Das vierundzwanzigste Kapitel.

[147] Simplex pflegt von zwei Wahrsagung zu sagen,

Welche mit Herzbruder sich zugetragen.


Keiner von meines Obristen Leuten schickte sich besser, dem alten Herzbruder in seiner Krankheit abzuwarten als ich; und weil der Kranke auch mehr als wohl mit mir zufrieden war, so ward mir auch solches Amt von der Obristin aufgetragen, welche ihm viel Guts erwiese; und demnach er neben so guter Pflege auch wegen seines Sohnes sattsam erquickt worden, besserte es sich von Tage zu Tage mit ihm, also daß er noch vor dem 26. Julii fast wieder überall zu völliger Gesundheit gelangte. Doch wollte er sich noch inhalten und krank stellen, bis bemeldter Tag, vor welchem er sich merklich entsatzte, vorbei wäre. Indessen besuchten ihn allerhand Offizierer von beiden Armeen, die ihr künftig Glück und Unglück von ihm wissen wollten; dann weil er ein guter Mathematikus und Nativitätensteller, benebens auch ein vortrefflicher Physiognomist und Chiromantikus war, fehlte ihm seine Aussag selten; ja er nannte sogar den Tag, an welchem die Schlacht vor Wittstock nachgehends geschahe, sintemal ihm viel zukamen, denen um dieselbige Zeit einen gewalttätigen Tod zu leiden angedrohet war. Die Obristin versicherte er, daß sie ihr Kindbette noch im Läger aushalten würde, weil vor Ausgang der Wochen Magdeburg an die Unsere nicht übergehen würde. Dem falschen Olivier, der sich gar zutäppisch bei ihm zu machen wußte, sagte er ausdrücklich, daß er eines gewalttätigen Todes sterben müßte und daß ich seinen Tod, er geschehe, wann er wolle, rächen und seinen Mörder wieder umbringen würde,[147] weswegen mich Olivier folgenderzeit hochhielt. Mir selbsten aber erzählte er meinen künftigen ganzen Lebenslauf so umständlich, als wann er schon vollendet und er allezeit bei mir gewesen wäre, welches ich aber wenig achtete und mich jedoch nachgehends vielen Dings erinnerte, das er mir zuvor gesagt, nachdem es schon geschehen oder wahr worden; vornehmlich aber warnete er mich vorm Wasser, weil er besorgte, ich würde meinen Untergang darin leiden.

Als nun der 26. Julii eingetretten war, vermahnete er mich und einen Furierschützen (den mir der Obrister auf sein Begehren denselben Tag zugegeben hatte) ganz treulich und zum öfternmal, wir sollten niemand zu ihm ins Zelt lassen. Er lag also allein darin und betete ohn Unterlaß; da es aber um den Nachmittag ward, kam ein Leutenant aus dem Reuterläger dahergeritten, welcher noch des Obristen Stallmeister fragte. Er ward zu uns und gleich darauf wieder von uns abgewiesen; er wollte sich aber nicht ab weisen lassen, sondern bat den Furierschützen mit untergemischten Verheißungen, ihn vor den Stallmeister zu lassen, mit welchem er noch diesen Abend notwendig reden müßte. Weil aber solches auch nicht helfen wollte, fieng er an zu fluchen, mit Donner und Hagel dreinzukollern und zu sagen, er sei schon so vielmal dem Stallmeister zu Gefallen geritten und hätte ihn noch niemals daheim angetroffen; so er nun jetzt einmal vorhanden sei, sollte er abermal die Ehre nicht haben, nur ein einzig Wort mit ihm zu reden; stieg darauf ab und ließ sich nicht verwehren, das Zelt selbst aufzuknüpfen, worüber ich ihn in die Hand biß, aber eine dichte Maulschelle davor bekam. Sobald er hineingekommen war, meinen Alten sahe, sagte er: »Der Herr sei gebeten, mir zu verzeihen, daß ich die Frechheit brauche, ein Wort mit ihm zu reden.« – »Wohl!« antwortete der Stallmeister, »was beliebt denn dem Herrn?« – »Nichts anders,« sagte der Leutenant, »als daß ich den Herrn bitten wollte, ob er sich ließe belieben, mir meine Nativität zu stellen.« Der Stallmeister antwortete: »Ich will verhoffen, mein hochgeehrter Herr werde mir vergeben, daß ich demselben vor diesmal meiner Krankheit halber nicht willfahren kann; dann weil diese Arbeit viel Rechnens brauchet, wirds mein blöder Kopf jetzo nicht verrichten können; wann Er sich aber bis morgen zu gedulten beliebet, will ich Ihm verhoffentlich genugsame Satisfaktion tun.« – »Herr!« sagte hierauf der Leutenant, »Er sage mir nur etwas dieweil aus der Hand.« – »Mein Herr!« antwortete der alte Herzbruder, »dieselbe Kunst ist gar mißlich und betrüglich; derowegen bitte ich, der Herr[148] wolle mich damit so weit verschonen; ich will morgen hergegen alles gern tun, was der Herr an mich begehret.« Der Leutenant wollte sich doch nicht abweisen lassen, sondern trat meinem Vatter vors Bette, streckte ihm die Hand dar und sagte: »Herr! ich bitte nur um ein paar Worte, meines Lebens Ende betreffend, mit Versicherung, wann solches etwas Böses sein sollte, daß ich des Herrn Rede als eine Warnung von Gott annehmen will, um mich desto besser vorzusehen; darum bitte ich um Gottes willen, der Herr wolle gerad herausgehen und mir die Wahrheit nicht verschweigen!« Der redliche Alte antwortete ihm hierauf kurz und sagte: »Nun wohlan, so sehe sich dann der Herr wohl vor, damit er nicht in dieser Stunde noch aufgehängt werde.« – »Was? du alter Schelm!« sagte der Leutenant, der eben einen rechten Hundssoff hatte, »solltest du einem Kavalier solche Worte vorhalten dürfen?« zog damit von Leder und stach meinen lieben alten Herzbruder im Bette zu Tode. Ich und der Furierschütze riefen alsbald Lärmen und Mordio, also daß alles dem Gewehr zulief; der Leutenant aber machte sich unverweilet auf seinen Schnellfuß, wäre auch ohn Zweifel entritten und davonkommen, wann nicht eben persönlich der Kurfürst zu Sachsen mit vielen Pferden vorbeigeritten wäre und ihn hätte einholen lassen. Als derselbe den Handel vernahm, wendte er sich zu dem von Hatzfeld als unserm General und sagte nichts anders als dieses: »Das wäre eine schlechte Disziplin in einem kaiserlichen Läger, wann auch ein Kranker im Bette vor den Mördern seines Lebens nicht sicher sein sollte!« Das war ein scharfer Sentenz und gnugsam, den Leutenant um das Leben zu bringen; gestalt ihn unser General alsobald an seinen allerbesten Hals aufhängen und also in der Luft verarrestieren ließe.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 147-149.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch: Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch