Das fünfundzwanzigste Kapitel.

[149] Simplex wird in eine Jungfer verwandelt,

Saget, was seine Buhlschaften gehandelt.


Aus dieser wahrhaftigen Histori ist zu ersehen, daß nicht sogleich alle Wahrsagungen zu verwerfen sein, wie etliche Gecken tun, die gar nichts glauben können. So kann man auch hieraus abnehmen, daß der Mensch sein aufgesetztes Ziel schwerlich überschreiten mag, wanngleich ihm sein Unglück lang oder kurz zuvor durch dergleichen Weissagungen angedeutet worden. Auf die Frage, die sich ereignen möchte, ob einem Menschen nötig,[149] nützlich und gut sei, daß er sich wahrsagen und die Nativität stellen lasse, antworte ich allein dieses, daß mir der alte Herzbruder so viel gesagt habe, daß ich oft gewünschet und noch wünsche, daß er geschwiegen hätte; dann die unglücklichen Fälle, die er mir angezeiget, habe ich niemals umgehen können, und diejenigen, die mir noch bevorstehen, machen mir nur vergeblich graue Haare, weil mir besorglich dieselbige auch wie die vorige zuhanden gehen werden, ich sehe mich gleich für denselben vor oder nicht. Was aber die Glücksfälle anbelanget, von denen einem geweissaget wird, davon halte ich, daß sie öfter betrügen oder aufs wenigste den Menschen nicht so wohl gedeihen als die unglückselige Prophezeiungen. Was half mich, daß mir der alte Herzbruder hoch und teuer schwur, ich wäre von edlen Eltern geboren und erzogen worden, da ich doch von niemand anderst wußte als von meinem Knän und meiner Meuder, die grobe Bauersleute im Spessert waren? Item, was halfs dem von Wallenstein, Herzog in Friedland, daß ihm prophezeiht ward, er werde gleichsam mit Saitenspiel zum König gekrönet werden? weiß man nicht, wie er zu Eger eingewieget worden? Mögen derowegen andere ihre Köpfe über dieser Frage zerbrechen; ich komme wieder auf meine Histori.

Als ich erzähltermaßen meine beide Herzbrüder verloren hatte, verleidete mir das ganze Läger vor Magdeburg, welches ich ohndas nur eine leinerne und ströherne Stadt mit irdenen Mauren zu nennen pflegte. Ich ward meines Narrenkleides und Standes so müd und satt, als wann ichs mit lauter eisernen Kochlöffeln gefressen hätte; einmal ich gedachte, mich nicht mehr von jedermann so foppen zu lassen, sondern meines Narrnkleides los zu werden, Gott gebe, was der alte Herzbruder gesaget hatte, und sollte ich gleich Leib und Leben darüber verlieren. Das setzte ich folgendergestalt sehr liederlich ins Werk, weil mir sonst keine bessere Gelegenheit anstehen wollte.

Olivier, der Secretarius, welcher nach des alten Herzbruders Tod mein Hofmeister worden war, erlaubte mir oft mit den Knechten auf Furage zu reiten. Als wir nun einsmals in ein groß Dorf kamen, darin etliche den Reutern zuständige Bagage logierte, und jeder hin und wieder in die Häuser gieng, zu suchen, was etwan mitzunehmen wäre, stahl ich mich auch hinweg und suchte, ob ich nicht ein altes Baurenkleid finden möchte, um welches ich meine Narrnkappe vertauschen könnte. Aber ich fand nicht, was ich wollte, sondern mußte mit einem Weiberkleid vorliebnehmen. Ich zog selbiges an, weil ich mich allein sahe, und warf das meinige in ein Sekret, mir nicht anders einbildende,[150] als daß ich nunmehr aus allen meinen Nöten errettet worden. In diesem Aufzug gieng ich über die Gasse gegen etlichen Offiziersweibern und machte so enge Schrittlein, als etwan Achilles getan, da ihn seine Mutter dem Lycomedi rekommandierte. Ich war aber kaum außer Dach hervorkommen, da mich etliche Furagierer sahen und besser springen lerneten. Dann als sie schrieen: »Halt! halt!« lief ich nur desto stärker, als wann mich höllisch Feur brennete, und kam ehender als sie zu obgemeldten Offiziererinnen; vor denselben fiel ich auf die Knie nieder und bat um aller Weiber Ehre und Tugend willen, sie wollten meine Jungferschaft vor diesen geilen Buben beschützen, allda meine Bitte nicht allein stattfand, sondern ich ward auch von einer Rittmeisterin vor eine Magd angenommen, bei welcher ich mich beholfen, bis Magdeburg, item die Werberschanze, auch Havelberg und Perleberg von den Unsern eingenommen worden.

Diese Rittmeisterin war kein Kind mehr, wiewohl sie noch jung war, und vernarrete sich dermaßen in meinen glatten Spiegel und geraden Leib, daß sie mir endlich nach langgehabter Mühe und vergeblicher umschwaifender Weitläufigkeit nur allzu teutsch zu verstehen gab, wo sie der Schuh am meisten drucke. Ich aber war damals noch viel zu gewissenhaft, tät, als wann ichs nicht merkte, und ließ keine andere Anzeigungen scheinen als solche, daraus man nichts anders als eine fromme Jungfer urteilen möchte. Der Rittmeister und sein Knecht lagen in gleichem Spital krank; derowegen befahl er seinem Weib, sie sollte mich besser kleiden lassen, damit sie sich meines garstigen Baurenküttels nicht schämen dörfte. Sie tät mehr, als ihr befohlen war, und butzte mich heraus wie eine französische Poppe, welches das Feur bei allen dreien noch mehr schürete; ja es ward endlich bei ihnen so groß, daß Herr und Knecht eiferigst von mir begehrten, was ich ihnen nicht leisten konnte und der Frau selbst mit einer schönen Manier verwaigerte. Zuletzt satzte ihm der Rittmeister vor, eine Gelegenheit zu ergreifen, bei deren er mit Gewalt von mir haben könnte, was ihm doch zu bekommen unmüglich war. Solches merkete sein Weib, und weil sie mich noch endlich zu überwinden verhoffte, verlegte sie ihm alle Pässe und lief ihm alle Ränke ab, also daß er vermeinte, er müsse toll und töricht darüber werden. Keines von ihnen dreien taurete mich mehr als unser Knecht, der arme Schöps, weil Herr und Frau einander selbst ihre geile Brunst löschen konnten, dieser Tropf aber nichts dergleichen hatte. Einsmals, als Herr und Frau schlafen war, stund der Knecht vor dem Wagen, in welchem ich alle Nacht schlafen mußte, klagte mir seine Liebe[151] mit heißen Tränen und bat ebenso andächtig um Gnade und Barmherzigkeit. Ich aber erzeigte mich härter als ein Stein und gab ihm zu verstehen, daß ich meine Keuschheit bis in Ehestand bewahren wollte. Da er mir nun die Ehe wohl tausendmal anbot und doch nichts anders dargegen vernahm, als daß ich ihn versicherte, daß es unmüglich sei, mich mit ihm zu verehlichen, verzweifelte er endlich gar oder stellete sich doch aufs wenigste nur so; dann er zog seinen Degen aus, satzte die Spitze an die Brust und den Knopf an Wagen und tät nicht anderst, als wann er sich jetzt erstechen wollte. Ich gedachte: »Der Teufel ist ein Schelm«, sprach ihm derowegen zu und gab ihm Vertröstung, am Morgen früh einen endlichen Bescheid zu erteilen. Davon war er kontent und gieng schlafen, ich aber wachte desto länger, dieweil ich meinen seltsamen Stand betrachtete. Ich befand wohl, daß meine Sache in die Länge kein gut tun würde, dann die Rittmeisterin ward je länger je importuner mit ihren Reizungen, der Rittmeister verwegener mit seinen Zumutungen und der Knecht verzweifelter in seiner beständigen Liebe; ich wußte mir aber darum nicht aus solchem Labyrinth zu helfen. Ich mußte oft meiner Frau bei hellem Tage Flöhe fangen nur darum, damit ich ihre alabasterweiße Brüste sehen und ihren zarten Leib genug betasten sollte, welches mir, weil ich auch Fleisch und Blut hatte, in die Läng zu ertragen schwer fallen wollte. Ließ mich dann die Frau zufrieden, so quälete mich der Rittmeister, und wann ich vor diesen beiden bei Nacht Ruhe haben sollte, so peinigte mich der Knecht, also daß mich das Weiberkleid viel saurer zu tragen ankam als meine Narrnkappe. Damal (aber viel zu spat) gedachte ich fleißig an meines sel. Herzbruders Weissag- und Warnung und bildete mir nichts anders ein, als daß ich schon würklich in derjenigen Gefängnüs, auch Leib- und Lebensgefahr stecke, davon er mir gesaget hatte; dann das Weiberkleid hielt mich gefangen, weil ich darin nicht ausreißen konnte, und der Rittmeister würde übel mit mir gespielet haben, wann er mich erkannt und einmal bei seiner schönen Frau über dem Flöhfangen ertappt hätte. Was sollte ich tun? Ich beschloß endlich, dieselbe Nacht mich dem Knecht zu offenbaren, sobald es Tag würde; dann ich gedachte: »Seine Liebsregungen werden sich alsdann legen, und wann du ihm von deinen Dukaten spendierest, so wird er dir wieder zu einem Mannskleid und also in demselben aus allen deinen Nöten helfen.« Es wäre wohl ausgesonnen gewesen, wann nur das Glück gewollt hätte; aber es war mir zuwider.

Mein Hans ließ ihm gleich nach Mitternacht tagen, das[152] Jawort zu holen, und fieng an, am Wagen zu rappeln, als ich eben anfieng, am allerstärksten zu schlafen, weil ich die ganze Nacht gewachet und meinen Sachen nachgedacht hatte. Er rief etwas zu laut: »Sabina! Sabina! Ach mein Schatz! stehet auf und haltet mir Euer Versprechen!«, also daß er den Rittmeister eher als mich damit erweckte, weil er sein Zelt am Wagen stehen hatte. Diesem ward ohn Zweifel grün und gelb vor den Augen, weil ihn die Eifersucht ohndas zuvor eingenommen; doch kam er nicht heraus, unser Tun zu zerstören, sondern stund nur auf, zu sehen, wie der Handel ablaufen wollte. Zuletzt weckte mich der Knecht mit seiner Importunität und nötigte mich, entweder aus dem Wagen zu ihm zu kommen oder ihn zu mir einzulassen; ich aber schalt ihn aus und fragte, ob er mich dann vor eine Hure ansehe; meine gestrige Zusage sei auf den Ehestand gegründet, außer dessen er meiner nicht teilhaftig werden könnte. Er antwortete, so sollte ich je dannoch auf stehen, weil es anfieng zu tagen, damit ich dem Gesind das Essen beizeiten verfertigen könnte; er wollte Holz und Wasser holen und mir das Feuer zugleich anmachen. Ich antwortete: »Wann du das tun willt, so kann ich desto länger schlafen; gehe nur hin, ich will bald folgen.« Weil aber der Narr nicht ablassen wollte, stund ich auf, mehr meine Arbeit zu verrichten, als ihm viel zu hofieren, sintemal, wie mich deuchte, ihn die gesterige verzweifelte Torheit wieder verlassen hatte. Ich konnte sonst ziemlich wohl vor eine Magd im Feld passieren, dann kochen, backen und wäschen hatte ich bei den Kroaten gelernet; so pflegen die Soldatenweiber ohndas im Feld nicht zu spinnen. Was ich aber sonst vor Frauenzimmerarbeit nicht konnte, als wann ich etwan die Frau bürsten (strählen) und Zöpfe machen (flechten) sollte, das übersahe mir meine Rittmeisterin gern, dann sie wußte wohl, daß ichs nicht gelernet.

Wie ich nun mit meinen hinter sich gestreiften Ärmeln vom Wagen herabstieg, ward mein veramorierter und mit Liebesschröten geschoßner Hans durch meine weiße Arme so heftig inflammiert, daß er ihm nicht abbrechen konnte, mich zu küssen; und weil ich mich nicht sonderlich wehrete, vermochte es der Rittmeister, vor dessen Augen es geschahe, nicht zu erdulten, sondern sprang mit bloßem Degen aus dem Zelt, meinem armen Liebhaber einen Fang zu geben; aber er gieng durch und vergaß das Wiederkommen. Der Rittmeister aber sagte zu mir: »Du Bluthure! ich will dich lernen etc.« Mehrers konnte er vor Zorn nicht sagen, sondern schlug auf mich zu, als wann er unsinnig gewesen wäre. Ich fienge an zu schreien; darum mußte er aufhören,[153] damit er keinen Alarm erregte; dann die beide Armeen, die sächsische und kaiserliche, lagen damals gegeneinander, weil sich die schwedische unter dem Banier näherte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 149-154.
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