Das einundzwanzigste Kapitel.

[140] Simplex macht mit dem Herzbruder Freundschaft,

Welche ihm gabe vortreffliche Kraft.


Mein Hofmeister ward mir je länger je holder und ich ihm hingegen wiederum; doch hielten wir unsere Verträulichkeit sehr geheim. Ich agierte zwar einen Narrn, brachte aber keine grobe Zotten noch Büffelspossen vor, so daß meine Gaben und Aufzüge zwar einfältig genug, aber jedoch mehr sinnreich als närrisch fielen. Mein Obrister, der eine treffliche Lust zum Weidwerk trug, nahm mich einsmals mit, als er ausspazierte, Feldhühner zu fangen mit dem Tyras, welche Invention mir trefflich wohlgefiel. Dieweil aber der vorstehende Hund so hitzig war, daß er einzufallen pflegte, ehe man tyrassieren konnte, deswegen wir dann wenig fangen konnten, da gab ich dem Obristen den Rat, er sollte die Hündin mit einem Falken oder Steinadler belegen lassen, wie man mit Pferden und Eseln zu tun pflege, wann man gerne Maultiere hätte, damit die jungen Hunde Flügel bekämen, so könnte man alsdann mit denselbigen die Hühner in der Luft fangen. Auch gab ich den Vorschlag, weil es mit Eroberung der Stadt Magdeburg, die wir belägert hielten, so schläferig hergienge, man sollte ein mächtig langes Seil so dick als ein halbfüderiges Faß verfertigen, solches um[140] die Stadt ziehen und alle Menschen samt dem Vieh in beiden Lägern daran spannen und dergestalt die Stadt in einem Tag übern Haufen schleifen lassen. Solcher närrischen Tauben und Grillen ersann ich täglich einen Überfluß, weil es meines Handwerks war, so daß man meine Werkstatt nie leer fand. So gab mir auch meines Herrn Schreiber, der ein arger Gast und durchtriebener Schalk war, viel Materi an die Hand, dadurch ich auf dem Weg, den die Narren zu wandern pflegen, unterhalten ward; dann was mich dieser Speivogel überredte, das glaubte ich nicht allein vor mich selbsten, sondern teilte es auch andern mit, wann ich etwan diskurierte und sich die Sache dahin schickte.

Als ich einsmals fragte, was unser Regimentskaplan vor einer sei, weil er mit Kleidungen von andern unterschieden, sagte er: »Er ist der Herr Dicis et non facis, das ist auf teutsch soviel geredt als ein Kerl, der andern Leuten Weiber gibet und selbst keine nimmt. Dieser ist den Dieben spinnenfeind, weil sie nicht sagen, was sie tun, er aber hingegen saget, was er nicht tut. So können ihm hingegen die Diebe auch nicht so gar hold sein, weil sie gemeiniglich gehenkt werden, wann sie die beste Kundschaft mit diesen Leuten haben.« Da ich nun nachgehends den guten ehrlichen Pater so nannte, ward er ausgelacht, ich aber vor einen bösen schalkhaftigen Narrn gehalten und seinetwegen gebaumölt. Ferners überredete er mich, man hätte die offentliche gemeine Häuser zu Prag hinter der Maur abgebrochen und verbrannt, davon die Funken und der Staub wie der Samen eines Unkrauts in alle Welt zerstoben wäre; item, es kämen von den Soldaten keine tapfere Helden und herzhafte Kerl in Himmel, sondern bloß einfältige Tropfen, feige Memmen, gutwillige Krapfen, Bärnhäuter und dergleichen, die sich an ihrem Sold genügen ließen; sodann keine politische Alamode-Cavaliers und galante Dames, sondern nur gedultige Job, Siemänner, langweilige Mönche, melancholische Pfaffen, Betschwestern, arme Bettelhurn, allerhand Auswürflinge, die in der Welt weder zu sieden noch zu braten taugen, und junge Kinder, welche die Bänke überall vollhofierten. Auch log er mir vor, man nenne die Gastgeber nur darum Würte, weil sie in ihrer Hantierung unter allen Menschen am fleißigsten betrachteten, daß sie entweder Gott oder dem Teufel zuteil würden. Vom Kriegswesen überredte er mich, daß man zuzeiten mit güldenen Kugeln schieße, und je kostbarer solche wären, je größern Schaden pflegten sie zu tun. »Ja«, sagte er, »man führet wohl eh ganze Kriegsheere mitsamt der Artollerei, Munition[141] und Bagage in güldenen Ketten gefangen daher.« Weiters überredete er mich von den Weibern, daß mehr als der halbe Teil Hosen trügen, obschon man sie nicht sähe, und daß viel ihren Männern, wannschon sie nicht zaubern könnten, noch Göttinnen wären, als Diana gewesen, größere Hörner auf die Köpfe gaukelten, als Aktäon getragen; item, daß ihrer gar viel den Ehestand ledigerweise trieben; welches ich ihm alles glaubte, so ein dummer Narr war ich.

Hingegen unterhielte mich mein Hofmeister, wann er allein bei mir war, mit viel einem andern Diskurs. Er brachte mich auch in seines Sohns Kundschaft, welcher, wie hiebevor bemeldet worden, bei der kursächsischen Armee ein Musterschreiber war und weit andere Qualitäten an sich hatte als meines Obristen Schreiber; dahero mochte ihn mein Obrister nicht allein gerne leiden, sondern er war auch bedacht, ihn von seinem Kapitän loszuhandeln und zu seinem Regimentssecretario zu machen, auf welche Stelle obgemeldter sein Schreiber sich auch spitzete.

Mit diesem Musterschreiber, welcher auch, wie sein Vatter, Ulrich Herzbruder hieß, machte ich eine solche Freundschaft, daß wir ewige Brüderschaft zusammen schwuren, kraft deren wir einander in Glück und Unglück, in Liebe und Leid nimmermehr verlassen wollten. Und weil dieses mit Wissen seines Vatters geschahe, hielten wir den Bund desto fester und steifer. Demnach lag uns nichts härter an, als wie wir meines Narrenkleids mit Ehren los werden und einan der rechtschaffen dienen möchten; welches aber der alte Herzbruder, den ich als meinen Vatter ehrete und vor Augen hatte, nicht guthieß, sondern ausdrücklich sagte, wann ich in kurzer Zeit meinen Stand änderte, daß mir solches eine schwere Gefängnüs und große Leib- und Lebensgefahr gebären würde. Und weil er auch ihm selbst und seinem Sohn einen großen bevorstehenden Spott prognostizierte und dahero Ursache zu haben vermeinete, desto vorsichtiger und behutsamer zu leben; als wollte er sich um soviel desto weniger in einer Person Sachen mischen, deren künftige große Gefahr er vor Augen sehen konnte. Dann er besorgte, er möchte meines künftigen Unglücks teilhaftig werden, wann ich mich offenbare, weil er bereits vorlängst meine Heimlichkeit gewußt und mich gleichsam in- und auswendig gekannt, meine Beschaffenheit aber dem Obristen nicht kundgetan hatte.

Kurz hernach merkte ich noch besser, daß meines Obristen Schreiber meinen neuen Bruder schröcklich neidete, weil er besorgte, er möchte vor ihm zu der Sekretariatstelle erhoben werden;[142] dann ich sahe wohl, wie er zuzeiten griesgramete, wie ihm die Mißgunst so gedrang tät, und daß er in schweren Gedanken allezeit seufzete, wann er entweder den alten oder den jungen Herzbruder ansahe. Daraus urteilete ich und glaubte ohn allen Zweifel, daß er Kalender machte, wie er ihm ein Bein vorsetzen und zu Fall bringen möchte. Ich kommunizierte meinem Bruder beides aus getreuer Affektion und tragender Schuldigkeit dasjenige, was ich argwähnete, damit er sich vor diesem Judasbruder ein wenig vorsehen sollte. Er aber nahm es auf die leichte Achsel, Ursache: weil er dem Schreiber sowohl mit der Feder als mit dem Degen mehr als genug überlegen war und darzu noch des Obristen große Gunst und Gnade hinweghatte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 140-143.
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