Das zweiundzwanzigste Kapitel.

[143] Simplex sieht ein ganz leichtfertig Diebsstück,

Einen zu bringen ins äußerst Unglück.


Weil der Gebrauch im Krieg ist, daß man gemeiniglich alte versuchte Soldaten zu Profosen machet, also hatten wir auch einen dergleichen bei unserm Regiment, und zwar einen solchen abgefeumten Erzvogel und Kernböswicht, daß man wohl von ihm sagen konnte, er sei viel mehr als vonnöten erfahren gewesen; dann er war ein rechter Schwarzkünstler, Siebdreher und Teufelsbanner und von sich selbsten nicht allein so fest als Stahl, sondern auch überdas ein solcher Geselle, der andere fest machen und noch darzu ganze Eskadronen Reuter ins Feld stellen konnte. Sein Bildnus sahe natürlich aus, wie uns die Maler und Poeten den Saturnum vorstellen, außer daß er weder Stelzen noch Sense trug. Obzwar nun die arme gefangene Soldaten, so ihm in seine unbarmherzige Hände kamen, wegen dieser seiner Beschaffenheit und stetigen Gegenwart sich desto unglückseliger schätzten, so waren doch Leute, die gern mit diesem Wenddenschimpf umgiengen, sonderlich Olivier, unser Schreiber; und je mehr sich sein Neid wider den jungen Herzbruder (der eines sehr fröhlichen Humors war) vermehrete, je fester wuchs die große Verträulichkeit zwischen ihm und dem Profosen. Dahero konnte ich mir gar leichtlich die Rechnung machen, daß die Konjunktion Saturni und Mercurii dem redlichen Herzbruder nichts Gutes bedeuten würde.

Eben damals ward meine Obristin mit einem jungen Sohn erfreuet und die Taufsuppe fast fürstlich dargereichet, bei welcher[143] der junge Herzbruder aufzuwarten ersuchet war; und weil er sich aus Höflichkeit gern einstellete, war solches dem Olivier eine gewünschte Gelegenheit, seine Schelmenstücke, mit welchen er lang schwanger gangen, auf die Welt zu bringen. Dann als nun alles vorüber war, manglete meines Obristen großer vergüldter Tischbecher, welchen er so leichtlich nicht verloren haben wollte, weil er noch vorhanden gewesen, da alle frembde Gäste schon hinweg waren. Der Page sagte zwar, daß er ihn das letztemal bei dem Olivier gesehen, er war dessen aber nicht geständig. Hierauf ward der Profos geholet, der Sache Rat zu schaffen, und ward ihm benebens anbefohlen, wann er durch seine Kunst den Diebstahl wieder herzu könnte bringen, daß er das Werk so einrichten sollte, damit der Dieb sonst niemand als dem Obristen kund würde, weil noch Offizier von seinem Regiment vorhanden waren, welche er, wann sich vielleicht einer davon übersehen hätte, nicht gern zuschanden machen wollte.

Weil sich nun jeder unschuldig wußte, so kamen wir auch alle lustig in des Obristen großes Zelt, da der Zauberer die Sache vornahm. Da sahe je einer den andern an und verlangte zu vernehmen, was es endlich abgeben und wo der verlorne Becher doch herkommen würde. Als er nun etliche Worte gemurmelt hatte, sprangen einem hier, dem andern dort ein, zwei, drei, auch mehr junge Hündlein aus den Hosensäcken, Ärmeln, Stiefeln, Hosenschlitzen und wo sonst die Kleidungen offen waren. Diese wuselten behend in der Zelt hin und wieder herum, waren alle überaus schön, von mancherlei Farben und jeder auf eine sonderbare Manier gezeichnet, also daß es ein recht lustig Spektakul war. Mir aber wurden meine enge kroatische Kälberhosen so voll junger Hunde gegaukelt, daß ich solche abziehen, und weil mein Hemd im Wald vorlängst am Leib verfaulet war, nackend dastehen und alles sehen lassen mußte, was ich hinden und vornen vermochte. Zuletzt sprang eins dem jungen Herzbruder aus dem Schlitz, welches das allerhurtigste war und ein gölden Halsband anhatte; dieses verschlang alle andere Hündlein, deren es doch so voll im Zelt herumkrabbelte, daß man vor ihnen keinen Fuß weiterssetzen konnte. Wie es nun alle aufgerieben hatte, ward es selbsten je länger je kleiner, das Halsband aber nur desto größer, bis es sich endlich in des Obristen Tischbecher verwandelte.

Da mußte nun nicht allein der Obriste, sondern auch alle andere Gegenwärtige davorhalten, daß sonst niemand als der junge Herzbruder den Becher gestohlen; derowegen sagte der Obriste zu ihm: »Siehe da, du undankbarer Gast! hab ich[144] dieses Diebstücke, das ich dir nimmermehr zugetrauet hätte, mit meinen Guttaten umb dich verdienet? Schaue! ich habe dich zu meinem Secretario des morgenden Tags wollen machen, aber nun hast du verdienet, daß ich dich noch heut aufhängen ließe, welches auch unfehlbar geschehen sollte, wann ich deines ehrlichen alten Vatters nicht verschonete. Geschwind mache dich aus meinem Läger und laß dich die Tage deines Lebens vor meinen Augen nicht mehr sehen!« Er wollte sich entschuldigen, ward aber nicht gehört, dieweil seine Tat so sonnenklar am Tag lag; und indem er fortgieng, ward dem guten alten Herzbruder ganz ohnmächtig, also daß man genug an ihm zu laben und der Obrister selbst an ihm zu trösten hatte, welcher sagte, daß ein frommer Vatter seines ungeratenen Kindes gar nicht zu entgelten hätte. Also erlangte Olivier durch Hülfe des Teufels dasjenige, wornach er vorlängst gerungen, auf einem ehrlichen Weg aber nicht ereilen mögen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 143-145.
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