Das fünfte Kapitel.

[94] Simplicem führen viel Teufel zur Höll,

Spanschen Wein trinkt er in selbiger Stell.


Als der Commissarius wieder hinweg, ließ vielgemeldter Pfarrer mich heimlich zu sich in sein Losament kommen und sagte: »O Simplici, deine Jugend dauret mich, und deine künftige Unglückseligkeit bewegt mich zum Mitleiden. Höre, mein Kind, und wisse gewiß, daß dein Herr dich aller Vernunft zu berauben und zum Narren zu machen entschlossen, maßen er zu solchem Ende bereits ein Kleid vor dich verfertigen lässet. Morgen mußt du in diejenige Schule, darin du deine Vernunft verlernen sollt; in derselben wird man dich ohn Zweifel so greulich drillen, daß du, wann anders Gott und natürliche Mittel solches nicht verhindern, ohn Zweifel zu einem Phantasten werden mußt. Weil aber solches ein mißlich und sorglich Handwerk ist, als habe ich um deines Einsiedlers Frömmigkeit und um deiner eignen Unschuld willen aus getreuer christlicher Liebe dir mit Rat und notwendigen guten Mitteln beispringen und gegenwärtige Arznei zustellen wollen. Darum folge nun meiner Lehre und nimm dieses Pulver ein, welches dir das Hirn und Gedächtnüs dermaßen stärken wird, daß du unverletzt deines Verstandes alles leicht überwinden magst. Auch hast du hierbei einen Balsam; damit[94] schmiere die Schläfe, den Würbel und das Genick samt den Naslöchern; und diese beide Stücke brauch auf den Abend, wann du schlafen gehest, sintemal du keine Stunde sicher sein wirst, daß du nicht aus dem Bette abgeholet werdest. Aber siehe zu und hüte dich ja fleißig, daß niemand dieser meiner Warnung und mitgeteilten Arznei gewahr werde, es möchte sonst dir und mir übel ausschlagen. Und wann man dich in dieser verfluchten Kur haben wird, so achte und glaube nicht alles, was man dich überreden will, und stelle dich doch, als wann du alles glaubtest. Rede wenig, damit deine Zugeordnete nicht an dir merken, daß sie lär Stroh dröschen, sonsten werden sich deine Plagen verlängern, wiewohl ich nicht wissen kann, auf was Weise sie mit dir umgehen werden. Wann du aber den Strauß und das Narrenkleid anhaben wirst, so komm wieder zu mir, damit ich deiner mit fernerm Rat pflegen möge. Indessen will ich Gott vor dich bitten, daß er deinen Verstand und Gesundheit erhalten wolle.« Hierauf stellete er mir gemeldtes Pulver und Sälblein zu, und [ich] wanderte damit wieder nach Haus.

Wie der Pfarrer gesagt hatte, also gieng es. Im ersten Schlaf kamen vier Kerl in schröcklichen Teufelslarven vermummt zu mir ins Zimmer vors Bette; die sprungen herum wie Gaukler und Fastnachtsnarren; einer hatte einen glühenden Haken, und der ander eine Fackel in Händen; die andere zween aber wischten über mich her, zogen mich aus dem Bette, tanzten eine Weile mit mir hin und her und zwangen mir meine Kleider an Leib. Ich aber stellete mich, als wann ich sie vor rechte natürliche Teufel gehalten hätte, verführte ein jämmerliches Zettergeschrei und ließ die allerforchtsamsten Gebärden erscheinen; aber sie verkündigten mir, daß ich mit ihnen fortmüßte. Hierauf verbanden sie mir den Kopf mit einer Handzwell, daß ich weder hören, sehen noch schreien konnte. Sie führten mich armen Tropfen, der ich wie ein Espenlaub zitterte, unterschiedliche Umwege, viel Stegen auf und ab und endlich in einen Keller, darin ein großes Feur brannte, und nachdem sie mir die Handzwell wieder abgebunden, fiengen sie an, mir in spanischen Wein und Malvasier zuzutrinken. Sie hatten mich gut überreden, ich wäre gestorben und nunmehr im Abgrund der Höllen, weil ich mich mit Fleiß also stellete, als wann ich alles glaubte, was sie vorlogen. »Sauf nur tapfer zu,« sagten sie, »weil du doch ewig bei uns bleiben mußt. Willst du aber nicht ein gut Gesell sein und mitmachen, so mußt du in gegenwärtiges Feur!« Die arme Teufel wollten ihre Sprache und Stimme verquanten, damit ich sie nicht kennen sollte; ich merkte aber gleich, daß es meines Herrn Furierschützen waren;[95] doch ließ ichs mich nicht mer ken, sondern lachte in die Faust, daß diese, so mich zum Narrn machen sollten, meine Narren sein mußten. Ich trank meinen Teil mit vom spanischen Wein, sie aber soffen mehr als ich, weil solcher himmlischer Nektar selten an solche Gesellen kommt, maßen ich noch schwören dörfte, daß sie eher voll worden als ich. Da michs aber Zeit zu sein bedünkte, stellete ich mich mit Hin- und Hertorkeln, wie ichs neulich an meines Herrn Gästen gesehen hatte, und wollte endlich gar nicht mehr saufen, sondern schlafen; hingegen jagten und stießen sie mich mit ihrem Haken, den sie allzeit im Feur liegen hatten, in allen Ecken des Kellers herum, daß es sahe, als ob sie selbst närrisch wären worden, entweder daß ich mehr trinken oder aufs wenigste nicht schlafen sollte. Und wann ich in solcher Hatze niederfiel, wie ich dann oft mit Fleiß tät, so packten sie mich wieder auf und stelleten sich, als wann sie mich ins Feur werfen wollten. Also gieng mirs wie einem Falken, dem man wacht, welches mein großes Kreuz war. Ich hätte sie zwar Trunkenheit und Schlafs halber wohl ausgedauret, aber sie verblieben nicht allweg beieinander, sondern lösten sich untereinander ab; darum hätte ich zuletzt den Kürzern ziehen müssen. Drei Täge und zwo Nächte habe ich in diesem raucherichten Keller zubracht, welcher kein ander Liecht hatte, als was das Feur von sich gab; der Kopf fieng mir dahero an zu brausen und zu wüten, als ob er zerreißen wollte, daß ich endlich einen Fund ersinnen mußte, mich meiner Qual samt den Peinigern zu entledigen; ich machte es wie der Fuchs, welcher den Hunden ins Gesicht harnt, wann er ihnen nicht mehr zu entrinnen getrauet; dann weil mich eben die Natur trieb, meine Notdurft (s.v.) zu tun, bewegte ich mich zugleich mit einem Finger im Hals zum Unwillen dergestalt, daß ich uf einmal die Hosen (mit Gunst) vollhofierte und das Wammes vollkotzete, auch dergestalt mit einem unleidlichen Gestank die Zeche bezahlte, also daß auch meine Teufel selbst schier nicht mehr bei mir bleiben konnten. Damals legten sie mich in ein Leilach und zerplotzten mich so unbarmherzig, daß mir alle innerliche Glieder samt der Seele heraus hätten fahren mögen, wovon ich dermaßen aus mir selber kam und des Gebrauchs meiner Sinnen beraubt ward, daß ich gleichsam wie tot dalag; ich weiß auch nicht, was sie ferners mit mir gemacht haben, so gar war ich allerdings dahin.[96]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 94-97.
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