Das zwölfte Kapitel.

[114] Simplex zieht trefflich und rühmlich herfür

Den Verstand der unvernünftigen Tier.


Unter währendem meinem Diskurs sahe mich jedermann an und verwunderten sich alle Gegenwärtige, daß ich solche Reden sollte vorbringen können, welche, wie sie vorgaben, auch einem verständigen Mann genug wären, wann er solche so gar ohn allen Vorbedacht hätte vortragen sollen. Ich aber machte den Schluß meiner Rede und sagte: »Darum dann nun, mein liebster Herr, will ich nicht mit dir tauschen! Zwar ich bedarfs auch im geringsten nicht; dann die Quellen geben mir einen gesunden Trank anstatt deiner köstlichen Weine, und derjenige, der mich zum Kalb werden zu lassen beliebet, wird mir auch die Gewächse des Erdbodens dergestalt zu segnen wissen, daß sie mir, wie dem Nabuchodonosore, zur Speis und Aufenthalt meines Lebens auch nicht unbequem sein werden. So hat mich die Natur auch bereits[114] mit einem guten Pelz versehen, da dir hingegen oft vor dem Besten ekelt, der Wein deinen Kopf zerreißt und dich bald in diese oder jene Krankheit wirft.«

Mein Herr antwortete: »Ich weiß nicht, was ich an dir habe: du bedünkest mich vor ein Kalb viel zu verständig zu sein; ich vermeine schier, du seist unter deiner Kalbshaut mit einer Schalkshaut überzogen.« Ich stellete mich zornig und sagte: »Vermeinet ihr Menschen dann wohl, wir Tiere sein gar Narren? Das dörft ihr euch wohl nicht einbilden! Ich halte davor, wann ältere Tiere als ich, so wohl als ich reden könnten, sie würden euch wohl anderst aufschneiden. Wann ihr vermeinet, wir sein so gar dumm, so saget mir doch, wer die wilde Blochtauben, Häher, Amseln und Rebhühner gelernet hat, wie sie sich mit Lorbeerblättern purgieren sollen? und die Tauben, Turteltäublein und Hühner mit St. Peterskraut. Wer lehret Hunde und Katzen, daß sie das betaute Gras fressen sollen, wann sie ihren vollen Bauch reinigen wollen? Wer die Schildkrott, wie sie die Bisse mit Schierling heilen? und den Hirsch, wann er geschossen, wie er seine Zuflucht zu dem Dictamno oder wilden Polei nehmen solle? Wer hat das Wieselein unterrichtet, daß es Rauten gebrauchen sollte, wann es mit der Fledermaus oder irgendeiner Schlange kämpfen will? Wer gibet den wilden Schweinen den Efeu, und den Bären den Alraun zu erkennen und saget ihnen, daß es gut sei zu ihrer Arznei? Wer hat dem Adler geraten, daß er den Adlerstein suchen und gebrauchen soll, wann er seine Eier schwerlich legen kann? Und welcher gibet es der Schwalbe zu verstehen, daß sie ihrer Jungen blöde Augen mit Chelidonio arzneien solle? Wer hat die Schlange instruiert, daß sie soll Fenchel essen, wann sie ihre Haut abstreifen und ihren dunkeln Augen helfen will? Wer lehret den Storck, sich zu klüstieren? den Pelikan, sich Ader zu lassen? und den Bärn, wie er ihm von den Bienen solle schröpfen lassen? Was? ich dörfte schier sagen, daß ihr Menschen eure Künste und Wissenschaften von uns Tieren erlernet habet! Ihr freßt und sauft euch krank und tot: das tun wir Tiere aber nicht. Ein Löw oder Wolf, wann er zu fett werden will, so fastet er, bis er wieder mager, frisch und gesund wird. Welches Teil handelt nun am weislichsten? Über dieses alles, betrachtet das Geflügel unter dem Himmel! betrachtet die unterschiedliche Gebäue ihrer artlichen Nester! Und weil ihnen ihre Arbeit niemand nachmachen kann, so müßt ihr ja bekennen, daß sie beides, verständiger und künstlicher, sein als ihr Menschen selbst. Wer sagt den Sommervögeln, wann sie gegen dem Frühling zu uns kommen und Junge hecken? und gegen dem Herbst,[115] wann sie sich wieder von dannen in die warme Länder verfügen sollen? Wer unterrichtet sie, daß sie zu solchem Ende einen Sammelplatz bestimmen müssen? Wer führet sie, oder wer weiset ihnen den Weg? Oder leihet ihr Menschen vielleicht ihnen euren Seekompaß, damit sie unterwegs nicht irrfahren? Nein, ihr lieben Leute, sie wissen den Weg ohn euch, und wie lang sie darauf müssen wandern, auch wann sie von einem und dem andern Ort aufbrechen müssen; bedörfen also weder eures Kompasses noch eures Kalenders. Ferners beschauet die mühsame Spinne, deren Geweb beinahe ein Wunderwerk ist! Sehet, ob ihr auch einen einzigen Knopf in aller ihrer Arbeit finden möget? Welcher Jäger oder Fischer hat sie gelehret, wie sie ihr Netz ausspannen und sich, je nachdem sie sich eines Netzes gebrauchet, ihr Wildpret zu belaustern, entweder in den hintersten Winkel oder gar in das Zentrum ihres Gewebs setzen solle? Ihr Menschen verwundert euch über den Raben, von welchem Plutarchus bezeuget, daß er so viel Steine in ein Geschirr, so halb voll Wasser gewesen, geworfen, bis das Wasser so weit oben gestanden, daß er bequemlich habe trinken mögen. Was würdet ihr erst tun, wann ihr bei und unter den Tieren wohnen und ihre übrige Handlungen, Tun und Lassen ansehen und betrachten würdet? Alsdann würdet ihr erst bekennen, daß es sich ansehen lasse, als hätten alle Tiere etwas besonderer eigener natürlicher Kräften und Tugenden in allen ihren Affectionibus und Gemütsneigungen, in der Fürsichtigkeit, Stärke, Mildigkeit, Forchtsamkeit, Rauchheit, Lehre und Unterrichtung. Es kennet je eines das andere, sie unterscheiden sich vor einander, sie stellen dem nach, so ihnen nützlich, fliehen das Schädlich, meiden die Gefahr, sammlen zusammen, was ihnen zu ihrer Nahrung notwendig ist, und betrügen auch bisweilen euch Menschen selbst. Dahero viel alte Philosophi solches ernstlich erwogen und sich nicht geschämet haben, zu fragen und zu disputieren, ob die unvernünftigen Tiere nicht auch Verstand hätten? Zwar was darfs viel Grammanzens! Schickt euch der weise König Salomo doch selbst zu uns in die Schule, da er spricht, Sprüchw. 30: ›Es seind vier kleine Dinge auf Erden, doch sein sie viel weiser als die Weisesten. Die Ameisen, so ein schwach Völklein sein, doch sammlen sie im Sommer ihre Nahrung ein vor den Winter; die Königlein, nicht ein starkes Völklein, doch machen sie ihre Wohnungen in die Felsen; die Heuschrecken, welche keinen König haben und jedoch scharweis ausziehen; die Spinne ergreifet mit beiden Armen und wohnet in den Palästen der Könige.‹ Ich mag aber nichts mehr von diesen Sachen reden; gehet hin zu den Immen und sehet,[116] wie sie Wachs und Honig machen, und alsdann sagt mir eure Meinung wieder.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 114-117.
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