Das erste Kapitel.

[85] Simplex ein Pilger wirb, läßt ihm gefallen,

Mit dem Herzbruder herumberzuwallen.


Nachdem Herzbruder wieder allerdings erstärkt und an seinen Wunden geheilet war, vertrauere er mir, daß er in den höchsten Nöten eine Wallfahrt nach Einsiedlen zu tun gelobt. Weil er dann jetzt ohndas so nahe am Schweizerland wäre, so wollte er solche verrichten, und sollte er auch dahin bettlen! Das war mir sehr angenehm zu hören; derhalben bot ich ihm Geld und meine Gesellschaft an, ja ich wollte gleich zween Klepper kaufen, auf selbigen die Reise zu verrichten, nicht zwar der Ursache, daß mich die Andacht darzu getrieben und angehalten, sondern die Eidgnoßschaft als das einzige Land, darin der liebe Friede noch grünete, zu besehen. So freuete mich auch nicht wenig, daß ich die Gelegenheit hatte, Herzbrudern auf solcher Reise zu dienen, maßen ich ihn fast höher als mich selbst liebte; er aber schlug beides, meine Hülfe und meine Gesellschaft, ab, mit Vorwand, seine Wallfahrt müßte zu Fuß und darzu auf Erbsen geschehen. Sollte ich nun in seiner Gesellschaft sein, so würde ich ihn nicht allein an seiner Andacht verhindern, sondern auch mir selbst wegen seines langsamen mühseligen Gangs große Ungelegenheit aufladen. Das redete er aber, mich von ihm zu schieben, weil er sich ein Gewissen machte, auf einer so heiligen Reise von demjenigen Geld zu zehren, das mit Morden und Rauben erobert worden; überdas wollte er mich auch nicht in allzu große Unkosten bringen und sagte unverhohlen, daß ich bereits mehr bei ihm getan, als weder ich schuldig gewesen und er zu erwidern getraue. Hierüber gerieten wir in ein freundlich Gezänke; das war so lieblich, daß ich dergleichen noch niemals habe hören hadern; dann wir brachten nichts anders vor, als daß jeder sagte, er hätte gegen dem andern noch nicht getan, was ein Freund dem andern tun sollte, ja bei weitem die Guttaten, so er vom andern empfangen, noch nicht wettgemachet. Herzbruders größte Klage über mich war diese, daß er saget, ich überhäufe[85] ihn dergestalt mit Wohltaten, Dienstbezeugungen und Erweisung wahrer Freundschaft, daß er solches nimmermehr verdienen könnte; hingegen warf ich ihm vor, jetzt da ich Gelegenheit hätte, ihme zu dienen und die empfangene Guttaten dankbarlich zu erkennen, ihm auch im Werk zu erweisen, daß ich sein wahrer Freund und Diener wäre, so verwerfe er mich als einen, der zu seinen Diensten unwürdig seie, erinnerte ihn damit seines Vattern sel. letzten Willens, und wasgestalten wir uns vor Magdeburg eidlich zusamm verbunden, von welcher Freundschaft er mich ausschließen und dardurch uns beide gleichsam meineidig machen wollte. Solches alles aber wollte ihn noch nicht bewegen, mich vor einen Reisgefährten zu gedulten, bis ich endlich merkte, daß er beides, an Oliviers Geld und meinem gottlosen Leben, ein Ekel hatte. Derhalben behalf ich mich mit Lügen und überredete ihn, daß mich mein Bekehrungsvorsatz nach Einsiedlen triebe; sollte er mich nun von einem so guten Werk abhalten und ich darüber sterben, so würde ers schwerlich verantworten können. Hierdurch persuadierte ich ihn, daß er zuließ, den heiligen Ort mit ihm zu besuchen, sonderlich weil ich (wiewohl alles erlogen war) eine große Reue über mein böses Leben von mir scheinen ließ, als ich ihn dann auch überredete, daß ich mir selbst zur Buße aufgelegt hätte, sowohl als er auf Erbsen nach Einsiedlen zu gehen.

Dieser Zank war kaum vorbei, da gerieten wir schon in einen andern; dann Herzbruder war gar zu gewissenhaft. Er wollte kaum zugeben, daß ich einen Paß vom Kommandanten nahm, der nach meinem Regiment lautete. »Was?« sagte er, »haben wir nit im Sinn, unser Leben zu bessern und nach Einsiedlen zu gehen? Und nun siehe um Gottes willen, du willst den Anfang mit Betrug machen und den Leuten mit Falschheit die Augen verkleiden! Wer mich vor der Welt verleugnet, den will ich auch vor meinem himmlischen Vatter verleugnen, saget Christus! Was seind wir vor verzagte Maulaffen? Wann alle Martyrer und Bekenner Christi so getan hätten, so wären wenig Heilige im Himmel! Laß uns in Gottes Namen und Schutzempfehlung gehen, wohin uns unser heiliger Vorsatz und Begierden hintreiben, und im übrigen Gott walten, so wirb uns Gott schon hinführen, wo unsere Seelen Ruhe finden.« Als ich ihm aber vorhielt, man müßte Gott nicht versuchen, sondern sich in die Zeit schicken und die Mittel gebrauchen, deren wir nicht entbehren könnten, vornehmlich weil das Wallfahrtengehen bei der Soldateska ein ungewöhnlich Ding sei, und wann wir unser Vorhaben entdeckten, eher vor Ausreißer als Pilger gehalten[86] würden, das uns dann große Ungelegenheit und Unglück bringen könnte, und wir darüber in Leibs- und Lebensgefahr geraten möchten, zumalen auch der heilige Apostel Paulus, dem wir noch bei weitem nicht zu vergleichen, sich wunderlich in die Zeit und Gebräuche dieser Welt geschicket, ließ er endlich zu, daß ich einen Paß bekam, nach meinem Regiment zu gehen. Mit demselben giengen wir bei Beschließung des Tors samt einem getreuen Wegweiser aus der Stadt, als wollten wir nach Rottweil, wandten uns aber kurz durch Nebenwege und kamen noch dieselbige Nacht über die schweizerische Grenze und den folgenden Morgen in ein Dorf, allda wir uns mit schwarzen langen Röcken, Pilgerstäben und Rosenkränzen mondierten und den Boten mit guter Bezahlung wieder zurückschickten.

Das Land kam mir so fremd vor gegen andern teutschen Ländern, als wann ich in Brasilia oder in China gewesen wäre. Da sahe ich die Leut in dem Frieden handeln und wandeln; die Ställe stunden voll Viehe, die Bauernhöfe liefen voll Hühner, Gäns und Enten; die Straßen wurden sicher von den Reisenden gebrauchet, die Wirtshäuser saßen voll Leute, die sich lustig machten. Da war ganz keine Forcht vor dem Feind, keine. Sorge vor der Plünderung und keine Angst, sein Gut, Leib noch Leben zu verlieren: ein jeder lebte sicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum, und zwar, gegen andern teutschen Ländern zu rechnen, in lauter Wollust und Freude, also daß ich dieses Land vor ein irdisch Paradies hielt, wiewohln es von Art rauh genug zu sein schiene. Das machte, daß ich auf dem ganzen Weg nur hin und her gaffte, wann hingegen Herzbruder an seinem Rosenkranz betete; deswegen ich dann auch manchen Filz bekam, dann er wollte haben, ich sollte wie er an einem Stück beten, welches ich aber nicht gewohnen konnte.

Zu Zürch kam er mir recht hinter die Briefe, und dahero sagte er mir die Wahrheit auch am tröcknesten heraus, dann als wir zu Schaffhausen (allwo mir die Füße von den Erbsen sehr weh täten) die vorige Nacht geherberget und ich mich den künftigen Tag wieder auf den Erbsen zu gehen förchtete, ließ ich sie kochen und tät sie wieder in die Schuhe, deswegen ich dann Wohl zu Fuß nach Zürch gelangte; er aber gehub sich gar übel und sagte zu mir: »Bruder, du hast große Gnade von Gott, daß du unangesehen der Erbsen in den Schuhen dannoch so wohl fortkommen kannst.« – »Ja,« sagte ich, »hochgeehrter und liebster Herzbruder, ich habe sie gekocht, sonst hätte ich so weit nicht drauf gehen können.« – »Ach daß Gott erbarme!« antwortet er, »was hast du getan? du hättest sie lieber gar[87] aus den Schuhen gelassen, wann du nur dein Gespötte damit treiben willt. Ich muß sorgen, daß Gott dich und mich zugleich strafe. Halt mirs nicht vor ungut, Bruder, wann ich dir aus brüderlicher Liebe teutsch heraussage, wie mirs ums Herz ist, nämlich dies, daß ich besorge, wofern du dich nicht anderst gegen Gott schickest, es stehe deine Seligkeit in höchster Gefahr. Ich bekenne gerne und versichere dich in der Wahrheit, daß ich keinen Menschen in der Welt mehr liebe als eben dich, leugne aber auch nit, daß, wofern du dich nicht bessern würdest, ich mir ein Gewissen machen muß, solche Liebe zu kontinuieren.« Ich verstummte vor Schrecken, daß ich mich schier nit wieder erholen konnte; zuletzt bekannte ich ihm frei, daß ich die Erbsen nit aus Andacht, sondern allein ihm zu Gefallen in die Schuhe getan, damit er mich mit ihm auf die Reise genommen hätte. »Ach Bruder!« antwortet er, »ich sehe, daß du weit vom Weg der Seligkeit bist, wann gleich die Erbsen nit wären. Gott verleihe dir Besserung, dann ohne dieselbe kann unsre Freundschaft nit bestehen.«

Von dieser Zeit an folgte ich ihm traurig nach, gleichsam als einer, den man zum Galgen führet; mein Gewissen fiengt an, mich zu drücken, und indem ich allerlei Gedanken machte, stelleten sich alle meine Bubenstücke vor meine Augen, die ich mein Lebtag je begangen. Da beklagte ich erst die verlorne Unschuld, die ich aus dem Wald gebracht und in der Welt so vielfältig verscherzt hatte; und was meinen Jammer vermehrete, war dieses, daß Herzbruder nicht viel mehr mit mir redete und mich nur mit Seufzen anschauete, welches mir nicht anders vorkam, als hätte er meine Verdammnus gewußt und an mir bejammert.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 85-88.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch: Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon