Das dritte Kapitel.

[89] Simplex des Page sein Lehrgeld erzählt,

Er selbst wird zu einem Narren erwählt.


Als mein Herr aufgestanden, schickte er seinen Leibschützen hin, mich aus dem Gänsstall zu holen; der brachte Zeitung, daß er die Tür offen und ein Loch hinter dem Riegel mit einem Messer geschnitten gefunden, vermittelst dessen der Gefangene sich selbst erledigt hätte. Eh aber solche Nachricht einkam, verstund mein Herr von andern, daß ich vorlängst in der Küche gewesen. Indessen mußten die Diener hin und wieder laufen, die gestrige Gäste zum Frühestück einzuholen, unter welchen der Pfarrer auch war, welcher zeitlicher als andere erscheinen mußte, weil mein Herr meinetwegen mit ihm reden wollte, eh man zur Tafel saße. Er fragte ihn erstlich, ob er mich vor witzig oder närrisch hielte, oder ob ich so einfältig oder so boshaftig sei, und erzählete ihm damit alles, wie unehrbarlich ich mich den vorigen Tag und Abend sowohl vor der Tafel als bei dem Tanz gehalten, welches teils von seinen Gästen übel empfunden und aufgenommen werde, als wäre es ihnen zum Despekt mit Fleiß so angestellet worden; item, daß er mich hätte in einen Gänsstall versperren lassen, sich vor dergleichen Spott, so ich ihm noch hätte zufügen[89] können, zu versichern, aus welchem ich aber gebrochen und nun in der Küchen umgehe wie ein Junker, der ihm nicht mehr aufwarten dörfe; sein Lebtag sei ihm kein solcher Posse widerfahren, als ich ihm in Gegenwart so vieler ehrlichen Leute gerissen, er wisse nichts anders mit mir anzufangen, als daß er mich lasse abprügeln, und weil ich mich so dumm anließe, wieder vor den Teufel hinjage.

Inzwischen, als mein Herr so über mich klagte, sammleten sich die Gäste nach und nach. Da er aber ausgeredet hatte, antwortete der Pfarrer, wann ihm der Herr Gouverneur eine kleine Zeit mit ein wenig Gedult zuzuhören beliebte, so wollte er von Simplicio der Sachen halber eins und anders Lustiges erzählen, daß man nichts Artlichers erdenken könnte, daraus nicht allein seine Unschuld zu vernehmen sein, sondern auch denen, so sich seines Verhaltens halber disgustieret befinden wollten, alle ungleiche Gedanken benommen würden. Dies wurde beliebt, doch daß es über Tisch geschehe, damit die ganze Compagnia auch part darvon hätte.

Als man dergestalt oben in der Stube von mir redete, akkordierte der tolle Fähnrich, den ich an meine Stelle selbander eingesperrt hatte, unten mit mir in der Küchen und brachte mich durch Drohworte und einen Taler, den er mir zusteckte, dahin, daß ich ihm versprach, von seinen Händeln reinen Mund zu halten.

Die Tafeln wurden gedeckt und wie den vorigen Tag mit Speisen und Leuten besetzt. Wermut-, Salbei-, Alant-, Quitten- und Zitronenwein mußte neben dem Hippokras den Säufern ihre Köpfe und Mägen wieder begütigen; dann sie waren schier alle des Teufels Märtyrer. Ihr erstes Gespräch war von ihnen selbsten, nämlich wie sie gestern einander so brav vollgesoffen hätten, und war doch keiner unter ihnen, der gründlich gestehen wollte, daß er voll gewesen, wiewohl den Abend zuvor teils bei Teufelholen geschworen, sie könnten nicht mehr saufen, auch »Wein, mein Herr!« geschrieen und [wieder] geschrieen hatten. Etliche zwar sagten, sie hätten gute Räusche gehabt, andere aber bekannten, daß sich keiner mehr vollsöffe, sint die Räusche aufkommen. Als sie aber von ihren eigenen Torheiten beides zu reden und zu hören müde waren, mußte sich der arme Simplicius leiden; der Gouverneur selbst erinnerte den Pfarrer, die lustige Sachen zu eröffnen, wie er versprochen hätte.

Dieser bat zuvörderst, man wollte ihm nichts vor ungut halten, dafern er etwan Wörter reden müßte, die seiner geistlichen Person übel anständig zu sein vermerkt würden, fieng darauf an,[90] zu erzählen, erstlich aus was natürlichen Ursachen mich die Leibsdünste zu plagen pflegten, was ich durch solche dem Secretario vor eine Unlust in die Kanzlei angerichtet, was ich neben dem Wahrsagen vor eine Kunst darwider gelernet und wie schlimm solche in der Prob bestanden; item, wie seltsam mir das Tanzen vorkommen, weil ich dergleichen niemalen gesehen; was ich vor Bericht deshalber von meinem Kameraden eingenommen, welcher Ursachen halber ich dann die vornehme Dame ergriffen und darüber in Gänsstall kommen. Solches aber brachte er mit einer wohlanständigen Art zu reden vor, daß sie sich trefflich zerlachen mußten, entschuldigte dabei meine Einfalt und Unwissenheit so bescheidentlich, daß ich wieder in meines Herrn Gnade kam und der Tafel aufwarten dorfte, aber von dem, was mir im Gänsstall begegnet und wie ich wieder daraus erlöset worden, wollte er nichts sagen, weil ihn bedünkte, es hätten sich an seiner Person etliche saturnische Holzböcke geärgert, die da vermeinten, Geistliche sollten nur immer saur sehen. Hingegen fragte mich mein Herr, seinen Gästen einen Spaß zu machen, was ich meinem Kamerad geben hätte, daß er mich so saubere Künste gelehret, und als ich antwortete: »Nichts!« sagte er: »So will ich ihm das Lehrgeld vor dich bezahlen«, wie er ihn dann hierauf in eine Futterwanne spannen und allerdings karbaitschen ließ, wie man mirs den vorigen Tag gemacht, als ich die Kunst probiert und falsch befunden hatte.

Mein Herr hatte nunmehr genug Nachricht von meiner Einfalt, wollte mich derowegen stimmen, ihm und seinen Gästen mehr Lust zu machen; er sahe wohl, daß die Musikanten nichts galten, solang man mich unterhanden haben würde; dann ich bedünkte mit meinen närrischen Einfällen jedermann über 17 Lauten zu sein. Er fragte, warum ich die Tür an dem Gänsstall zerschnitten und Reißaus gespielet hätte. Ich antwortete: »Das mag jemand anders getan haben.« Er fragte: »Wer dann?« Ich sagte: »Vielleicht der, so zu mir kommen.« – »Wer ist dann zu dir kommen?« Ich antwortete: »Das darf ich niemand sagen.« Mein Herr war ein geschwinder Kopf und sahe wohl, wie man mir lausen mußte; derowegen übereilte er mich und fragte, wer mir solches dann verbotten hätte? Ich antwortete gleich: »Der tolle Fähnrich!« Demnach ich aber an jedermanns Gelächter merkete, daß ich mich gewaltig verhauen haben müßte, der tolle Fähnrich, so mit am Tisch saß, auch so rot ward wie eine glühende Kohle, als wollte ich nichts mehr schwätzen, es würde mir dann von demselben erlaubt. Es war aber nur um einen Wünk zu tun, den mein Herr dem tollen Fähnrich anstatt[91] eines Befehls gab, da dorft ich reden, was ich wußte. Darauf fragte mich mein Herr, was der tolle Fähnrich bei mir im Gänsstall zu tun gehabt? Ich antwortete: »Er brachte eine Jungfer zu mir hinein.« – »Was tät er aber weiter?« sagte mein Herr; ich antwortete: »Mich deuchte, er wollte im Stall sein Wasser abgeschlagen haben.« Mein Herr fragte: »Was tät die Jungfer dabei? schämte sie sich nicht?« – »Jawohl nein Herr!« sagte ich, »sie hub den Rock auf und wollte darzu (mein hochgeehrter zucht-, ehr- und tugendliebender Leser verzeihe meiner unhöflichen Feder, daß sie alles so grob schreibet, als ich damals vorbrachte) scheißen.« Hierüber erhub sich bei allen Anwesenden ein solch Gelächter, daß mich mein Herr nicht mehr hören, geschweige etwas weiters fragen konnte; und zwar war es auch nicht weiters vonnöten, man hätte dann die ehrliche fromme Jungfer (scil.) auch in Spott bringen wollen.

Hierauf erzählte der Hofmeister vor der Tafel, daß ich neulich vom Bollwerk oder Wall heimkommen und gesagt, ich wüßte, wo der Donner und Blitz herkäme; ich hätte große Blöcher auf halben Wägen gesehen, die inwendig hohl gewesen; in dieselbe hätte man Zwiebelsamen samt einer eisernen weißen Rüben, deren der Schwanz abgeschnitten, gestopft, hernach die Blöcher hintenher ein wenig mit einem zinkigten Spieß gekützelt, davon wäre vornheraus Dampf, Donner und höllisch Feur geschlagen. Sie brachten noch mehr dergleichen Possen auf die Bahne, also daß man schier denselben ganzen Imbiß von sonst nichts als nur von mir zu reden und zu lachen hatte. Solches verursachte einen allgemeinen Schluß zu meinem Untergang, welcher war, daß man mich tapfer agieren sollte, so würde ich mit der Zeit einen raren Tischrat abgeben, mit dem man auch den größten Potentaten von der Welt verehren und die Sterbende zu lachen machen könnte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 89-92.
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