ein Mensch gewesen als du, hab auch ziemlich viel gelesen, kann dahero urteilen, daß du den Handel entweder nicht recht verstehest oder durch dein Interesse abgehalten wirst, anderst zu reden, als du weißt. Sage mir, was sein vor herrliche Taten begangen und vor löbliche Künste erfunden worden, die genugsam sein, ein ganz Geschlecht etlich hundert Jahre nacheinander auf[107] Absterben der Helden und Künstler selbst zu adeln? Ist nicht beides, der Helden Stärke und der Künstler Weisheit und hoher Verstand, mit hinweggestorben? Wann du dies nicht verstehest und der Eltern Qualitäten auf die Kinder erben, so muß ich davorhalten, dein Vatter sei ein Stockfisch und deine Mutter ein Plateissin gewesen.« – »Ha!« antwortete der Sekretarius, »wann es damit wohl ausgericht sein wird, wann wir einander schänden wollen, so könnte ich dir vorwerfen, daß dein Knän ein grober Spesserter Baur gewesen, und obzwar es in deiner Heimat und Geschlecht die größte Knollfinken abgibt, daß du dich annoch noch mehr verringert habest, indem du zu einem unvernünftigen Kalb worden bist.« – »Da recht, da hab ich dich recht bei der Karthausen,« antwortete ich, »das ist es, was ich behaupten will, daß nämlich der Eltern Tugenden nicht allweg auf die Kinder erben und daß dahero die Kinder ihrer Eltern Tugendtituln auch nicht allweg würdig sein. Mir zwar ist es keine Schande, daß ich ein Kalb bin worden, dieweil ich in solchem Fall dem großmächtigen König Nabuchodonosor nachzufolgen die Ehre habe. Wer weiß, ob es nicht Gott gefällt, daß ich auch wieder, wie dieser, zu einem Menschen, und zwar noch größer werde, als mein Knän gewesen? Ich rühme einmal diejenige, die sich durch eigene Tugenden edel machen.« – »Nun gesetzt, aber nicht gestanden,« sagte der Sekretarius, »daß die Kinder ihrer Eltern Ehrentitul nicht allweg erben sollen, so mußt du doch gestehen und mir unfehlbarlich zugeben, daß diejenige alles Lobs wert sein, die sich selbst durch Wohlverhalten edel machen. Wann dann dem also, so folget, daß man die Kinder wegen ihrer Eltern billig ehret, dann der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wer woll te in Alexandri M. Nachkömmlingen, wann anders noch einzige vorhanden wären, ihres alten Urahnherrn herzhafte Tapferkeit im Krieg nicht rühmen? Dieser erwiese seine Begierde zu fechten in seiner Jugend mit Weinen, als er noch zu keinen Waffen tüchtig war, besorgend, sein Vatter möchte alles gewinnen und ihm nichts zu bezwingen übriglassen. Hat er nicht noch vor dem dreißigsten Jahr seines Alters die Welt bezwungen, und noch ein andere zu bestreiten gewünschet? Hat er nicht in einer Schlacht, die er mit den Indianern gehalten, da er von den Seinigen verlassen war, aus Zorn Blut geschwitzet? War er nicht anzusehen, als ob er mit lauter Feurflammen umgeben war, so daß ihn auch die Barbaren vor Furcht streitend verlassen mußten? Wer wollte ihn nicht höher und edler als andere Menschen schätzen, da doch Quintus Curtius von ihm bezeuget, daß sein Atem wie Balsam, der Schweiß nach Bisem und sein[108] toter Leib nach köstlicher Spezerei gerochen? Hier könnte ich auch einführen den Julium Cäsarem und den Pompejum, deren der eine über und neben den Viktorien, die er in den Bürgerlichen Kriegen behauptet, funfzigmal in offenen Feldschlachten gestritten, und 1152000 Mann erlegt und totgeschlagen hat. Der ander hat neben 940 den Meerräubern abgenommenen Schiffen vom Alpgebürg an bis in das äußerste Hispanien 876 Städte und Flecken eingenommen und überwunden. Den Ruhm Marci Sergii will ich verschweigen und nur ein wenig von dem Lucio Siccio Dentato sagen, welcher Zunftmeister zu Rom war, als Spurius Turpejus und Aulus Eternins Burgermeister gewesen. Dieser ist in 110 Feldschlachten gestanden und hat achtmal diejenigen überwunden, so ihn herausgesodert; er konnte 45 Wundmäler an seinem Leib zeigen, die er alle vor dem Mann und keine rückwarts empfangen; mit neun Obristfeldherren ist er in ihren Triumphen (die sie vornehmlich durch ihre Mannheit erlangt) eingezogen. Des Manlii Capitolini Kriegsehre wäre nicht geringer, wann er sie im Beschluß seines Lebens nicht selbst verkleinert; dann er konnte auch 33 Wundmäler zeigen, ohn daß er einsmals das Capitolium mit allen Schätzen allein vor den Franzosen erhalten. Wo bleiben die biblische Helden Josua, David, Joab, die Assamoner und andere mehr, deren die erste das Gelobte Land erobert und die letzte wieder in Freiheit gesetzt haben? Item, der starke Herkules, Theseus und andere, die beinahe beides zu erzählen und ihr unsterbliches Lob zu beschreiben unmüglich! Sollten diese in ihren Nachkömmlingen nicht zu ehren sein?«

»Ich will aber Wehre und Waffen fahren lassen und mich zu den Künsten wenden, welche zwar etwas geringer zu sein scheinen, nichtsdestoweniger aber ihre Meister ganz ruhmreich machen. Was findet sich nur für eine Geschicklichkeit am Zeuxe, welcher durch seinen kunstreichen Kopf und geschickte Hand die Vögel in der Luft betrog? item am Apelle, der eine Venus so natürlich, so schön, so ausbündig und mit allen Lineamenten so subtil und zart dahermalete, daß sich auch die Junggesellen darein verliebten? Plutarchus schreibet, daß Archimedes ein groß Schiff, mit Kaufmannswaren beladen, mitten über den Markt zu Syracusis nur mit einer Hand an einem einzigen Seil dahergezogen, gleich als ob er ein Saumtier an einem Zaum geführet, welches 20 Ochsen, geschweige 200 deinesgleichen Kälber, nicht hätten zu tun vermöcht. Sollte nun dieser rechtschaffene Meister nicht mit einem besondern Ehrentitul seiner Kunst gemäß zu begaben sein? Wer wollte nicht vor andern Menschen preisen[109] denjenigen, der dem persischen König Sapor ein gläsernes Werk machte, welches so weit und groß war, daß er mitten in demselben auf dessen Centro sitzen und unter seinen Füßen das Gestirn auf- und niedergehen sehen konnte? Sollte Archita nicht zu loben sein, der so künstliche hölzerne Tauben machte, daß sie auch gleich andern Vögeln in der Luft herumflogen? Albertus Magnus machte ein ehrines Haupt, welches ausdrückliche verständige Wort redete. So hat auch das Bild Memnonis, sooft es von der aufgehenden Sonne beschienen wurde, einen großen Ton oder Gebrümm von sich geben. Gedachter Archimedes machte einen Spiegel, damit er der Feinde Kriegsschiffe mitten im Meer anzündete. So gedenket auch Ptolomäus eine wunderliche Art Spiegel, die so viel Angesichter zeigten, als Stunden im Tag waren. Wer wollte die geschickte Hand desjenigen Schreibers nicht edel nennen, welcher die Iliadem Homeri, so etliche 100000 Vers in sich begriffen, uf ein so kleines Papier geschrieben, da in ein Nußschal mochte verborgen werden, maßen solches Plinius bezeuget. Ein anderer Künstler hatte ein ganz vollkommenes und mit aller Zugehör versehenes Schiff so künstlich zugerichtet, daß eine Biene solches unter ihre Flügel verbergen konnte. Welcher wollte den nicht preisen, der die Buchstaben zuerst erfunden? Ja, wer wollte nicht vielmehr den über alle Künstler erheben, welcher die edle und der ganzen Welt höchst nutzliche Kunst der Buchdruckerei erfunden? Ist Ceres, weil sie den Ackerbau und das Mühlwerk erfunden haben solle, vor eine Göttin gehalten worden, warum sollte dann unbillig sein, wann man andern ihren Qualitäten gemäß ihr Lob mit Ehrentituln berühmt? Zwar ist wenig daran gelegen, ob du, grobes Kalb, solches in deinem unvernünftigen Ochsenhirn fassest oder nicht. Es gehet dir eben wie jenem Hund, der auf einem Haufen Heu lag und solches dem Ochsen auch nicht gönnete, weil er es selbst nicht genießen konnte. Du bist keiner Ehre fähig, und eben dieser Ursachen halber mißgönnest du solches denenjenigen, die solcher wert sein.«

Da ich mich also gehetzt sahe, antwortete ich: »Die herrliche Heldentaten wären höchlich zu rühmen, wann sie nicht mit anderer Menschen Untergang und Schaden vollbracht wären worden. Was ist das aber vor ein Lob, welches mit so vielem unschuldig vergossenem Menschenblut besudelt? Und was ist das vor ein Adel, der mit so vieler tausend anderer Menschen Verderben erobert und zuwegen gebracht worden ist? Die Künste betreffend, was seinds anders, als lauter Vanitäten und Torheiten? Ja, sie seind ebenso leer, eitel und unnütz als die Titul selbst, die[110] einem von denselbigen zustehen mögen; dann entweder dienen sie zum Geiz, oder zur Wollust, oder zur Üppigkeit, oder zum Verderben anderer Leute, wie dann die schröckliche Dinger auch sind, die ich neulich auf den halben Wägen sahe. So könnte man der Druckerei und Schriften auch wohl entbehren, nach Ausspruch und Meinung jenes heiligen Manns, welcher davorhielt, die ganze weite Welt sei ihm Buchs genug, die Wunder seines Schöpfers zu betrachten und die göttliche Allmacht daraus zu erkennen.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 107-111.
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