Das siebente Kapitel.

[99] Simplex in seinen recht kälbrischen Stand

Schickt sich aufs beste, wird trefflich bekannt.


Vermittelst des Lochs, so der tolle Fähnrich hiebevor in die Tür geschnitten, hätte ich mich wohl erledigen können; weil ich aber ein Narr sein sollte, ließ ichs bleiben und tät nicht allein wie ein Narr, der nicht so witzig ist, von sich selbst herauszugehen, sondern stellte mich gar wie ein hungrig Kalb, das sich nach seiner Mutter sehnet. Mein Geplärr ward auch bald von denjenigen gehöret, die darzu bestellet waren, maßen zween Soldaten vor den Gänsstall kamen und fragten, wer darin wäre. Ich antwortete: »Ihr Narren, hört ihr dann nicht, daß ein Kalb da ist?« Sie machten den Stall auf, nahmen mich heraus und verwunderten sich, daß ein Kalb sollte reden können, welches ihnen anstund, wie die gezwungene Aktionen eines neugeworbenen ungeschickten Komödianten, der die Person, die er vertretten soll, nicht wohl agieren kann, also daß ich oft meinete, ich müßte ihnen selbst zum Possen helfen. Sie beratschlagten sich, was sie mit mir machen wollten, und wurden eins, mich dem Gubernator zu verehren, als welcher ihnen, weil ich reden könnte, mehr schenken würde, als ihnen der Metzger vor mich bezahlte. Sie fragten mich, wie mein Handel stünde. Ich antwortete: »Liederlich genug!« Sie fragten: »Warum?« Ich sagte: »Darum, dieweil hier der Brauch ist, redliche Kälber in Gänsstall zu sperren. Ihr Kerl müßt wissen, dafern man will, daß ein rechtschaffener Ochs aus mir werden soll, daß man mich auch aufziehen muß, wie einem ehrlichen Stier zustehet.« Nach solchem kurzen Diskurs führeten sie mich über die Gaß gegen des Gouverneurs Quartier zu; uns folgte eine große Schar Buben nach, und weil dieselbe ebensowohl als ich das Kälbergeschrei schrieen, hätte ein Blinder aus dem Gehör urteilen mögen, man triebe eine Herde Kälber daher; aber dem Gesicht nach sahe es einem Haufen so junger als alter Narren gleich.

Also ward ich von den beiden Soldaten dem Gouverneur präsentiert, gleichsam als ob sie mich erst auf Partei erbeutet hätten. Dieselbe beschenkte er mit einem Trinkgelt, mir selbst[99] aber versprach er die beste Sach, so ich bei ihm haben sollte. Ich gedacht wie des Goldschmieds Jung und sagte: »Wohl Herr, man muß mich aber in keinen Gänsstall sperren; dann wir Kälber können solches nicht erdulden, wann wir anders wachsen und zu einem Stück Hauptviehe werden sollen.« Der Gouverneur vertröstete mich eines Bessern und dünkte sich gar gescheid sein, daß er einen solchen visierlichen Narrn aus mir gemachet hätte; hin gegen gedachte ich: »Harre, mein lieber Herr, ich habe die Probe des Feuers überstanden und bin darin gehärtet worden; jetzt wollen wir probieren, welcher den andern am besten agieren wird können.« Indem trieb ein geflehnter Baur sein Vieh zur Tränke; sobald ich das sahe, verließ ich den Gouverneur und eilete mit einem Kälbergeplärr den Kühen zu, gleichsam als ob ich an ihnen saugen wollte. Diese, als ich zu ihnen kam, entsatzten sich ärger vor mir als vor einem Wolf, wiewohl ich ihrer Art Haar trug; ja sie wurden so schellig und zerstoben dermaßen voneinander, als wann im Augusto ein Nest voll Hornüssen unter sie gelassen wäre worden, also daß sie ihr Herr an selbigem Ort nicht mehr zusammenbringen konnte, welches einen artlichen Spaß abgab. In einem Hui war ein Haufen Volk beieinander, das der Gaukelfuhr zusahe; und als mein Herr lachte, daß er hätte zerbersten mögen, sagte er endlich: »Ein Narr macht ihrer hundert.« Ich aber gedachte: »Zupf dich selber bei der Nase: dann eben du bist derjenige, dem du jetzt wahrsagest.«

Gleichwie mich nun jedermann von selbiger Zeit an das Kalb nannte, also nannte ich hingegen auch einen jeden mit einem besondern spöttischen Nachnamen; dieselbe fielen mehrenteils der Leute und sonderlich meines Herrn Bedünken nach gar sinnreich; dann ich taufte jedwedern, nachdem seine Qualitäten erfoderten. Summariter davon zu reden, so schätzte mich männiglich vor einen ohnweisen Toren, und ich hielte jeglichen vor einen gescheiden Narren. Dieser Gebrauch ist meines Erachtens in der Welt noch üblich, maßen ein jeder mit seinem Witz zufrieden und sich einbildet, er sei der Gescheideste unter allen, da es doch redlich heißt: Stultorum plena sunt omnia.

Obige Kurzweile, die ich mit des Bauren Rindern anstellete, machte uns den kurzen Vormittag noch kürzer; dann es war damals eben um die winterliche Sonnenwende. Bei der Mittagsmahlzeit wartete ich auf wie zuvor, brachte aber benebenst seltsame Sachen auf die Bahne; und als ich essen sollte, konnte niemand einzige menschliche Speise oder Trank in mich bringen: ich wollte kurzum nur Gras haben, so damals zu bekommen unmüglich[100] war. Mein Herr ließ ein paar frische Kalbfell von den Metzgern holen und solche zweien kleinen Knaben über die Köpfe straifen. Diese satzte er zu mir an den Tisch, traktierte uns in der ersten Tracht mit Wintersalat und hieß uns wacker zuhauen; auch ließ er ein lebendig Kalb hinbringen und mit Salz zum Salat anfrischen. Ich sahe so starr darein, als wann ich mich darüber verwunderte, aber der Umstand vermahnete mich, mitzumachen. »Jawohl,« sagten sie, wie sie mich so kaltsinnig sahen, »es ist nichts Neues, wann Kälber Fleisch, Fische, Käse, Butter und anders fressen. Was? sie saufen auch zuzeiten einen guten Rausch! Die Bestien wissen nunmehr wohl, was gut ist.« – »Ja,« sagten sie ferner, »es ist heutigentags so weit kommen, daß sich nunmehr ein geringer Unterscheid zwischen ihnen und den Menschen befindet; wolltest du dann allein nicht mitmachen?«

Dieses ließe mich um so viel desto ehender überreden, weil mich hungerte, und nicht darum, daß ich hiebevor schon selbst gesehen, wie teils Menschen säuischer als Schweine, grimmiger als Löwen, geiler als Böcke, neidiger als Hunde, unbändiger als Pferde, gröber als Esel, versoffener als Rinder, listiger als Füchse, gefräßiger als Wölfe, närrischer als Affen und giftiger als Schlangen und Krotten waren, welche dannoch allesamt menschlicher Nahrung genossen und nur durch die Gestalt von den Tieren unterschieden waren, zumalen auch die Unschuld eines Kalbs bei weitem nicht hatten. Ich fütterte mit meinen Mitkälbern, wie solches mein Appetit erfoderte, und wann ein Frembder uns unversehns also beieinander zu Tisch hätte sitzen sehen, so hätte er sich ohn Zweifel eingebildet, die alte Circe wäre wieder auferstanden, aus Menschen Tiere zu machen, welche Kunst damals mein Herr konnte und praktizierte. Eben auf den Schlag, wie ich die Mittagsmahlzeit vollbrachte, also ward ich auch auf den Nachtimbiß traktieret. Und gleichwie meine Mitesser oder Schmarotzer mit mir zehrten, damit ich auch zehren sollte, also mußten sie auch mit mir zu Bette, wann mein Herr anders nicht zugeben wollte, daß ich im Kühestall über Nacht schliefe; und das tät ich darum, damit ich diejenige auch genug narrete, die mich zum Narren zu haben vermeinten, und machte diesen festen Schluß, daß der grundgütige Gott einem jeden Menschen in seinem Stand, zu welchem er ihn berufen, so viel Witz gebe und verleihe, als er zu seiner Selbsterhaltung vonnöten, auch daß sich dannenhero, Doktor hin oder Doktor her, viel vergeblich einbilden, sie sein allein witzig und Hans in allen Gassen; dann hinter den Bergen wohnen auch Leute.[101]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 99-102.
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